Die leistungslosen Einkommen müssen eingehegt werden

22. Februar 2024

»Überall ist der Tauschwert der Herr und der Gebrauchswert der Knecht.« (David Harvey)

In diesen Tagen wird, quer durch alle Parteien, über die Höhe des Bürgergeldes gestritten. Das Bürgergeld ist ein leistungsloses Einkommen, eines unter vielen. Um es vorwegzunehmen – Ich schließe mich der Meinung der Sozialverbände an. Das Bürgergeld ist zu gering und deckt kaum das Existenzminimum ab. Die Diskussionen der letzten Wochen über leistungsloses Einkommen haben den wesentlichen größeren Teil dieser Geldzuflüsse systematisch ausgeblendet. Klar, reichere Bevölkerungsschichten debattieren lieber über die leistungslosen Einkommen der armen Menschen als über die leistungslosen Geldzuflüsse der Reichen.

Stoppt die Beschleunigung der Kapitalvermehrung

Diese Wirtschaftsordnung benötigt die Börsen und die Banken und deren Dienstleistungen, sonst würden sich die Räder der Ökonomie nicht drehen. Dies ist zunächst nicht weiter verwerflich. »Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass Zinsen und andere Gebühren, die man den Nutzern von Finanzdienstleistungen abverlangt, einen produktiven „Output“ darstellen. Würden alle Unternehmen ihre geschäftlichen Investitionen über Gewinnrücklagen (den Teil der Profite, der nicht an die Aktionäre geht) finanzieren und alle Haushalte ihre Kosten mit Ersparnissen bestreiten, bräuchte der private Sektor nicht zu borgen. Entsprechend bräuchte auch niemand Zinsen zu zahlen und Darlehen von Banken wären überflüssig.«[1] Diese Sichtweise war vor einigen Jahrzehnten noch weitverbreitete Normalität, heutzutage ist sie undenkbar, weil damit die Beschleunigung der Kapitalvermehrung ausgebremst wird. Diese systematischen Beschleunigungsprozesse haben sich im digitalen Kapitalismus und in der Welt der Start-ups vervielfacht und die Spekulation ist zu einem Geschäftsmodell mutiert. Dieses Wachstumsmodell fokussiert sich auf den spekulativen Austausch von Finanzanlagen. Dabei werden Investitionen, die Arbeitsplätze generieren können, vernachlässigt. 

In der heutigen Zeit dominiert die Finanzwirtschaft die Volkswirtschaft und die Realwirtschaft muss sich zunehmend der Finanzwirtschaft unterordnen. Heute können wir von einem entfesselten Finanzmarkt sprechen, weil dieser Markt nicht mehr bestehenden Wohlstand transferiert, wie es in früheren Zeiten üblich war. Obwohl Finanzmärkte keine Güter produzieren, wird die Produktivität der Kapitaleinkommen erhöht. Weltweit sind die Gewinnraten hoch, während die Investitionsraten niedrig sind. »In den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich fließen nur 20 Prozent der Mittel in die produktive Wirtschaft; der Rest fließt in den eher spekulativen Finanz-, Versicherungs- und Immobilienbereich.«[2] 

Deshalb benötigen wir in jeder Volkswirtschaft eine streng regulierte Finanzwirtschaft, aber benötigen wir auch sogenannte Finanzmarktprodukte, die keinen Bezug zu irgendeinem ökonomischen Wert haben? Es gibt eine Reihe von, ökonomisch wertlosen, Finanzprodukten, die ausschließlich der Spekulation dienen. Auch dies war eine wesentliche Lehre der Corona-Krise. In den Zeitungen war von Leerverkäufen zu lesen und es wurde munter für oder gegen das Corona-Virus gewettet. Es befinden sich nach wie vor unzählige sogenannte Finanzprodukte auf dem Markt, die keinen Bezug zu ökonomischen Werten haben, weil sie ausschließlich Spekulationsgeschäfte bedienen. Man leiht sich im Rahmen von Leergeschäften Aktien und ist aufgrund dieser Rechtslage Besitzer dieser Aktien. Mit diesen Aktien wird dann gewettet und wenn man Glück hat, können diese Aktien später am Markt günstiger eingekauft werden um sie dann anschließend dem Verleiher zurückzugeben. Dieser Sachverhalt wird auch als »Short-Selling« bezeichnet, weil der geliehene Vermögenswert nach kurzer Zeit (short) zu einem günstigen Preis zurückgekauft wird. Der so entstandene »Gewinn« hat hingegen keinen ökonomischen Bezug und ist als leistungslose Rente[3] zu qualifizieren. Es ist keine Leistung, sondern eher eine »Minderleistung«, wenn ein Investmentbanker Profite aus beispielsweise einer instabilen Währung generiert, die ein ganzes Land ruiniert.

