Der Sommer 2024 und die Verkehrswende

08. Mai 2024

»Die Gesetze jeder Art von Bewegung werden ihm (dem Menschen, Anmerkung U.K.)  erst dann verständlich, wenn er willkürlich einzelne Abschnitte herausgreift und betrachtet. Doch aus dieser willkürlichen Unterteilung der endlosen Bewegung in begrenzte Einheiten ergibt sich ein Großteil der menschlichen Irrtümer.« (Lew Tolstoi, Krieg und Frieden)

Am 21. April 2024 sind wir mit unserem Wohnmobil zurückgekehrt. Wir waren auf der sonnenverwöhnten Insel Fehmarn. Es war sehr warm und fast sommerlich. Auf der Rückfahrt hörten wir von Schneefällen fast überall in Deutschland. Zuhause angekommen, wurden wir mit einem sehr ungewohnten Bild konfrontiert. Es lag Schnee in Paderborn und im Garten sind einige Äste durch die Schneelast abgeknickt. Einige Tage später war dann wieder bestes T-Shirt-Wetter.  Wie wird nun der Sommer 2024? Dies lässt sich nicht voraussagen. Vielleicht wird er wie der Sommer 2023, der hatte es in sich.

Dürren, Wassermangel, Erdrutsche, Waldbrände und sehr wechselhafte Temperaturen waren im letzten Jahr die bestimmenden Themen. Der World Weather Attribute Service stellte fest, dass Dürren auf der Nordhalbkugel aufgrund des anthropogenen Klimawandels mindestens zwanzig Mal wahrscheinlicher geworden sind. Die Katastrophen häufen sich und der Kanzler Olaf Scholz verkündete entspannt, dass man beim Klimaschutz nichts überstürzen dürfe. Der Oppositionsführer Friedrich Merz führte aus, dass noch genügend Zeit für die Bekämpfung des Klimawandels zur Verfügung stehe und es müsse doch zunächst die schwächelnde Wirtschaft gerettet werden. Diese Entspanntheit beim Klima lässt sich nur mit einer politischen Fehlleistung erklären. Sowohl Olaf Scholz als auch Friedrich Merz vermitteln, dass wir schon einige Krisen bewältigt haben und dass die Klimakrise irgendwann auch beendet ist. Das Gegenteil ist der Fall, weil der Klimawandel kumulativ wirkt. Das Klimaproblem wird somit immer größer. Je länger wir mit der Bekämpfung warten, desto größer wird dieses Problem. Um das vereinbarte 1,5 Grad Ziel zu erreichen, muss innerhalb von sieben Jahren die globale Emission halbiert werden. Um nicht in die Klimakatastrophe zu laufen, muss die Emission mindestes jedes Jahr um sieben Prozent sinken.

Zur Jahreswende 2023/2024 veröffentlichten die Experten der Denkfabrik Agora Energiewende, dass Deutschland so wenig Treibhausgase produziert wie seit sieben Jahrzehnten nicht mehr. Nach Aussagen der Denkfabrik ist die CO2-Emission gegenüber dem Jahr 2022 um 73 Millionen Tonnen auf insgesamt 673 Tonnen gesunken. Dies entspricht einem Rückgang von 46 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990. Gleichzeitig betonen die Experten, dass dies aber kein dauerhafter Erfolg für den Klimaschutz ist. Nur etwa 15 Prozent des Rückgangs führen die Studienautoren[i] auf dauerhafte Einsparungen zurück. Diese ergeben sich durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, eine effizientere Nutzung von Energie und den Verzicht auf fossile Brennstoffe. Weitere Gründe für den Rückgang des CO2-Ausstosses werden von traditionellen Ökonomen eher negativ beurteilt. Zum einen liegen die niedrigen Emissionen am Schwächeln der deutschen Industrie. Krisenbedingte Produktionseinbrüche haben gerade energieintensive Industrien zugesetzt. Zum anderen wurden Industrien ins Ausland verlagert. Damit ist für das Klima aber nichts gewonnen, nur die deutsche Klimabilanz »verbessert« sich.  

Deutschland stößt so wenig Treibhausgase aus wie seit Langem nicht mehr. Trotzdem kommt keine Freude auf, weil diese Reduktion mit der schwachen Wirtschaft Deutschlands zusammenhängt. Wir berauschen uns an diesen Zahlen und vergessen dabei die weltweite CO2-Konzentration, die stetig und permanent steigt. Scheinbar sieht die Realität anders aus, die Emissionen wachsen trotz Einsparungen und das Problem vergrößert sich Tag für Tag. Im Jahr 2023 hat die Produktion von erneuerbaren Energien ein Rekordniveau erreicht. Gleichzeitig wurden die fossilen Energien so viel genutzt, wie nie zuvor. Scheinbar scheint hier ein komplementärer Zusammenhang vorzuliegen, der sich aus dem Wachstumshunger des Wirtschaftssystems erklären lässt. Die imperiale Lebensweise kommt zwangsläufig an eine Grenze. Die Lebens- und Wirtschaftsweise kann die Natur nicht mehr verkraften und das fragilste System der Natur, die Atmosphäre, droht zu kollabieren.

