„Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, daß sie bleibt.“
Erich Fried
 Viele Menschen sind genervt und sie fragen sich, wann ist das Ganze hier vorbei. Sie meinen die Corona-Krise und sie wollen ihr „altes Leben“ wieder zurückhaben. Es stellt sich somit die Frage: Was ist das alte, normale Leben?
Das alte Leben
 Nach meinen bisherigen Erkenntnissen hat uns das Corona-Virus gezeigt, dass wir Viren technisch nur bedingt beherrschen können. Scheinbar sind wir Menschen doch nicht unangreifbar. Mit unseren geschwächten Immunsystemen, unseren entzündeten Atemwegen und unseren geschwächten Verdauungstrakten werden wir immer perfekte Wirte für Viren aller Art sein. Selbst ein Impfstoff ist nicht so einfach zu finden. Menschliche Eingriffe führen zu einer permanenten Veränderung der Natur und das alte Leben ist so flüchtig wie der vergangene Tag. Die Natur lässt sich nicht beherrschen, stattdessen sollten wir uns ihr anpassen.
Deshalb ist es vollkommen absurd, die Natur nach Effizienzkriterien auszurichten und Menschen zu optimieren, beziehungsweise über genmanipulierte Menschen nachzudenken. Wenn wir „bessere Menschen erschaffen“ wollen, sollten wir nicht die Gene umbauen, sondern die Wohn-, Bildungs- und Ernährungssituation verbessern und die Art des Wirtschaftens muss ohnehin grundlegend, nach ökologischen Gesichtspunkten, reformiert werden. Die Corona-Krise hat gezeigt, wie katastrophal die Hygienebedingungen der Schulen sind. Auch sollten wir die Wohnviertel umbauen, um „bessere Menschen“ zu schaffen. Die Bildung benötigt eine grundlegende Reform, die Grundlagenforschung muss in den Dienst der Daseinsvorsorge gestellt werden und der Gesellschaft dienen. Da sich vermutlich mit zunehmender CO2-Konzentration andere Viren verbreiten, ist die Forschung darauf zu fokussieren, diese Viren, wenn das überhaupt möglich ist, zu verhindern und geeignete Impfstoffe zu entwickeln. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Virenausbreitung gibt. Deshalb ist es zielführender, die CO2-Konzentration zu stoppen, indem wir der Natur ihr altes Leben zurückgeben und ernsthaften Naturschutz betreiben. Gibt es nun für das menschliche Leben eine Rückkehr zur alten Normalität oder zum alten Leben? Das Virus ist gekommen, um zu bleiben. Es wird nicht wieder verschwinden. Somit hat uns das Corona-Virus in das, von Antonio Gramsci (1891-1937) beschriebene, Interregnum gebracht, nämlich „dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“.
Die Botschaft des Virus
„Ist, was wir gerade erleben, mit der Logik des Absurden besser zu beschreiben als mit dem Rationalen? Denn die würde die Ursache als Prämisse nehmen und die Folge in Relation zu vergleichbaren Folgen setzen. Wer die Ängste und Entbehrungen der letzten Wochen mit der Hoffnung entschädigt, so bald wie möglich zu seinem gewohnten Leben zurückzukehren, hat die Botschaft des Virus nicht verstanden.“[1] Das Virus führt uns vor, welche Märkte nicht funktionieren und auch vor der Pandemie nicht funktioniert haben. Massentourismus, Flugverkehr, Kreuzfahrten, Massenkonsum, Fleischindustrie und Teile der Bespaßungsindustrie sind, unter ökologischen Gesichtspunkten, schon vor der Corona-Krise in die öffentliche Kritik geraten. Jetzt, mitten in der Krise, werden diese Branchen und Märkte vom Staat gerettet. Dies ist zwar prinzipiell richtig. Fraglich ist bloß, ob wir den Massentourismus und die Berge von Fleisch überhaupt noch wollen.
Sind Märkte überhaupt krisentauglich?
