Die Geldpolitik

09. August 2020

Ein Kerl, der spekuliert, / Ist wie ein Tier auf dürrer Heide, / Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, / Und rings umher liegt schöne, grüne Weide.

J.W. Goethe, 1808

Die Geldpolitik wird in Europa von einer unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB) gestaltet. Da die EZB autonom agiert (beziehungsweise agieren sollte), haben die Regierungschefs (theoretisch) keine Möglichkeit die Geldpolitik zu beeinflussen. Der Zentralbank stehen zum einen die Refinanzierungsinstrumente (Offenmarktgeschäfte, ständige Fazilitäten) und zum anderen die Mindestreservepolitik als geldpolitisches Instrumentarium zur Verfügung. Um die Geldmenge zu steuern, kommt meistens die Mindestreservepolitik zur Anwendung, weil sie sehr wirkmächtig ist. Somit verfügt die EZB über ein Instrument, mit dem sie schlagartig große Mengen von Zentralbankgeld binden oder freigeben und damit vor allem den Geldmarkt steuern kann. Geschäftsbanken müssen sich verpflichten, einen Teil der Einlagen als Mindestreserven bei der EZB zu halten.

Die Erhöhung der Mindestreservesätze

 Wie wirkt sich nun eine Erhöhung der Mindestreservesätze aus? Zunächst haben die Kreditinstitute weniger Geld zur Verfügung. Somit sinkt die Liquidität der Banken, und ihr Bedarf an Zentralbankgeld steigt. Damit wird das Zinsniveau am Geldmarkt steigen. Diese Tendenz wird sich auf dem Kapitalmarkt und dem Bankeinlagenmarkt fortsetzen, denn die Rentabilität der Kreditinstitute sinkt, so dass sie versuchen werden, diesen Nachteil in Form höherer Kreditzinsen an ihre Kunden weiterzugeben. Infolge der gestiegenen Zinsen wird schließlich die Kreditnachfrage sinken und der Multiplikator für die Giralgeldschöpfung verringert sich.[1]

Der Geldschöpfungsmultiplikator

 Geld verhält sich volkswirtschaftlich nicht neutral. Wenn nun Einzahlungen in das Geldsystem fließen, können die Geschäftsbanken auf der Grundlage einer bestimmten Überschussreserve (= frei verfügbares Zentralbankgeld) ein Vielfaches dieses Betrages an Krediten gewähren. Der Geldschöpfungsmultiplikator gibt somit das Vielfache der ursprünglichen Überschussreserve an, dass die Geschäftsbanken an Krediten vergeben und entsprechend Geld schöpfen können.

So weit, so Binse. Dies war ein kleiner Ausflug in die volkswirtschaftliche Geldtheorie. Ich erspare mir eine Kritik an diesem Instrumentarium, möchte aber auf einen wichtigen Zusammenhang hinweisen. Geld kommt immer als Kredit in die Welt. Da in unserem Geldsystem Kredite Zinsen nach sich ziehen, hat dies erhebliche Konsequenzen, denn es gibt immer und zu jedem Zeitpunkt mehr Schulden als Geld. Also ist die Verarmung zwangsläufig im System implementiert, jemand muss verarmen – wenn nicht wir, dann die anderen. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang:  Eine beliebige Geschäftsbank stellt eine Kreditsumme von 1 Millionen Euro zur Verfügung und möchte im Gegenzug 7 Prozent Zinsen erhalten, Kreditlaufzeit: 10 Jahre. Tausend Bankkunden fragen jeweils einen Kredit über 1.000,00 Euro nach. (1000 Pers. x 1.000,00 Euro= 1 Mill. Euro).  Nach der bekannten Zinseszinsformel muss nun nach 10 Jahren jeder Kunden 1.967,15 Euro, also ungefähr 2.000,00 Euro, zurückzahlen. Aus einem Bargeldvolumen von einer Millionen Euro ist ein Schuldenberg von 2 Millionen Euro erwachsen. Aus der mathematischen Logik ergibt sich, dass es in diesem Zusammenhang viele Verlierer geben wird, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Die Banken leben aber von solchen Geschäften.

Die Reise nach Jerusalem

Der graduierte Philosoph und Mathematiker Charles Eisenstein verglich das Geldsystem mit der Reise nach Jerusalem[2] und J.W.v.Goethe sprach von einem bösen Geist, der uns im Kreis herumführt.[3]  Beim bekannten Spiel – Die Reise nach Jerusalem –  sind mehr Menschen als Stühle vorhanden. Die Menschen gehen mit Musikbegleitung um die Stühle bis die Musik stoppt. Nun muss sich jeder einen (knappen) Stuhl ergattern und die Drängelei führt dazu, dass die Starken, Schnellen und die, die Glück haben einen Stuhl besetzen. „So wie bei der Reise nach Jerusalem steht jeder in Konkurrenz mit allen anderen um das niemals ausreichende Geld. Die >Starken, Schnellen und die, die Glück haben< erhalten einen >Stuhl< – das Geld, das sie brauchen, um materielle Sicherheit zu genießen – und die Schwachen, die Unglücklichen und die Benachteiligten nicht. … Es ist ein System, das durch und durch auf die Maximierung von Eigeninteresse beruht und deshalb verlangt, dass wir andere für unsere Zwecke instrumentalisieren.“[4]

Ist die Reise nach Jerusalem nun Ausdruck der menschlichen Natur? Nein, es sind nur Spielregeln und die lassen sich auch ändern. Die Geldpolitik ist kein Naturgesetz, sondern anthropogen. Zweifelsohne lässt sich die neoliberale Geldpolitik auch anders gestalten. In der Corona-Krise wurde die viel beschworene Austeritätspolitik ja auch mit einem Handstreich abgeschafft. Ob Offenmarktpolitik, ständige Fazilitäten oder Mindestreservepolitik – kein Naturgesetz schreibt uns vor, dass Geld mit diesen Instrumenten entstehen muss.  Geld ist doch nur ein soziales Abkommen darüber, was in unserer Volkswirtschaft Wert besitzt. Wir können unsere gesellschaftlichen Wertvorstellungen auch anders ausrichten.  Der im letzten Jahr verstorbene SPD-Politiker Erhard Eppler hat es auf den Punkt gebracht und stellte die Frage: „Wollen wir eine Politik, die vorhandenes Bewusstsein spiegelt, oder wollen wir durch politisches Handeln Bewusstseinsveränderungen vorantreiben?“[5]

[1] Für die Reservesatzsenkung gelten die Wirkungen analog.

[2] Vgl. Charles Eisenstein, Klima, Eine neue Perspektive, Berlin-München-Zürich-Wien, 2019, S. 294 ff

[3] Siehe o.g. Zitat

[4] Charles Eisenstein, Klima, Eine neue Perspektive, Berlin-München-Zürich-Wien, 2019, S. 296, 297

[5] Erhard Eppler, Ende oder Wende, München, 1976, S.76

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