Verzichtsdebatten, ja bitte

29. November 2019

Verzichtsdebatten überzeugen die Menschen nicht.“

Peter Altmeier zum Thema: Neu denken fürs Klima, in: SCHWARZROTGOLD, Das Magazin der Bundesregierung, 4/2019, S.7.

 Wenn schon Verzichtsdebatten die Menschen nicht überzeugen, dann ist es die Aufgabe eines Politikers, die Menschen zu überzeugen, dass es ohne Verzicht nicht gehen wird. Es geht an dieser Stelle natürlich nicht darum, armen Menschen den Verzicht nahe zu bringen. Im Gegenteil, dass kürzlich gefasste Urteil zum Leistungsbezug[1] von Hartz 4–Empfängern ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Natürlich sind Menschen- und Existenzrechte nicht vom Wohlwollen einer Bundesagentur für Arbeit abhängig. Die Würde des Menschen ist unantastbar und arme Menschen verzichten schon genug.

Natürlich hängen Armut, Reichtum und die daraus resultierenden Ungleichgewichte mit dem Klimawandel zusammen. Und natürlich haben arme Menschen einen wesentlich geringeren CO2–Fußabdruck und sie sind für die Misere, im Gegensatz zu den reichen Menschen, kaum verantwortlich.

Wir wurden süchtig

Unser gesamtes Leben und unsere Wirtschaft hängen am Tropf des Kohlenstoffes. Wir sind süchtig geworden wie Heroin-Junkies. Wir müssen unsere Emissionen aber sehr stark reduzieren bzw. komplett auf null setzen. Andernfalls, so die Wissenschaftler, wird das Klimaproblem in 30 Jahren definitiv nicht mehr lösbar sein. Es ist wie bei einem Heroin-Junkie, der sich jahrelang berauscht hat und nun mitgeteilt bekommt, dass das Heroin ausgeht bzw. wenn er weiterhin Heroin einnimmt, sein Leben zu Ende geht. Jeder ernst zu nehmende Arzt wird ihm raten, auf das Heroin zu verzichten, unabhängig davon, wie die Versorgungslage auf dem Drogenmarkt aussieht. Alle anderen Heroinsüchtigen werden natürlich anmerken, dass Verzichtsdebatten nicht überzeugen. Vielleicht wird sich der Arzt auch schnell überreden lassen, denn eine Verzichtsdebatte ist auch für ihn möglicherweise auch nachteilig. Die Patienten könnten ausbleiben.

Genau in diesem Dilemma befinden wir uns, entweder das Heroin geht aus oder die Natur zwingt uns, auf das Heroin zu verzichten. Die Natur stellt uns entweder wegen der zunehmenden Knappheit keine Kohle, kein Öl und kein Gas zur Verfügung oder sie stellt uns vor die Alternative, auf das Verbrennen dieser Stoffe zu verzichten, um die Klimakatastrophe vielleicht noch in den Griff zu bekommen.

Aufgabe eines Wirtschaftsministers ist es, zu überlegen, wo verzichtet werden kann, und zwar so, dass es zu keinen gesellschaftlichen Verwerfungen kommt. Dies ist natürlich eine sehr schwere Aufgabe, obwohl – der Verzicht auf den Geschwindigkeitsrausch auf der Autobahn ist durch eine sehr einfache Gesetzesänderung zu bewerkstelligen. Die Heilung des geschwindigkeitsabhängigen Autofahrers ist, im Gegensatz zu anderen Suchtkrankheiten[2], keine große Herausforderung. Sowohl der oben genannte Heroinsüchtige als auch der Arzt würden die Drogensucht am einfachsten bekämpfen können, wenn der Heroinsüchtige erklärt, er mache weiter wie bisher, verzichte nicht auf die Drogen, aber denkt sich neue, freiwillige Lösungsmöglichkeiten aus. Dies wäre für alle Beteiligten das Patentrezept – freiwillige Beschränkungen.

Genauso wie ein Heroin-Junkie nicht die Gesundheitstipps der Apotheker-Zeitung berücksichtigt, befolgen wir nicht die Anweisungen des Intergovernmental Panel Climate Change der Vereinigten Nationen (Weltklimarat). Schon im Jahre 2014 weist der konservative IPCC darauf hin, dass sofort gehandelt werden muss, um annähernd die Pariser Klimaziele zu erreichen. Selbst wenn diese Ziele umgesetzt werden, ist die Klimakatastrophe nicht abgewendet, dann müssen die nächsten Schritte erfolgen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Emissionen seit 2014 stetig gewachsen sind und nichts ist passiert. Das stimmt natürlich nicht, denn der Wirtschaftsminister warnt doch eindringlich vor Verzichtsdebatten und die Fraktion der Heroinabhängigen werden das bestätigen – Verzicht ist ganz schlecht.

Klar, jeder Mensch möchte nicht verzichten. Ich im Übrigen auch nicht, weil ich ebenfalls abhängig bin und auch Benzin und Diesel verbrenne. Aber darum geht es ja auch gar nicht, denn freiwillige Änderungen im Konsumverhalten sind meistens kurzfristig und wenig nachhaltig. Es geht nicht um individuelle Verhaltensänderungen, sondern um die Notwendigkeiten die Politik zu verändern. Politik hat eben nicht die Aufgabe, mit den Dealern zu paktieren und den Wählern Heroin zu verkaufen, um dann das Schicksal herauszufordern. Das Gegenteil von Schicksal ist Politik und die muss die Probleme lösen und die Menschen vernünftig aufklären, denn die Tatsachen liegen doch schon seit über 30 Jahren auf dem Tisch. Es ist das größte Menschheitsproblem aller Zeiten und kann nicht dadurch gelöst werden, indem kleine, freiwillige Verhaltensänderungen stattfinden. Dies wird man auch keinem Heroinabhängigen empfehlen. Außerdem wird es auch den Dealern an den Kragen gehen und die Arbeitsplätze in der drogenverarbeitenden Industrie sind keineswegs sicher.

