Die größte Krise der Menschheitsgeschichte

07. August 2023

„Wir suchen nach Ursachen für die drohende Katastrophe und finden von Tag zu Tag neue. Nur eine Ursache, die Urursache unterschätzen wir ständig, die nämlich, die aus der Tatsache resultiert, dass der Mensch kein über den Wassern der Wirklichkeit schwebendes Geistwesen ist, sondern, von seiner Verfassung her, immer noch zu den unter distinkten Naturzwängen stehendes Lebewesen zählt und alle für das Leben grundlegenden Eigenschaften mit ihnen teilt.“

(Herbert Schriefers, Das riskante Wesen, in: Essener Unikate, Berichte aus Forschung und Lehre, Naturwissenschaft, Universität GH Essen, 4/5, 1994.)

Krisen scheinen im Kapitalismus eingepreist zu sein. Scheinbar häufen sie sich unaufhaltsam. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte offenbart folgende Krisen: Weltwirtschaftskrise (1929), Schuldenkrise der »Dritten Welt« in den 1980er Jahren, Finanzkrise in den 1990er Jahren, Finanz- und Immobilienkrise (ab 2007) und Wirtschafts- und Energiekrise heute. Der ökonomische Mainstream führt diese Krisen auf vermeidbare wirtschaftspolitische Fehler, externe Störungen oder unglückliche Zufälle zurück. Wie bereits erwähnt, sind die zu erwartenden Gewinne[1] bei einer Investition die einzige Steuerungsgröße. Nach Marx geriet die Kapitalakkumulation dann ins Stocken, wenn die Profitrate bzw. der Gewinn fällt. Problematisch wird es für Investitionen, wenn die Profitrate geringer ist als die Zinsen für Finanzanlagen. In Zeiten des globalisierten, finanzgetriebenen Kapitalismus führt dies direkt in die Krise. Im Rahmen des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate schreibt Marx: »Die Krisen sind immer nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandenen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick widerherstellen.«[2]

Die Sichtweise der Betriebswirte

Dass Investitionen nach der Maßgabe des gesellschaftlichen Nutzens zu beurteilen sind, ist den BWLérn vollkommen fremd. Stattdessen wird eine gängige Formel der 1970-er Jahre gebetsmühlenartig wiederholt: »Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.« Diese Formel ist längst obsolet, weil die Investitionsrechenverfahren der Betriebswirtschaftslehre nur zukünftige Gewinnerwartungen modellieren können und keineswegs die Effekte auf dem Arbeitsmarkt. Häufig ist zu lesen, dass nicht nur insolvenzbedrohte Unternehmen Entlassungen planen, sondern auch gewinnträchtige. Die oben beschriebene Formel lässt sich deshalb auch umdeuten: »Die Gewinne von heute sind die Arbeitslosen von morgen.«[3] Deshalb müssen Strategien entwickelt werden, wie Arbeit zukünftig gesellschaftlich zu organisieren ist, unter Berücksichtigung der strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit. Für eine Unternehmung ist es aber wesentlich interessanter, die Risiken einer Investition zu modellieren und Subventionen oder Steuersparmodelle zu durchleuchten.

Der Kapitalismus ist grundsätzlich eine monetäre Ökonomie, die ausschließlich die Geldvermehrung im Blick habt. Wenn das Kapital profitable Investitionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft findet, entstehen daraus häufig auch Arbeitsplätze, deren Verdienstmöglichkeiten gesellschaftliche Teilhabe erlauben. Dies ist unstrittig. Im Gegensatz zur Finanzwirtschaft generiert die Realwirtschaft aber relativ wenig Wachstum, mit der Konsequenz, dass hier kaum Arbeitsplätze entstehen.

Das Wirtschaftswachstum kommt bei der einfachen Bevölkerung nicht an, weil es an den Börsen generiert wird und somit ist es mittlerweile kein Indikator mehr für wachsende Beschäftigung. Vielmehr ist das Wachstum ein Indikator für den Ressourcenverbrauch und der Verschwendung fossiler Energiequellen.

Der Allesfresser

Der »Allesfresser Kapitalismus« (Nancy Fraser) zerstört aber nicht nur die Ökonomie und die Ökologie. Auch die Gesellschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Die wachsende Digitalisierung infantilisiert die Erwachsenen und Kleinkinder müssen im Internet mit Situationen klarkommen, die selbst für Erwachsene kaum zu ertragen sind. Pornografische Darstellungen und Gewalt nehmen in diesen Medien zu und fake news werden zunehmend gesellschaftlich toleriert. Weil der Kapitalismus zwanghaft aus allem ein Geschäft machen muss, könnte auch die Künstliche Intelligenz die Menschheit bedrohen. Will der Unternehmer am Markt überleben, ist er aufgrund der Konkurrenzsituation gezwungen, mit der Künstlichen Intelligenz zu arbeiten, damit aus dem Geld mehr Geld werden kann. Wie dies geschieht, ist vollkommen nachrangig. Ob eine Gesellschaft diesen Beschleunigungszwang aushalten wird, ist eine offene Frage.

Sicher ist hingegen, dass die grenzenlose Geldvermehrung die Ökonomie belastet und die Ökologie überlastet, da die kapitalistische Verwertung schneller ist, als sich die Natur regenerieren kann. Der Wettbewerbsdruck zwingt den Unternehmer kurzfristig zu denken. Auch Investitionsentscheidungen mit einem Planungshorizont von 10 bis 20 Jahre sind, im Verhältnis zur Regenerationsfähig der Natur, relativ kurz. Die Entstehung fossiler Lagerstätten dauerte einige Millionen Jahre; die Ausplünderung dieser Stoffe geschah in circa 200 Jahren. Die Belastung in der Atmosphäre des Planeten vollzieht sich relativ träge, ist gefährlich und wird von den menschlichen Sinnen kaum wahrgenommen. Die Natur und das Klima sind träge Systeme, die spät reagieren. Deshalb »arbeiten« die ökologischen und ökonomischen Systeme mit unterschiedlich Geschwindigkeiten und regelmäßig auftretende Krisen sind an der Tagesordnung. Die Geschwindigkeit der Ökonomie muss sich an die der Ökosysteme anpassen, und nicht umgekehrt. Aufgrund dieser mangelnden Assimilierung befinden wir uns in der größten Menschheitskrise, der Klimakatastrophe.[4]


[1] Statt der zu erwartenden Gewinne wird in der Betriebswirtschaftslehre auch von Rendite oder Rentabilität gesprochen. Marx nannten diesen Sachverhalt Profitrate auf das vorgeschossene Kapital.

[2] MEW, 25, S. 259.

[3] Von Groucho Marx stammt der Spruch: “Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn Sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“  Dies trifft in weiten Teilen auch für die Betriebswirtschaftslehre zu. Obwohl sie sich gerne zur vorherrschenden Geisteshaltung des gesellschaftlichen Lebens erklärt, ist sie mit dem kapitalistischen System scheinbar »untrennbar« verbunden.

[4] Der Begriff »Klimawandel« ist ein Euphemismus. Er hört sich harmlos an. Wenn ein Mensch krank ist, sprechen wir von einer Krankheit und keineswegs vom Gesundheitswandel. Der Ausdruck »Klimakrise« ist auch nicht besser, weil Krisen irgendwann vorbei sind. Deshalb bevorzuge ich den Begriff „Klimakatastrophe“.

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