Die Schuldenbremse ist schuld

22. November 2023

»Wenn Verhalten, das zum Wahnsinn führt, in einer Gesellschaft als normal gilt, lernen die Menschen, um das Recht zu kämpfen, sich daran zu beteiligen.« (Ivan Illich)

Seit über vierzig Jahren wurde die Ökonomie von der neoliberalen Wirtschaftspolitik (Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung der Märkte) geprägt. Glücklicherweise werden mittlerweile neue Sichtweisen, wie beispielsweise die Modern Monetary Theory (MMT), breit diskutiert. Die Geldtheorie der MMT geht grundsätzlich davon aus, dass der Staat Geld schöpfen kann, da er ohnehin Geld als gesetzliches Zahlungsmittel deklariert. Außerdem hat der Staat die Macht, Steuern zu erheben die ausschließlich in der heimischen Währung aufzubringen sind. Die MMT betont somit den Einfluss auf den Geldwert durch die Regierungspolitik. Damit ist eine neue Perspektive »auf den Staat, seine Finanzierung und die Steuerung von Inflation und Arbeitslosigkeit entstanden.«[1] Nun könnte man erwarten, dass die gewählte Ampel-Regierung eine aktive Fiskalpolitik betreibt. Dies ist aber nicht so. Stattdessen wird die Fiskalpolitik durch die Schuldenbremse gebremst.

Die Schuldenbremse

Nach der Finanzkrise 2007/2008 beschloss die damalige Koalition aus CDU und SPD diese Schuldenbremse in das Grundgesetz aufzunehmen. Diese Regel im Grundgesetz sieht vor, dass sich der Bund mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr zusätzlich verschulden darf. Dies kann bei einer schwächelnden Konjunktur auch etwas höher ausfallen. Nun hat ausgerechnet diese Schuldenbremse die Klimapolitik der Bundesregierung in eine Schieflage gebracht. Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November 2023 der Regierung untersagt, eine ursprüngliche Kreditermächtigung für Coronahilfen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds zu verschieben. Damit ist dieses klimapolitische Instrument nun unterfinanziert und weitere Schulden lässt die Schuldenbremse nicht zu.

Aktive Finanzpolitik – Fehlanzeige

Deutschland ist einer der wenigen Länder der Erde, die überhaupt eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert haben. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) war die treibende Kraft. Inzwischen ist er der Auffassung, dass dieser Verfassungsartikel, der erst 14 Jahre existiert, nicht mehr zeitgemäß ist. Die Erzählung der Schuldenbremse ist immer gleich – wir wollen der zukünftigen Generation keine Schulden hinterlassen und außerdem kann nur so viel Geld ausgegeben werden, wie vorhanden ist. Wenn von Staatsausgaben geredet wird, meint man das Geld der Steuerzahler. Aha, die Steuerzahler stellen dem Staat Geld zur Finanzierung zur Verfügung. Stimmt das überhaupt? Hat der Staat kein eigenes Geld, sondern nur das Geld der Steuerzahler? Ansonsten müsste sich der Staat verschulden, dass geht aber angeblich zu Lasten der zukünftigen Generation. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn die Sparpolitik bremst den Umbau zu einer nachhaltigen Ökonomie aus. Somit wird eine viel größere Schuld vererbt. Neben einer maroden Infrastruktur und einer kaputtgesparten Bildung können wir dann der zukünftigen Generation auch noch eine unvorstellbare ökologische Schuld präsentieren. Dies kann keine zielführende Finanzpolitik des Staates sein. Um sich einer aktiven Fiskal- und Finanzpolitik zu nähern, muss die Erkenntnis Platz greifen, dass das Geld, das sich die Regierung besorgt, nicht vom Steuerzahler stammt, sondern es ist das Geld der eigenen Zentralbank.

