Die Reichensteuer ist keineswegs eine eigene Steuer, sondern nur eine Ergänzung des Einkommensteuertarifes. Häufig wird sie auch umgangssprachlich als Millionärsteuer oder auch als Neidsteuer bezeichnet. Sie wurde im Koalitionsvertrag vom 11.November 2005 zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart. Die Einführung begann mit dem Steueränderungsgesetz 2007.
Jetzt könnte man vermuten, dass jemand der eine viertel Millionen im Jahr verdient doch sicherlich durchschnittlich 42 Prozent Einkommensteuer zahlen müsste?
Wir gehen davon aus, dass unser reicher Bürger 260533 Euro im Jahr verdient. Durch die Reichensteuer wird er doch sicherlich jetzt (260533 x 42%=) 109.423 Euro zahlen? Um das zu überprüfen, müssen wir wieder den Steuertarif in unseren Berechnungen berücksichtigen.
Wir befinden uns jetzt in der Tarifzone 5, sie lautet:
von 260533 Euro an: 0,45 · x – 16.437,7.
Die Größe „x“ ist das auf einen vollen Euro-Betrag abgerundete zu versteuernde Einkommen.
Unser Einkommensbezieher erhält 260.533 Euro pro Jahr. Seine Steuerbelastung beträgt.
(0,45 x 260.533) – 16.437,70= 100.802,15 Euro.
Wenn er genau mit 42 Prozent belastet wäre, würde er 109.423 Euro zahlen, er zahlt aber ungefähr 9.000 Euro weniger. Wie kann das sein? Ist das überhaupt eine Reichensteuer?
Der Durchschnittssteuersatz ergibt sich:
100.802,15 : 260533 = 0.3869 entspricht 38,69 %
Obwohl unser Spitzenverdiener in der oberen Progressionszone veranlagt wird, bezahlt er im Durchschnitt nur 38,69 Prozent Einkommensteuer; die 42 Prozent sind noch immer nicht erreicht. Wann zahlt ein reicher Einkommensbezieher 42 Prozent Einkommensteuer?
Dieser Wert wird bei einem Jahreseinkommen von circa 700.000 Euro erreicht. Bevor die 45 Prozent erreicht werden, muss unser Steuerpflichtiger weit mehr als 700.000 Euro im Jahr verdienen. Wenn der Jahresverdienst über 2 Mill. Euro liegt, kommt er an die 45 Prozent – Grenze[1].
Viele gesellschaftliche Probleme[2] könnte der Staat lösen, wenn mehr Geld vorhanden wäre. Warum werden nun die Reichen nicht stärker besteuert? Im Neoliberalismus geht man vom Trickle-down Prinzip[3] aus. Diese Theorie geht auf Adam Smith (1723-1790) zurück und wird im deutschen Sprachraum auch Pferdeäpfel-Theorie genannt. Eine neuzeitliche Prägung des Begriffs geht auf eine Rede von David Stockmann, Chefberater von Ronald Reagan in Wirtschaftsfragen, zurück. Eine Vermehrung des Reichtums der oberen Gesellschaft, so Stockmann in den 1980 er Jahren, führe dazu das für die Armen auch etwas übrigbleibt.
Adam Smith schreibt im Jahre 1776 in seinem berühmten Buch „Der Wohlstand der Nationen“ im Buch 1, Kapitel 1, Seite 22: „Es ist die große Vermehrung der Produktion in allen möglichen Sparten als Folge der Arbeitsteilung, die in einer gut regierten Gesellschaft jenen universellen Reichtum verursacht, der sich bis zu den niedrigsten Bevölkerungsständen verbreitet.“ Der Ökonom John Kenneth Galbraith (1908-2006) interpretierte diesen Sachverhalt umgangssprachlich: „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwa auf die Straße durchkommen, um die Spatzen zu füttern.“
Diese Vorstellung war in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft möglicherweise richtig, ist aber in der heutigen Zeit der neoliberalen Ökonomie falsch. Die Zeiten, als die von den Reichen erzeugten Gewinne und Erträge in Form von höheren Löhnen weitergegeben wurden an die ärmere Bevölkerung, sind lange vorbei. Denn heute gilt leider noch immer: “Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt” (Gerhard Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Jahre 2005).
Neoliberale Ökonomen benutzen häufig Begriffe aus der Sozialen Marktwirtschaft, weil sie fälschlicherweise meinen das es zwischen der sozialen Marktwirtschaft und dem Neoliberalismus keinen Unterschied gibt. Semantisch ist der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ hervorragend gewählt, er klingt wirklich gut und erzeugt Vertrauen und Wärme. Das Vokabular der neoliberalen Ökonomen nutzt den Wortschatz der Sozialen Marktwirtschaft, die sich aber leider tendenziell auflöst. Trickle down funktionierte vielleicht in einer Sozialen Marktwirtschaft, im Neoliberalismus kann es nicht funktionieren, weil die neoliberalen Ökonomen eher für die Lohnzurückhaltung stehen, die Mindestlöhne ablehnen und die Arbeitsschutzgesetze partiell abschaffen möchten. Gewinne und Erträge werden eben nicht in Form von höheren Löhnen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergegeben. Das Gegenteil ist wohl eher richtig.
Papst Franziskus hat recht wenn er im Jahre 2013 in einem apostolischen Schreiben feststellt, dass die Trickle-down-Theorie ein „ undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus[drückt], die die wirtschaftliche Macht in Händen halten, wie auch auf die sakralisierten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems.“ (Evangelii Gaudium, Nr. 54)
[1] Bei allen Berechnungen habe ich mich ausschließlich auf den Einkommensteuertarif bezogen. Die Kirchensteuer, der Solidaritätsbeitrag und auch die Sozialversicherungsbeiträge waren nicht Gegenstand der Betrachtung. Auch wurde grundsätzlich unterstellt, dass der Steuerpflichtige ledig ist und dem Grundtarif unterliegt. Falls der Steuerpflichtige verheiratet ist und eine Zusammenveranlagung beantragt hat, partizipiert er vom Splittingtarif, der ihm nochmal zusätzliche Steuerentlastungen gewährt. In diesem Fall sinkt natürlich auch sein Durchschnittssteuersatz.
[2] Ein Hauptproblem ist die Bildung. Um vernünftige Bildungspolitik zu betreiben, müssten die Klassen halbiert werden und demzufolge benötigen wir doppelt so viele Lehrer.
[3] In meinem Buch „Die Vergötterung der Märkte“ habe ich diese Theorie erläutert.