Ob sich das Klima durch die deutsche Verkehrswende beeindrucken lässt, darf bezweifelt werden. Ich fürchte, Deutschland hat sich verkehrstechnisch auf den Holzweg begeben. Der autozentrierte Individualverkehr muss zur Disposition gestellt werden, weil Autos grundsätzlich ineffizient sind. Die große Gemeinsamkeit von E-Autos und den Verbrennern besteht darin, dass sie ein bis zwei Tonnen wiegen und nur 1,3 Personen im Durchschnitt befördern. Tendenziell sind E-Autos aber deutlich schwerer als Verbrenner. Aber es ist letztendlich auch egal welche Technologie sich durchsetzen wird, weil die Autokonzerne nach wie vor für den uneingeschränkten Individualverkehr stehen und diese Technologien keineswegs klimaneutral sind. Die Änderung der Antriebstechnologie wird keine durchgreifende klimafreundliche Verkehrswende herbeiführen. Es ist absurd, denn man kann mit der Produktion von Elektroautos das Klima kaum schützen. Sinnvoller wäre es, die gebauten Autos möglichst lange zu erhalten und zu reparieren, um die bereits, bei der Produktion, entstandenen Energie- und Materialverbräuche auf einen möglichst langen Zeitraum zu verteilen. Dies ist aber nicht im Sinne der Autokonzerne. Sie möchten, nach wie vor, dem Autofahrer ein zweites und »modernes» Wohnzimmer anbieten und keineswegs eine effiziente Fortbewegung. Große Autos, die eher als Stadtpanzer zu bezeichnen sind, sollen dem Fahrer ein Gefühl der Dominanz und der Macht vermitteln. Die deutschen Autokonzerne setzen nicht auf ökologisch verträgliche Verkehrssysteme, sondern fast ausschließlich auf Premiumfahrzeuge, die einen gewissen Lifestyle vermitteln sollen. Dies wird sich sowohl bei der Elektromobilität als auch bei Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen fortsetzen. Tendenziell muss das Auto nicht verbessert werden, es muss aus dem öffentlichen Verkehr verschwinden, denn, so die Meinung vieler Verkehrswissenschaftler, je mehr Straßen gebaut werden, desto mehr Verkehr wird hervorgerufen. Deshalb müssen die öffentlichen Gelder in den Ausbau von Bussen und Bahnen fließen und die Subventionierung der Autokonzerne muss aufhören. Eigentlich müsste es für die endgültige Abschaffung von Autos Prämien für die Autofahrer geben.

Wenn man den Bahnverkehr mit dem automobilen Individualverkehr vergleicht, verschlingt der Autoverkehr ein Vielfaches an Energie und enorme Flächen müssen für diese Art der Fortbewegung zur Verfügung gestellt werden. Durch das »Bremer Laternenparker-Urteil« (Aktenzeichen: BVerwG IV C 2.65) aus dem Jahr 1966 wurde das Parken von Autos auf öffentlichen Flächen erlaubt. Vorher war das Parken auf öffentlichen Straßen offiziell verboten. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurden plötzlich mehr Parkflächen benötigt und das Auto dominierte sukzessive die Städte. Parken ist fast überall in den Städten erlaubt, es sei denn, es ist explizit verboten durch ein entsprechendes Parkverbotsschild. In den meisten vergleichbaren Ländern ist es genau umgekehrt. Neben dem Tempolimit nimmt Deutschland auch beim Flächenverbrauch der Autos eine Sonderstellung ein. Diese absurde Autodominanz ist keineswegs normal und ich schließe mich da als Wohnmobilfahrer durchaus mit ein. Ivan Illich wies in den 1990er-Jahren darauf hin, dass sozio-technische Systeme wie die Automobilität in Industriegesellschaften ein „radikales Monopol“ entwickeln, das die Selbstbestimmung von Menschen untergräbt. Man wird also fast dazu „gezwungen“, nach den Vorstellungen der Autoindustrie zu leben, weil die gesellschaftlichen und ökonomischen Systeme danach ausgerichtet sind. Die eingeschränkte Selbstbestimmung ist besonders signifikant bei der Nutzung digitaler Kommunikation zu beobachten.


[i] Vgl. Agora Energiewende, Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023.

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