Bis zur Finanzkrise 2007/2008 galt das ungeschriebene Gesetz, dass Zentralbanken »regelbasiert, quasiwissenschaftlich agieren«[2] sollen. Bis dahin wurde die Fiskalpolitik streng von der Geldpolitik getrennt. Für die Fiskalpolitik war der Finanzminister zuständig. Die Geldpolitik lag in den Händen der Zentralbanken. Mittlerweile hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass Geldschöpfung identisch ist mit der Kreditschöpfung. Dies müsste auch ein Christian Lindner wissen. Weiß er vermutlich auch, kommuniziert es aber nicht, will es auch nicht diskutieren. Das Narrativ von der Schwäbischen Hausfrau ist auch viel leichter zu verstehen. Diese Erzählung mag für den Haushalt und den Unternehmen richtig sein, für die Volkswirtschaft ist sie aber falsch, denn »Geldschöpfung beinhaltet demnach Kreditschöpfung, was zugleich heißt, dass bei der Geldschöpfung der neu geschaffenen Menge an Geld eine gleich große Menge an Schulden gegenübersteht. Geld kann im Gegensatz zu handelbaren Gütern folglich nur entstehen (geschöpft werden), wenn zugleich Schulden geschaffen werden.«[3] Viele Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaften berücksichtigen nicht die Art und Weise, wie in der heutigen Zeit Geld geschaffen wird. Es ist nicht so, dass die Bevölkerung spart, also Konsumverzicht übt, um den Banken Geld zur Verfügung zu stellen. Diese Ersparnisse nutzen dann die Unternehmen um Kredite für ihre Investitionen von der Bank zu erhalten. Genau diese falsche Erzählung findet man in vielen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern. Es ist genau umgekehrt, durch die Kreditvergabe wird Geld geschöpft. Die Banken produzieren Geld, indem sie Kredite vergeben. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass das existierende Geld erst erwirtschaftet worden ist. Im Gegenteil – uns würde das Geld ausgehen, wenn sich niemand mehr verschulden würde. Dieses Fiat-Geld[4] entsteht durch Anweisungen der Geschäftsbanken und der Zentralbanken.

»Der Erkenntnisstand ist hoch, der Handlungsstand dagegen dürftig.« (Rudolf Hickel)

»Die Erkenntnis, dass Kredite Einlagen schaffen und nicht umgekehrt, ist inzwischen anerkannte Lehrmeinung, wenngleich sie in den meisten Curricula noch nicht angekommen ist.« (Joscha Wullweber) Die Bank von England gestand nach der Finanzkrise ein, dass »Darlehen Einlagen schaffen«. Heutzutage glauben viele Menschen immer noch, dass es umgekehrt sei. Man benötigt aber weder die internationalen Finanzmärkte noch die Steuergelder, um den Staat zu finanzieren. Theoretisch könnte der Staat seine Anleihen auch direkt an die Zentralbank verkaufen. Dies war seit den achtziger Jahren Tabu. Seit der Coronakrise wurde diese rote Linie, nämlich die strikte Trennung von Finanz- und Geldpolitik, verlassen. Die bis dahin vorherrschende Überzeugung erlaubte es den Zentralbanken nicht, Staatsausgaben zu finanzieren. Eine direkte Finanzierung der Staatsausgaben ist aber möglich, wenn die Zentralbanken bereit sind, den Regierungen Staatsanleihen abzukaufen. Dies ist auch schon teilweise gängige Praxis. Trotzdem wird der Mythos der politisch unabhängigen, autonomen und neutralen Europäischen Zentralbank aufrechterhalten. Die amerikanische Zentralbank FED hat jedenfalls kein Problem damit, bestimmte Ideologien über Bord zu werfen. Um effektiv handeln zu können, könnte man -für eine gewisse Zeit- die Schuldenbremse aussetzen. Wenn sie aus politischen Gründen nicht abgeschafft werden kann, sollte man sie zumindest für Zukunftsinvestitionen ruhen lassen.

Scheut der Finanzminister effektive fiskalpolitische Maßnahmen oder erzählt er uns, obwohl er es besser wissen müsste, gerne das Märchen von der Schwäbischen Hausfrau? Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann und muss die, nicht zielführende, Austeritätspolitik fortgesetzt werden. Somit erschweren die zu erwartenden Sparmaßnahmen Investitionsprogramme für den Klimaschutz und die Zukunftschancen zukünftiger Generationen werden geschmälert. Die Schuldenbremse gehört dringend auf den Prüfstand. Sie wurde bis jetzt zweimal (ausnahmsweise) ausgesetzt. Einmal wegen der Corona-Krise (2020 und 2021) und wegen des Ukraine-Krieges (2022). Offensichtlich sind auch zukünftig immer mehr Krisen zu bewältigen. Dann wird aus der Ausnahme die Regel.


[1] Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus, Berlin, 2021, S. 11.

[2] Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus, Berlin, 2021, S. 32.

[3] Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus, Berlin, 2021, S. 82.

[4] Fiat, Latein für »es geschehe«.

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