Die Ersatzdroge Konsum

30. Juli 2023

„Wenn Gier das eigene Leben verzerrt, dann glaubt man, dass das bei allen anderen genauso sein muss.“

(Bill McKibben)

Im letzten Blog habe ich festgestellt, dass 54.300 Menschen aus Burundi genau so viel Kohlendioxid emittieren wie Bill Gates mit seiner Fliegerei. Wenn die Yachten, die Luxusvillen und der Konsum von Bill Gates dazugerechnet wird, vervielfacht sich die ermittelte Zahl. Neben dem enormen Ressourcenverbrauch emittieren Superreiche auch noch ausgesprochen viel CO2. Es gibt noch viele weitere Beispiele dafür, warum materiell reiche Menschen weltweit die Natur zerstören und die Umwelt belasten. Dies ist weder erstrebens- noch beneidenswert. Trotzdem warnen viele Politiker vor Neiddebatten, obwohl sich die Superreichen schämen müssten.  Dies wird aber nicht so kommuniziert.

Die Konsumgesellschaft wird permanent neu erfunden

Nach den Gossen´schen Gesetzen nimmt der Nutzen, der eine zusätzliche Einheit eines Konsumgutes stiftet, mit zunehmendem Konsum ab. Demzufolge müsste es in der Konsumgesellschaft Sättigungserscheinungen geben. Dem ist aber nicht so; die Konsumgesellschaft erfindet sich permanent neu. Von der Optimierung des eigenen Körpers, über virtuelle Welten, bis hin zu einem unvorstellbaren Variantenreichtum von neuen Produkten, wird einem die Steigerung des individuellen Glücks suggeriert. In den Konsumgesellschaften haben die Verbraucher ein Übermaß an Wahlmöglichkeiten. Macht dieses Mehr uns tatsächlich glücklicher? Die meisten Dinge, die uns glücklich machen, laufen gar nicht über den Markt (beispielsweise Freundschaft, Respekt, Liebe, Familie, Spaß).[1] Dies hat auch mittlerweile die Volkswirtschaftslehre registriert. Die Glücksforschung wird zunehmend in die Lehre implementiert.

Der zunehmende Konsum hat aber noch weitere Schattenseiten. Das westlich geprägte Konsummodell infantilisiert die Gesellschaft zunehmend und Identitäten werden immer brüchiger. Erwachsene bilden eine kindliche Konsumstruktur aus und spielen vermehrt. Das hat für die Gesellschaft weitreichende Konsequenzen.

 Â»Eine Person ist mit sich selbst identisch, wenn sie sich bewusst ist, dass sie heute im Grunde noch derselbe Mensch ist, der sie gestern war und morgen sein wird. Wer umgekehrt erklärt, ihn kümmere sein Geschwätz von gestern genauso wenig, wie ihn seine Verantwortung für morgen interessiere, dem werden wir als Person nicht recht über den Weg trauen können. Soziologen stellen nun seit Längerem fest, dass genau dieses Identitätsbewusstsein des Menschen aufgrund der Beschleunigung, Flexibilisierung und Mobilisierung des Lebens immer brüchiger wird. Das vor allem durch die Ökonomie vorgegebene Lebenstempo zwingt, so die Diagnose, den Menschen immer mehr dazu, sich nicht zu sehr an Tätigkeiten, Berufe, Wohnorte und andere Menschen zu binden, ja sogar innere Einstellungen und letztlich auch den Charakter den Zwängen des Marktes anzupassen. Solche Menschen entwickeln, so Hartmut Rosa, eine »situative Identität«: Im Betrieb sehen sie sich ganz anders als zu Hause, zu Hause wiederum anders als im Sportverein usw. Nicht mehr ein personales Zentrum, sondern das jeweilige »Projekt« stiftet die Einheit im Alltag, die Menschen werden zu »Spielern««.[2]

Der Konsum materieller Güter ist zu einer Ersatzbefriedigung für ungestillte immaterielle Bedürfnisse (Liebe, gesellschaftlicher Zusammenhalt usw.) geworden. Teile der Gesellschaft durchleiden eine Sinnkrise. Viele Menschen fliehen in einen unkontrollierten Konsumrausch. Materielle Güter zu konsumieren, bedeutet aber auch immer, Natur zu konsumieren. Deshalb stellt sich die Frage, wie groß die Bereitschaft der gegenwärtigen Generation ist, mit Verzicht durch Gegenwartskonsum, den zukünftigen Generationen ebenfalls ein bestimmtes Konsumniveau zu gestatten?


[1] Vgl. Benjamin R. Barber, Consumed! München, 2007, S. 143.

[2] Fritz Reheis, Wo Marx Recht hat, Darmstadt, 2011, S. 173.

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