Die wunderbare Welt des »Spekulationsshopping«

Solche Leerverkäufe haben einen rein spekulativen Charakter, deshalb sollte man über Verbote und Regulierungen nachdenken. Die Akteure de Finanzwirtschaft sind aber gegen regulierende Kontrollen. Die Beurteilung von verantwortbaren Geschäftsmodellen überlässt man dem Markt. Dies ist insofern problematisch, weil die Weltökonomie zu 80 Prozent aus »Spekulationsshopping« besteht.[4] Die Realwirtschaft produziert nutzbare, wenn auch nicht unbedingt nützliche, Güter. »Finanzprodukte« hingegen sind Renditeversprechen, mit mehr oder weniger versichertem Risiko. »Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die verschiedene Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiedenen Händen unter verschiedenen Formen erscheint. Der größte Teil dieses »Geldkapitals« ist rein fiktiv.«[5]

Der Hochfrequenzhandel an den Börsen nimmt drastisch zu. Computergesteuerte Algorithmen »arbeiten« in Lichtgeschwindigkeit, während die menschlichen Aktivitäten zurückgedrängt werden. Das Tempo der Umschlagsgeschwindigkeiten an den Finanzmärkten beschleunigt sich ebenfalls. Im Jahre 1945 wurden Aktien noch acht Monate gehalten, im Jahr 2000 waren es noch zwei Monate. Im heutigen Hochfrequenzhandel beträgt die durchschnittliche Haltezeit unter 22 Sekunden.[6] Die Finanzökonomie hat sich von der Realökonomie fundamental entkoppelt. Diese Desynchronisation führt immer häufiger zur »Blasenbildung« und zu Krisen. Karl Marx hatte schon damals geahnt, dass sich die Geldzirkulation gegenüber der Warenzirkulation verselbstständigen kann. Die geldvermittelte Warenzirkulation kann dann zur warenvermittelten Geldzirkulation werden. Auch erkannte er, dass Geld keine Sache ist, sondern ein Symbol für menschliche Beziehungen.

Da der Kapitalismus inhärent selbstverstärkend ist, wirkt diese Selbstverstärkung auch auf den Hochfrequenzhandel der Finanzmärkte. Als die Finanzmärkte vor über dreißig Jahren noch nicht dereguliert waren, wurden die Zinsen in den berufsbildenden Schulen mathematisch erklärt. Eine gesellschaftspolitische Fragestellung oder eine Verteilungsdebatte wurde nicht geführt, sie war damals auch nicht nötig. Stattdessen wurde gerechnet: Wenn man auf dem Sparbuch 3 Prozent Zinsen bekommt, verdoppelt man in dreißig Jahren sein Sparvermögen. Solche Sachverhalte wurden als normal angesehen, eine Kritik war nicht nötig. Der heutige Hochfrequenzhandel an den Börsen dieser Welt zeichnet aber ein vollkommen anderes Bild. »[W]enn man auf dem Finanzmarkt 3 Prozent pro Nanosekunde[7] bekommt, dann hat man in einer Mikrosekunde so viel wie der Sparer in 1.000 Jahren bekommen hat. Dieser Nanosekundenhandel hat die Zeitskala einer Atombombe und entsprechend wirkt er.«[8]

Somit ist dieser Handel für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich und eine Diskussion über die leistungslosen Einkommen der reicheren Bevölkerung ist dringend erforderlich. Der explosionsartige Handel an den Finanzmärkten ist mehr als reformbedürftig. Ob diese Geschäfte noch ansatzweise gebändigt werden können, ist eine offene Frage.


[1] Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt?, Frankfurt / New York, 2018, S. 150.

[2] Mariana Mazzucato, Für ein grünes Wachstumsnarrativ, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2`24, Februar 2024, S. 50/51.

[3] Nach Marx und Ricardo handelt es sich bei der Rente um Einkommen aus der Wertumverteilung. Die Rente hat mit der eigentlichen Wertschöpfung nichts zu tun.

[4] Vgl. Rudolf Hickel, Zerschlagt die Banken, Berlin, 2012, S. 39.

[5]  Marx Engels Werke (MEW) 25, S. 488.

[6] Vgl. Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt?, Frankfurt / New York, 2018, S. 232/233.

[7] Eine Nanosekunde entspricht 0,001 Mikrosekunden.

[8] Anders Levermann im Interview, WIR VERBIETEN NICHT FLIEGEN, SONDERN CO2-AUSSTOSS, in Futur Zwei, Magazin für Zukunft und Politik, Berlin, 12.12.2023, S. 61.

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