1.Teil: das Wirtschaftswachstum

26. August 2019

 Unter Wirtschaftswachstum versteht man die Änderung des Bruttoinlandsprodukts, also die Summe, der in einer Volkswirtschaft produzierten Güter (Waren und Dienstleistungen), von einer Periode zur nächsten. Die Stärke des Wachstums wird durch die Wachstumsrate ausgedrückt, demzufolge wird die prozentuale Veränderung des Bruttoinlandsproduktes gegenüber dem Vorjahr berechnet.

Der frühere Wirtschaftsminister Karl Schiller (1911–1994) war als Fachminister maßgeblich an der Ausarbeitung des Stabilitätsgesetzes von 1967 beteiligt. Dieses Gesetz sah ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum vor. Die damaligen Politiker glaubten nicht an ein unendliches Wachstum. Vor 60 Jahren gab es noch keine ökologischen Krisen. Trotzdem hat, wiederum ein Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard zu dieser Zeit erkannt, dass ein stetiges Wirtschaftswachstum, gekoppelt mit einer ständigen Erhöhung der Produktivität, langfristig nicht funktionieren wird: „Ich glaube nicht, dass es sich bei der wirtschaftspolitischen Zielsetzung der Gegenwart gleichsam um ewige Gesetze handelt. Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen »Fortschritt« mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“[1]

In der Natur kommt das Wachstum in vielfältiger Form vor. Pflanzen, Kinder, Wirtschaft aber auch Krebszellen wachsen. Wir machen uns Sorgen, wenn Pflanzen, Kinder und Krebszellen ungebremst wachsen würden. Dies trifft für die Wirtschaft aber nicht zu. Gebetsmühlenartig wird das Wirtschaftswachstum von Politik, Gesellschaft und auch von der Wissenschaft als Garant für Glück, Wohlstand und Beschäftigung angesehen. Das Vertrauen in die Wirtschaft wird bei den Konsumenten und Produzenten schwinden, wenn sich aus irgendeinem Grund die Wachstumsrate reduziert. Die Wirtschaft gerät dann in eine Rezessionsspirale.

Garantiert Wachstum Arbeitsplätze?

Folglich benötigt unsere Art zu wirtschaften dieses Wachstum. Der steigende Rohstoffverbrauch treibt dieses Wachstum an. Ein negatives Wachstum könnte eine Wirtschaftskrise auslösen. Politiker gerieten in Panik, Unternehmen wären in ihrer Existenz bedroht und viele Menschen verlören ihre Arbeit. Scheinbar befinden wir uns in einem Dilemma zwischen Ökonomie und Ökologie; Klimaschutz und Wirtschaftswachstum lassen sich nicht mühelos vereinbaren. Wir benötigen das Wachstum, um Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Denn es besteht eine Abhängigkeit der Beschäftigung von der Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts und damit vom Wirtschaftswachstum.

Wenn die Entwicklungen des Wachstums und der Beschäftigung miteinander verglichen werden, lässt sich folgender Zusammenhang empirisch nachweisen:

  • Der Zuwachs bei den Beschäftigten fällt geringer aus als die Wachstumsrate des  Bruttoinlandsproduktes. Liegt das Wirtschaftswachstum unterhalb einer bestimmten Zuwachsrate, werden Arbeitsplätze abgebaut.
  • Die Entwicklung bei den Arbeitsplätzen hinkt der Entwicklung beim  Bruttoinlandsprodukt zeitlich nach.

Die Erklärung für beide Phänomene liegt in der Produktivität, die in den letzten 20 Jahren erheblich gestiegen ist und zukünftig weiter ansteigen wird. Der Rationalisierungsdruck wird stärker und zwingt zu immer mehr Wachstum. Durch die zukünftige Digitalisierung wird die Produktivität der Produktionsfaktoren weiter zunehmen, der Druck auf die Unternehmen steigt und Arbeitsplätze werden vernichtet. Dieser dynamische Prozess wird sich weiter fortsetzen. Es stellt sich die Frage, ob das Wachstum von der volkswirtschaftlichen Theorie überbewertet wird oder ob es systemrelevant für die andauernde Kapitalverwertung ist.

Der tendenzielle Fall der Wachstumsrate (Ein Beispiel)

Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht die Wachstumsproblematik. Zur Vereinfachung soll unser gedachter Betrieb, der natürlich aus der Energie-Branche kommt, die gesamte Volkswirtschaft repräsentieren. Dieser Betrieb ist in einer größeren Stadt ansässig, stellt Solarpanels her und verkauft in einem Jahr 5.000 Panels. Dieser Verkauf findet jedes Jahr statt. Immer mehr Häuser werden mit den Solarpanels ausgestattet. Die Volkswirte dieser Stadt stellen fest, dass kein Wachstum stattfindet. Da jedes Jahr 5.000 Solarpanels verkauft werden, erscheint das Horrorgespenst einer jeden Wirtschaft: Nullwachstum. Da die Effizienz der Solarpanels sich energietechnisch verbessert hat, benötigt die Bevölkerung nur noch 4.000 Panels, um den Energiebedarf unverändert zu decken. Jetzt kommt es für die Wirtschaft knüppeldick, das schädliche, negative Wirtschaftswachstum kommt ins Spiel, obwohl die Energieversorgung für die Bevölkerung nicht schlechter geworden ist. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein Wirtschaftswachstum von den Volkswirten dann positiv bewertet wird, wenn die Bevölkerung im ersten Jahr 5.000 Panels, im zweiten 5.500, im dritten 6.000 im vierten 6.500 usw. kauft. Mit diesen Zahlen kann jetzt ein Wirtschaftswachstum berechnet werden.

Die Wachstumsrate beträgt vom ersten zum zweiten Jahr 10%, vom zweiten zum dritten Jahr 9,0909%, vom dritten zum vierten Jahr 8,3333% vom vierten zum fünften Jahr 7,6923% usw. Obwohl die absolute Steigerungsrate jedes Jahr 500 Panels beträgt und sich nicht verändert, nimmt die Wachstumsrate kontinuierlich ab. Dies lässt sich durch eine einfache Dreisatzrechnung beweisen. Wenn wir im Dreisatz den Antwortsatz bilden, stellen wir fest, dass der Nenner im Bruch immer größer wird. Das hat zur Folge, dass die Zahl, die sich aus dem Verhältnis Zähler : Nenner ergibt, immer kleiner wird. Somit nehmen die Wachstumsraten ab, obwohl wir jedes Jahr 500 Solarpanels mehr produzieren. Je größer die Grundlage (sprich der Nenner), desto kleiner die Wachstumsrate. Daraus folgt, dass die Wachstumsrate von den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft überschätzt wird. Prinzipiell benötigen wir diese Wachstumsraten nicht, um ein gutes Leben zu führen und Arbeitsplätze zu erhalten.

Auch wenn das Wirtschaftswachstum von den meisten Volks -und Betriebswirten vergöttert wird, stellt sich die Frage: Warum das Wirtschaftswachstum in die Sackgasse führt und künftige Probleme nicht lösen kann? Damit werde ich mich in einem 2. Blog beschäftigen.

[1] Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle, Düsseldorf, 1964, S. 232 / 233

Weitere Artikel