»Die Dampfmaschine soll denen gehören, die die Kohle schaufeln, nicht denen, die sie scheffeln.« (Eva von Redecker)
Der Universalgelehrte Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) unterschied zwischen Ökonomik (Hausverwaltungskunst) und Chrematistik (Kunst des Gelderwerbs). Überspitzt kann gesagt werden, dass die Ökonomik die natürliche Erwerbskunst und die Chrematistik die widernatürliche Erwerbskunst ist. Oder anders gewendet, die Ökonomik dient der Bedarfsdeckung, während die Chrematistik darauf ausgelegt ist, Reichtum zu erlangen und zu vermehren.
Das Äquivalent
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert veränderten sich die institutionellen Ordnungen und es fand eine gewaltige Dynamisierung der Gesellschaft statt. Die Ökonomie war vorher geprägt durch bedarfsorientiertes und bedarfsdeckendes Wirtschaften und Leistung und Gegenleistung entsprachen sich, waren äquivalent. »Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nicht-Äquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert.«[1] Ein Beispiel von Professor Michael Quante verdeutlicht den Zusammenhang: »Wenn Wert in der sozialen Form des Tauschwerts realisiert wird, werden Äquivalente ausgetauscht: Drei Stunden Backarbeit, die sich in 50 Broten vergegenständlicht, werden mit zwei Stunden Tischlerarbeit, die sich in einem Stuhl vergegenständlicht, gleichgesetzt, indem 50 Brote gegen einen Stuhl getauscht werden. Der Tausch ist, so die Marxsche Grundannahme, möglich, weil auf beiden Seiten ein Identisches steht – menschliche Arbeit (in unterschiedlicher Form als Bäcker- und Tischlerarbeit).«[2]
Der Tauschwert stellt in der Marxschen Theorie ein genuin soziales Verhältnis dar und Geld wurde bei Marx zu einem Symbol menschlicher Beziehungen. Seit der »Erfindung« des Geldes, war Geld aber auch immer ein Herrschaftsmittel,[3] dass nach dem Matthäus-Prinzip funktionierte – Wer hat, dem wird gegeben.
Heute wurde in vielen Zeitungen berichtet, dass das durchschnittliche Vermögen in Deutschland gestiegen sei. Man legte die Zahlen der letzten drei Jahre zugrunde, und unterschlug die Tatsache, dass der Vermögenszuwachs, der zwischen dem Jahr 2020 und 2021 in Deutschland erwirtschaftet wurde, zu 81 Prozent an das reichste ein Prozent ging, während die restlichen 99 Prozent der Bevölkerung nur 19 Prozent des Zuwachses erhielten. Somit gilt auch in der heutigen Zeit das Matthäus-Prinzip nach wie vor für die Reichen.
Gerade die reichere Bevölkerung betrachtet den Staat als kleptokratischen und regulativen Steuerstaat und sie wünschen sich nicht nur eine uneingeschränkte Kapitalakkumulation, die zu noch größeren Profiten führt, sondern auch noch Steuervergünstigungen. Wenn es hingegen um die Garantien der Rechtsherrschaft und um die Absicherung des Eigentums geht, hat die Klasse der Kapitalisten schlagartig ein Interesse an einem starken Staat. Das Klientel der FDP drängt darauf, dass Steuererhöhungen, so steht es im Koalitionsvertrag, kategorisch ausgeschlossen werden.
G – W – G`
Doch nun zurück in die Geschichte. Aristoteles spielt heutzutage keine Rolle mehr, und Wirtschaft und Chrematistik werden seit über 200 Jahren einfach gleichgesetzt.
Ab dem 17. Jahrhundert verbreitete sich zunehmend die Chrematistik und die nun kapitalistisch orientierte Ökonomie war darauf angewiesen, den Kapitalzirkulationsprozess ununterbrochen in Gang zu halten. Mehr noch – er musste sogar beschleunigt werden, sodass die materielle Wachstumsspirale permanent vorangetrieben wurde. Diese Zirkulation nahm Karl Marx zum Anlass, den dynamischen Steigerungsprozess mit seiner berühmten Formel, G – W – G`, zu beschreiben. Geld (G) wird nur dann in Waren investiert (W), wenn eine Gewinnerzielung möglich ist. G` symbolisiert, dass sich der Geldbetrag nach der Zirkulation erhöht hat. Im Gegensatz zum bedarfsorientierten Wirtschaften kommen nun ökonomische Prozesse nur dann in Gang, wenn es eine realistische Aussicht gibt, das eingesetzte Kapital zu vermehren. Dies geschieht, weil die Natur zum Objekt der Kapitalakkumulation geworden ist. Marx spricht von der „Inwertsetzung der Natur“. Sie wird vermessen, in Einzelteile aufgeteilt und es werden Eigentumsrechte definiert und durchgesetzt. »Natur in diesem Zustand wird Rohstoff genannt, aber »roh« ist sie gerade nicht. »Roh« wird sie behandelt: der Erde entrissen, herausgesprengt, abgepumpt. Ohne Rücksicht auf die jeweiligen Orte, immer bis zur Erschöpfung.«[4] Aus diesen Rohstoffen werden dann materiellen Waren hergestellt. Die Waren spielen aber im Kapitalakkumulationsprozess nur eine untergeordnete Rolle, sie fungieren nur als Mittler für die Akkumulation, die durch permanente Investitionen angetrieben wird.
[1] Marx Engels Werke (MEW), 23, Berlin, 1979, S.177/178.
[2] Michael Quante, Der unversöhnte Marx, Paderborn, 2. Auflage, 2022, S. 69
[3] Dieser Sachverhalt wird häufig von den Wirtschaftswissenschaften unterschlagen. Sie reduzieren das Geld auf die üblichen Funktionen, wie Recheneinheit, Wertaufbewahrung, Zahlungsmittel und Wertmesser. Aristoteles war in seinem Denken schon weiter, weil er dem Geld die Schuld daran gab, dass viele Menschen meinen, Reichtum und Besitz seien unbegrenzt verfügbar.
[4] Eva von Redecker, Revolution für das Leben, Frankfurt am Main, 4. Auflage, 2021, S. 77.