Der deutsche Wald im Dschungel des Zertifikatehandels

05. November 2024

 â€žKlimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe, und uns fällt nichts anderes ein als Marktlösungen.“ (Elmar Altvater am 01.03.2007)

Sowohl der kürzlich veröffentlichte Bericht „Forests under fire: Tracking progress on 2030 forest goal“ als auch die im Jahr 2024 durchgeführte Bundeswaldinventur, haben die aktuelle Situation der Wälder untersucht. Das erschreckende Ergebnis – große Teile des Waldes sind selbst zu Kohlenstoffquellen geworden. Die vorletzte „Kohlenstoffinventur“ wurde im Jahr 2017 durch das renommierte Thünen-Institut durchgeführt. Seit dieser Zeit ist der in den hiesigen Wäldern gebundene Kohlenstoffvorrat um 41.5 Millionen Tonnen zurückgegangen. Der deutsche und der internationale Wald gibt nun tendenziell mehr Kohlenstoff ab, als er aufnehmen kann. Somit wird der viel propagierte CO2-Zertifikatehandel in Verbindung mit Kompensationszahlungen ad absurdum geführt. Der Markt kann das Klima nicht retten.

Unternehmen haben in der Vergangenheit viel Geld dafür ausgegeben, um den Wald zu schützen und aufzuforsten. Dafür durften sie dann mehr CO2 emittieren, weil ein funktionierender Wald Kohlendioxid speichert und in Holz umwandelt. Die Unternehmen kaufen CO2-Zertifikate aus Waldschutzprojekten und können somit ihre eignen Emissionen verdecken. Die Marketingabteilungen der Unternehmen können jetzt das ganz große Besteck herausholen, weil man sich nun „klimaneutral“ nennen darf. Die Werbung, die Hochglanzprospekte und die Unternehmensvertreter benutzten das „Prädikat klimaneutral“ inflationär und letztendlich ist es nur das „Prädikat Greenwashing“.

Zertifikatehandel und Waldschutzprojekte

Spätestens seit einer Recherche des Guardian, der Zeit und des Reporterpools SourceMaterial im letzten Jahr wissen wir, dass der Zertifikatehandel der weltweiten Waldschutzprojekte nicht funktioniert. Das Ergebnis der Untersuchung: „Über 90 Prozent der untersuchten Zertifikate sind „ein Haufen Schrott“. Denn die Annahmen hinter den meisten Zertifikaten sind schlicht unhaltbar. So werden meist bereits bestehende Wälder geschützt und behauptet, ohne diesen Schutz würden ebendiese Wälder in weiten Teilen abgeholzt. Aus der Differenz der rein theoretischen Abholzung und dem realen Schutz ergibt sich dann das angeblich eingesparte CO2 das Unternehmen nach dem Kauf der Zertifikate des Schutzprojektes ausstoßen dürfen.“[1] So etwas nennt man Milchmädchen- oder Milchjungenrechnung.

Es geht bei allen Produkten, und auch für die CO2-Zertifikat, darum, ein hohes Maß an öffentliche Wirkung zu erzeugen (publik relations) und dies möglichst preisgünstig. Jeder Marketingstudent lernt bereits im ersten Semester, dass die tatsächliche Wirkung eines Produktes nebensächlich ist. Es geht nicht um die Sache, es geht auch nicht um den Gebrauchswert, never ever, sondern um den Tauschwert, der einen möglichst hohen Preis impliziert und natürlich um die Maximierung des Greenwashing. Auch Privatpersonen beruhigen mit Greenwashing häufig ihr schlechtes Gewissen. Beispielsweise beim Fliegen . Man zahlt 30,00 Euro zusätzlich zum Flugticket und schon fliegt man bei der Lufthansa dann Economy Green von Berlin nach Wien. Die 30,00 Euro investiert Lufthansa sodann in Klimaprojekte, beispielsweise in die Aufforstung von Waldflächen. Diese Kompensationszahlung beruhigt das Gewissen und der Fluggast und die Lufthansa meinen, dass sie sich klimaneutral verhalten, wenn sie sich am freiwilligen Zertifikatehandel beteiligen. Welch ein Irrsinn. Davon wird sich der fortschreitende Klimawandel nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil.

Fazit

Diese zweifelhafte Klimaneutralität ist seit dem 09. Oktober 2024 in weite Ferne gerückt, weil der deutsche Wald tendenziell nicht mehr beim Klimaschutz hilft. Viele Jahre vor der letzten Bundeswaldinventur wurden bereits Kompensationszahlungen für die „Kohlenstoffsenke Wald“ kritisiert und es setzte sich die Erkenntnis durch, dass es keineswegs nachhaltig ist, einen gefällten Baum durch eine Neupflanzung zu ersetzen.

Die geförderten Waldprojekte haben in der Regel eine durchschnittliche Projektlaufzeit von 30 Jahren. Um die versprochene Klimaneutralität annähernd zu garantieren, muss sich die Projektlaufzeit um ein Vielfaches erhöhen. Diese Garantie kann aber niemand abgeben, weil es immer schwieriger wird, Bäume vor Bränden oder Dürren zu schützen. Mit zunehmendem Klimawandel leiden die Bäume unter der Trockenheit. Ideale Bedingungen für den Borkenkäfer, um sich zu vermehren und den Waldbestand zu gefährden. Außerdem kann nicht gewährleistet werden, dass die Bäume, wenn sie dann so lange leben, mit dem Auslaufen der Projektlaufzeit gefällt werden, um Profite zu generieren. Spätestens dann wird das in den Bäumen gebundene CO2 wieder freigesetzt.

Wälder werden zunehmend dem kapitalistischen Verwertungsimperativ unterworfen und demzufolge zyklisch abgeholzt. Wenn dieser Wald dann im gleichen Maße wieder aufgeforstet wird, weist die CO2-Bilanz dann einen Wert von null auf und es entsteht der Eindruck, dass diese „nachhaltige“ Wirtschaftsweise klimaneutral ist. Weit gefehlt. Gewachsene Wälder lassen sich aus vielen Gründen nicht mit aufgeforsteten Wäldern vergleichen, da natürlich gewachsene Wälder resistenter gegen Dürren und Schädlinge sind. Aufgeforstete Wälder sind wesentlich anfälliger für Waldbrände und somit besteht die Gefahr, dass das gebundene CO2 rasch wieder frei und die Senkenwirkung somit unwirksam wird. Am Beispiel der Aufforstung des Waldes wird deutlich, dass die Emissionen zwar bilanziell gesenkt werden aber nicht in der Realität. Im Gegenteil, die Realität ist wesentlich bedrohlicher, weil Wälder mittlerweile häufig zu »Kohlenstoffquellen« werden.

Die COâ‚‚ – Konzentration hat weltweit einen neuen Höchststand erreicht – 421 ppm. Eine neue Studie hat festgestellt, dass der Anstieg im Jahr 2023 darauf zurückzuführen ist, dass die Ökosysteme immer weniger COâ‚‚ aufnehmen können. Die Wissenschaftler konstatieren „eine beispiellose Schwächung der Land- und Ozeansenken“.

[1] Julius Seibt, Manche Wälder werden nur „theoretisch“ abgeholzt, in: der Freitag, Nr. 43, 24.10.2024, S.15.

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