Niemand kann sagen, das habe ich nicht gewusst

„Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat eine Restmenge errechnet, die Deutschland ab 2020 überhaupt noch emittieren darf: 6.600 Mio. Tonnen CO2. Angesichts der derzeitigen jährlichen deutschen Treibhausmengen würde dieses Budget nur für knapp acht Jahre reichen,“[3] denn Deutschland ist der drittgrößte Pro-Kopf-Klimasünder der Welt und stößt knapp 900 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr aus. Wir hätten schon vor über 30 Jahren anfangen müssen, dieses Problem zu lösen. In den 1980-er Jahren tagte doch bereits eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Erderwärmung. In dieser Zeit waren wir vielleicht nur von leichten Drogen abhängig, da wir damals noch über ein volkswirtschaftliches Instrumentarium jenseits der neoliberalen Ökonomie verfügten, denn oftmals sind staatliche Vorgaben  zielführender als liberale Freiwilligkeit. Was macht nun ein Heroin-Junkie, der derartige Probleme hat: Ein großer Teil leugnet das Problem und ein anderer Teil wird sich der Beschaffungskriminalität hingeben, um an die letzten Reste des Stoffes zu kommen. Verzicht will keiner üben, so krank ist doch kein Heroinabhängiger – das geht ja gegen den gesunden Menschenverstand.

Was weiß der Wirtschaftsminister

Es dreht sich bei allen Süchten immer um das Verzichten, und ein Wirtschaftsminister muss imstande sein, auch Verzichtsdebatten zu führen. Wenn ich übergewichtig wäre, würde ich Ärzte präferieren, die mir sagen, dass Verzichtsdebatten überflüssig sind. Es ist doch überhaupt nicht erwiesen, dass eine Reduzierung der Nahrungsaufnahme zu einer Gewichtsabnahme führt. Das sind doch Scheindebatten. Das Gewicht lässt sich viel besser mit Produkten zum Abnehmen reduzieren. Das sind dann Geschäftsmodelle und die sind dann gut für die Wirtschaft. Auch hier gilt – wir dürfen das Abnehmen nicht erleichtern, sonst gehen Arbeitsplätze in der gesundheitsschädigenden Industrie verloren.

Herr Altmeier überrascht mich immer wieder. Erst vor kurzem hat er sich zu Gaia  geäußert, nun bringt er mit der Bundesregierung eine steuerfinanzierte Broschüre heraus, die die Klimafrage neu denkt und vor Verzichtsdebatten warnt.  Wie sympathisch war doch der Herr Altmaier im Jahre 2012, denn „Kinder, Betrunkene und neu ins Amt berufene Minister sagen die Wahrheit. So war der zufällig Bundesumweltminister gewordene CDU-Politiker Peter Altmaier erstaunt, als ihm gleich nach Amtsantritt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) eine Studie vorlegte und damit die Forderung an die Regierung verband, sie möge doch bitte dafür sorgen, dass künftig das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werde. Altmaier sagte verlegen lächelnd, das höre sich ja gut an, er könne sich aber nicht recht vorstellen, wie das gehen solle. Mit diesem Zweifel lag der Minister in der Sache durchaus richtig, aber schon wenige Wochen später, auf dem Weltrettungsgipfel „Rio +20“ im Juni 2012, konnte er bereits mitteilen, dass die Zukunft der Erde gefährdet sei, wenn man das Wirtschaftswachstum nicht vom Ressourcenverbrauch entkoppele.“[4]

Heutzutage hat Peter Altmeier stark an Sympathien verloren, weil das kürzlich verabschiedete Eckpunktepapier zum Klimawandel der GroKo  ein klares Politikversagen darstellt. Anders Levermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen jetzt keine politischen Kompromisse, sondern Reduktionen.“

Was bleibt?

Die Heroinabhängigen müssen eigentlich sofort mit dem Drogenkonsum aufhören, die restlichen Bürgerinnen und Bürger sollten ebenfalls sehr zügig damit beginnen, auf das Verbrennen von Benzin, Diesel und Kerosin zu verzichten. Da die Freiwilligkeit tendenziell nicht funktioniert, sind Gesetzesänderungen notwendig. Durch das Verbrennen dieser Stoffe wird die Atmosphäre täglich um mehr als 65 Mio. Tonnen CO2 weltweit belastet. Nach Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der klimaschädliche Ausstoß von Treibhausgasen noch bis 2040 steigen, selbst wenn alle Staaten ihre Zusagen zum Klimaschutz einhalten. Deutschland hat die Klimaschutzziele 2020 nicht eingehalten und wird vermutlich, so die maßgeblichen Klimaexperten, auch die Ziele 2030 nicht annähernd erreichen. Um das Klima zu retten, sollte man wählen gehen und die Äußerungen der Politikerinnen und Politiker genau prüfen, denn sie sind nur glaubhaft, wenn sie auch Verzichtsdebatten führen können. Auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Friday-for-future können Unterstützung dringend gebrauchen.

  

[1] Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit dem kürzlich verkündeten Urteil zwar die Höhe einer Leistungsminderung von 30% nicht beanstandet, weitere Sanktionen sind aber mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

[2] Problematischer ist die Heilung der Smartphone-Sucht. Fraglich ist, ob die zukünftige Digitalisierung das Allheilmittel ist.

[3] Susanne Götze-Riccieri, Prinzip Ignoranz: Klimaschutz a`la GroKo, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 11/19, S. 9.

[4] Harald Welzer, Selbst Denken, Frankfurt am Main, 2013, S. 109 /110.

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