In meinem Buch „Die Vergötterung der Märkte“ habe ich mich mit der „Denkweise des Marktes“ beschäftigt. Der Markt begreift die Klimakatastrophe nicht als Problem der Umwelt. Stattdessen werden Erklärungen gesucht, warum der Markt nicht funktioniert. Nach neoliberaler Lesart sind die Fehlfunktionen des Marktes nicht im marktwirtschaftlichen System zu suchen, sondern sie sind darauf zurückzuführen, dass die Märkte nicht wirklich frei sind. Märkte sind aber im Normalfall weder frei noch vollkommen und sie funktionieren ohne Lenkung entsprechend unzureichend. Dies sehen neoliberale Ökonomen anders und sie argumentieren in etwa so: Die Umwelt ist ein freies Gut und ist kostenlos zu haben. Für Wasser, Sauerstoff (reine Luft) und Sonnenstrahlen gibt es keinen Preis. In der vorherrschenden Ökonomie ist alles was keinen Preis hat, nicht existent.[2] Die Märkte haben aber nur eine, immer gleiche, Lösung parat – die Natur benötigt Preise. Wenn sich Preise frei am Markt bilden können, werden auch die ökologischen Probleme gelöst. Die Umwelt soll also einen Preis bekommen und die Firmen, die die Umwelt verschmutzen, hätten über den Zertifikatehandel den Anreiz, auf umweltschonende Verfahren zu wechseln. Das klingt zunächst verführerisch, mag auch im Einzelfall funktionieren, in der Gesamtheit sind aber fatale Folgen zu erwarten und es werden die falschen Signale gesetzt. Diese Diskussion wird im Übrigen schon seit den 1980er Jahren geführt. Das Resümee nach vierzig Jahren – der Umwelt einen Preis zu geben, ist das widersinnigste überhaupt. Das Umweltproblem hat sich seit dieser Zeit massiv verschärft. Der Markt kann die Natur nicht retten, es wird lediglich die Illusion aufrechterhalten, dass sich die Politik nicht um die Umwelt kümmern muss – das erledigt unser Allheilmittel, der Markt. Somit kaufen sich viele Politiker und Politikerinnen frei, denn sie brauchen schädliche Verfahren nicht zu verbieten, sondern sie überlassen diese Problematik dem Markt, der als Allheilmittel überfordert ist. Ökologische Probleme lassen sich eben nicht mit der gleichen Logik lösen, mit der sie entstanden sind.
Eine Fokussierung auf den Markt führt nur dazu, dass ökonomische Themen ausschließlich mit der Brille der Effizienz betrachtet werden und das eine umfassende Gesellschaftskritik, mit ihren politischen, kulturellen, sozialen und ökologischen Fragestellungen, unterbleibt. Deshalb gehört der Marktmechanismus auf den Prüfstand. Um die Klima- beziehungsweise die Umweltkatastrophe zu verhindern benötigen wir eine wesentlich strengere Gesetzgebung und eine Regierung, die umweltschädliches Verhalten nicht nur streng ahndet, sondern auch sehr hoch besteuert. Wie ich an anderer Stelle schon mehrfach ausgeführt habe, bieten die Instrumente der Besteuerung einen sinnvollen Ansatz, um der Klima- und Umweltproblematik zu begegnen. An dieser Stelle sind aber Politiker gefragt und keine Unternehmer.
Der US-Politiker und stellvertretende US-Präsident unter Bill Clinton, Al Gore, hat schon vor 20 Jahren davor gewarnt, dass es einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Virenausbreitung gibt. Hierzu ein einfaches Beispiel [3]: Es gibt weltweit viele Städte, die nur deshalb gegründet wurden, weil sie oberhalb der Moskito-Grenze lagen, beispielsweise die Stadt Nairobi (Hauptstadt Kenias, Höhe 1.661 m). Die zunehmende Erderwärmung verschiebt diese Grenzen zugunsten der Moskitos. Neben Moskitos gibt es eine Menge besorgniserregender Überträger von Infektionskrankheiten, die mit zunehmendem Klimawandel ebenfalls ihre Reichweiten ausdehnen (Ratten, Fledermäuse usw.). Daraus ergeben sich schon seit über 20 Jahren neue Infektionskrankheiten (Ebola, Arena Virus, Hantavirus, SARS, Vogelgrippe, West Nile Virus usw.) Selbst resistente Formen der Tuberkulose traten auf. Wie Al Gore in seinen Vorträgen feststellte, tauchen immer wieder Krankheiten auf, die wir eigentlich unter Kontrolle hatten. Das sind aber keine Neuigkeiten, das sind die Folgen des Klimawandels.
[1] Daniela Dahn, Verrückte Maßstäbe, in: der Freitag, Nr. 17, 23.April 2020, S. 3
[2] Vor allem die Bestrebungen, Trinkwasser einen Preis zu geben, ist inhuman. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Firma Nestle` zu nennen.
[3] Wer weitere Argumente benötigt, sollte folgende Artikel auf dieser Homepage lesen: