Die Recycling-Lüge und die Müllflut

11. Oktober 2019

Rohöl ist ein fantastischer Stoff – eine einzige Probe enthält hunderte, völlig unterschiedliche Kohlenwasserstoffmoleküle. Durch Destillation in einer Raffinerie werden sie sortiert und veredelt. Durch den Veredelungsprozess konnte die Menschheit zunächst Gase wie Propan und Butan herstellen. Dann kam Benzin hinzu, später Kerosin und Diesel. Die Geburtsstunde der petrochemischen Industrie begann, als man technisch imstande war, große Molekülketten zu halbieren und kleine Moleküle zusammenzukleben. Indem Erdölderivate vermischt werden, entstehen Kunststoffe, die unser Leben komplett verändert haben.

 Wir wurden süchtig

 Wir wurden abhängig vom Kunststoff. Um einen Kilo Kunststoff zu produzieren, werden zwei Kilo Erdöl benötigt. Ein Leben ohne Telefone, Handys, Fernseher, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Computer usw. scheint den meisten Menschen, zumindest in den Industrieländern, unvorstellbar. Ohne Öl gäbe es keine Eimer, Matratzen, PET-Flaschen, CDs, USB-Sticks, Teppichböden und Kleidung. Selbst Dinge wie Autoreifen, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger wären ohne Öl sehr viel schwieriger herzustellen. Unsere Körperpflege würde sich ohne Parfüms, Lippenstifte, Seifen und Haarsprays anders darstellen. Die Herstellung von bestimmten Medikamenten wäre in bestimmten Bereichen nicht möglich. Eine handelsübliche Tablette, die zwischen 300 und 500 Milligramm (mg) wiegt, enthält 20 bis 50 mg Erdöl, zwar nicht als Wirkstoff, sondern als Hilfsstoff (Trägerstoff). Es gibt aber auch eine Vielzahl von Tabletten, die den Wirkstoff Erdöl enthalten, zum Beispiel das bekannte Schmerzmittel Ibuprofen oder die Nasentropfen Olynth. Gegenwärtig ist die pharmazeutische Industrie zu annähernd 100 Prozent abhängig vom Erdöl. Unsere billigen und leichten Verpackungen bestehen ebenfalls komplett aus Erdöl. Die Liste lässt sich noch fortführen. Im Grunde genommen hängt unsere gesamte Lebensführung vom Öl ab. Öl ist sehr knapp und wir sollten damit vernünftig wirtschaften.[1] Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass die lebenswichtigen Produkte auf unbestimmte Zeit für die zukünftigen Generationen produziert werden können.

Die zweite Seite der Medaille

 Plastik besteht aus Erdölderivaten und es lässt sich billig und leicht herstellen. Es ist vielseitig verwendbar und Fluch und Segen zugleich. denn wir vermüllen unsere Ozeane und die gesamte Natur mit Plastik. Die Herstellung von Plastikprodukten ist im Vergleich zu den 1980er Jahren um 900 Prozent gestiegen. Diese Produkte werden weltweit selten vernünftig entsorgt, sondern gelangen durch Flüsse, Überschwemmungen und Schiffe, ins offene Meer. »Insgesamt wird der jährlich in die Weltmeere gelangende Müll auf zehn Millionen Tonnen geschätzt – das entspricht durchschnittlich einer LKW-Ladung pro Minute.«[2] Plastik ist sehr langlebig und es braucht circa 400 Jahre, um zu verrotten. Die Auswirkungen dieses Mülls sind für das Ökosystem der offenen Meere immens. Problematischer als der offensichtliche Plastikmüll ist das Mikroplastik, das sich allmählich in unsere Nahrungskette einschleicht. Wenn Mikroplastik über Abwasser und auch Regenwasser im Meer angekommen ist, kann es nicht mehr entfernt werden. Mikroplastik besteht aus festen und biologisch nicht abbaubaren synthetischen Polymeren, die kleiner als fünf Millimeter sind. Synthetische Polymere werden in der Kosmetik- und Körperpflegeindustrie eingesetzt. Trotz erheblicher Risiken bei der Verwendung ist ein Verbot von Mikroplastik scheinbar nicht durchsetzbar. Leider setzt das Bundesumweltministerium, wie so oft, nur auf freiwillige Vereinbarungen.

In verschiedenen Tageszeitungen konnte man im März 2018 lesen, dass sich Mikroplastik in allen west- und süddeutschen Flüssen befindet. Die Umweltämter aus fünf verschiedenen Bundesländern zogen 52 Proben aus 25 Flüssen. In allen Proben war Mikroplastik nachweisbar. Demnach befinden sich die kleinen Fragmente aus Kunststoff nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch direkt vor unserer Haustür und schleichen sich in unsere Nahrungskette ein; auch wurde schon Mikroplastik im Menschenblut nachgewiesen. Kein Wunder -Mikroplastik ist schon Teil unserer Nahrungskette. „Jeder Mensch auf der Welt, so errechneten australische Forscher jüngst, nimmt pro Woche fünf Gramm Mikroplastik über Atemluft, Essen, Kosmetik und insbesondere Getränke zu sich – das entspricht in etwa dem Gewicht einer Kreditkarte.“[3]

Die Recyclinglüge

Damit kein falscher Eindruck entsteht – Produktionen sind grundsätzlich nicht umkehrbar. Es ist definitiv nicht möglich, aus beispielsweise einem Holzschreibtisch wieder einen Baum herzustellen. Wir können aber bestimmte Fertigprodukte recyclen. Das bedeutet, dass im Rahmen der Müllverwertung Abfallprodukte wiederverwertet werden. Somit lassen sich aber nur Sekundärrohstoffe wiederherstellen. Primärrohstoffe sind logischerweise endlich, weil die Erde begrenzt ist.

Seit 1994 hat sich in Deutschland der Plastikmüll verdoppelt auf 38 Kilogramm pro Person pro Jahr. Im EU-Durchschnitt fallen allerdings nur 24 Kilogramm pro Person pro Jahr an. Der Plastikberg in Deutschland wächst und wächst und wächst. Nur ein sehr kleiner Teil davon wird recycelt. Trotz Mülltrennung ist Deutschland eben nicht der große Plastikmüllvermeider und erst recht nicht der Recyclingweltmeister . Im Jahr 2017 fielen 5,2 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle an. Davon wurden nur 810.000 Tonnen wiederverwertet, damit betrug die Quote nur 15,6 Prozent. „Setzt man allerdings dieser wiederverwendete Kunststoff ins Verhältnis zur Neuproduktion, kommt man mit dem Abfallexperten des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, Henning Wilts, auf lediglich 5,6 Prozent.“[4]

Recycling wird das Plastikmüll-Problem nicht lösen. Die wachsende Müllflut kann nur durch die Eindämmung der Plastikproduktion gemindert werden. Also muss eine rigorose Streichung der Steuervorteile im Bereich des Rohöls für die petrochemische bzw. chemische Industrie erfolgen. Subventionen gehören ebenfalls auf den Prüfstand. Außerdem ist die Bekämpfung des Mikroplastik ohne rechtlich verbindliche Maßnahmen, und dazu gehören auch Verbote, reine Symbolpolitik.  Auch darf bezweifelt werden, dass die im Jahre 2021, von der EU verhängten, geltenden Verbote von Plastikluftballonstilen und Plastikwattestäbchen die Müllflut bändigen können.

[1] Die Folgen der Rohölförderung für den Klimawandel  habe ich in vielen Blogs dargestellt.

[2] Nadja Ziebarth, Ein Meer aus Plastik: Die Vermüllung unserer Ozeane, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2017, S. 72

[3] Annett Mängel, Plastik global: Die große Recyclinglüge, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2019, 8/19, S. 25

[4] Annett Mängel, Plastik global: Die große Recyclinglüge, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2019, 8/19, S. 26

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