Zehn Jahre Schuldenbremse

04. Mai 2019

Beim CDU-Parteitag in Stuttgart am 1. Dezember 2008 sagte Angela Merkel: „Man hätte hier in Stuttgart, in Baden-Württemberg, einfach nur eine schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Das ist der Kern der Krise. Genau das ist es, liebe Freunde, so einfach ist das.“

Ist es wirklich so einfach? 

Friedrich von Hayek formulierte schon im Jahre 1949: Wir müssen die Intellektuellen zu »unserem Glauben bekehren«, denn er war der Auffassung, dass die neoliberale Theorie eine konsequente Weltanschauung sei und am erfolgreichsten durch Journalisten und Lehrer an zukünftige Generationen weitergegeben werden kann. Fundamentalismus und konsequente Weltanschauungen haben der Menschheit allerdings noch nie etwas Gutes beschert. Kann eine Ökonomie eine konsequente Weltanschauung sein, ist sie alternativlos?

Leider hat sich die neoliberale Ökonomie auch in den 1980 er Jahren in Deutschland sukzessive durchgesetzt. Da Neoliberale von Steuerzahlungen allgemein wenig halten, wurden in den 1990 er Jahren die Steuern flächendeckend reduziert bzw. abgeschafft[1]. Die Staatsverschuldung nahm rasant zu. Da Deutschland die neoliberale Ökonomie zur Glaubenssache erklärt hat, wurde folgerichtig vor 10 Jahren die Schuldenbremse eingeführt. Ist das nun ein Grund zu feiern?

Im Jahre 2009 beschloss sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit diese Schuldenbremse, die dann im Haushaltsjahr 2011 erstmalig zur Anwendung kam. Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz Artikel 109, Absatz 3  kodifiziert und besagt, dass die Nettokreditaufnahme des Bundes nicht höher als 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts sein darf. Im Laufe der Jahre zogen immer mehr Bundesländer nach und verabschiedeten ebenfalls in ihren Landesparlamenten eine Schuldenbremse. Wenn Friedrich von Hayek noch leben würde, hätte er mit Sicherheit Deutschland zum Musterland des Neoliberalismus erklärt. Denn Hayeks Denkweise lautet: Der Staat kann nichts, außer Geld verschwenden und Steuern eintreiben um damit die soziale Hängematte zu finanzieren. Kein europäisches Land[2] konnte sich dazu durchringen solch eine Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben. Warum hat in Deutschland die Schuldenbremse Verfassungsrang?

Weil – wir trauen unseren Bürgerinnen und Bürgern und unseren (wankelmütigen) Politikerinnen und Politkern nicht über den Weg und viele Theoretiker des Neoliberalismus vertrauen der Demokratie ohnehin nicht. Regierungen, die durch Mehrheitsentscheidungen zustande kommen, werden als Bedrohung angesehen, weil möglicherweise individuelle ökonomische Freiheitsrechte beschnitten bzw. wirtschaftsfeindliche Beschlüsse gefasst werden können. Tendenziell neigen Neoliberale dazu, Experten und Eliten stärker zu vertrauen als demokratische Willensbildungsprozesse. Hier zeigt sich der antidemokratische Kern neoliberaler Wirtschaftspolitik. Wenn aber neoliberales Gedankengut in der Verfassung festgeschrieben ist, läßt es sich nur schwer ändern. Einer Schuldenbremse einen Verfassungsrang zu geben, war nicht sehr klug. Die politischen Gestaltungsmöglichkeiten und die demokratische Freiheit wurden dadurch erheblich eingeschränkt.[3]

Wie ich schon an vielen Stellen und mehrfach betont habe, kommen gewaltige Investitionen auf uns zu. Die Art der Finanzierung spielt in der ökonomischen Praxis eine untergeordnete Rolle. Wenn die Investitionen „werthaltig“ sind, lassen sie sich problemlos über eine Verschuldung finanzieren. Das weiß jeder Unternehmer und auch jeder Häuslebauer. Die Infrastruktur verrottet in Deutschland, aber wir bestehen auf die schwarze Null. Dann kommt das Argument, wir wollen doch zukünftige Generationen nicht mit Schulden belasten. Das sei doch schließlich ungerecht. Wir hören auf den fridayforfuture – Demonstrationen genau das Gegenteil. Ungerecht sei, so die Schülerinnen und Schüler, dass die zukünftigen Generationen keine Lebensperspektive mehr haben. Wenn wir den Klimawandel ernsthaft bekämpfen wollen, muss sehr viel Geld in die Hand genommen werden um Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Selbst führende Wirtschaftsforschungsunternehmen wehren sich gegen die Verteufelung der Schulden und  konservative Ökonomen kritisieren die starre Schuldenbremse[4]. Wir benötigen dringend massive Zukunftsinvestitionen, die das Überleben der nächsten Generationen gewährleisten. Die schwarze Null bringt in diesem Zusammenhang überhaupt nichts.

Wir müssen uns von der schwäbischen Hausfrau verabschieden

 In der betriebswirtschaftlichen Praxis können Investitionen über das Eigen- oder das Fremdkapital finanziert werden. Da die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen, und vor allem deutscher Banken, sehr gering ist, bleibt häufig nur das Fremdkapital, die Verschuldung, übrig. Die schwäbische Hausfrau hat keine Konkurrenz und demzufolge auch keinen Wettbewerbsdruck, sie unterliegt auch nicht dem kapitalistischen Zwang, Kapital bilden zu müssen. Insofern ist sie nicht gezwungen über ihre Verhältnisse zu leben. Wenn ein Unternehmer eine Verschuldung prinzipiell ablehnen würde, verlöre er definitiv seine Marktanteile. Auch Banken leben förmlich von den Schulden und setzten den Hebel an, um den Leverage-Effekt auszunutzen. Im Übrigen sind die Schulden des einen das Vermögen des anderen. Das bedeutet, der Vergleich mit der schwäbischen Hausfrau ist an dieser Stelle schon vollkommen unrealistisch.

Damit ist der wesentliche Sachverhalt aber noch nicht benannt, nämlich die Gleichsetzung der ökonomischen Disziplinen BWL und VWL. Frau Merkel unterschlägt mit ihrer Aussage, dass sie nicht nur für die Hausfrauen, sprich Betriebe, zuständig ist, sondern für die gesamte Volkswirtschaft. Im Gegensatz zu einem Privathaushalt oder einem Betrieb kann der Staat eine Volkswirtschaft vollkommen anders gestalten. Er kann beispielsweise seine Einnahmen den Notwendigkeiten anpassen. Im Gegensatz zum Betrieb oder einem schwäbischen Haushalt ist der Staat nicht dazu da, für sich selbst zu sorgen, sondern er ist verpflichtet, sich wie ein Treuhänder zu verhalten. Die Gesellschaft kann zu Recht fordern, dass der Staat für Dinge Geld ausgibt, die der gesamten Gesellschaft dienen. Er kann, im Gegensatz zur schwäbischen Hausfrau, beispielsweise Steuern erheben, um das Gemeinwohl zu bewahren. Er kann mit seiner Steuerpolitik auch die Gesellschaft und die Wirtschaft in eine bestimmte Richtung lenken, beispielsweise eine CO2 – Steuer einführen, um den Klimawandel aufzuhalten. Er kann aber auch die Kluft von Arm und Reich verringern, indem er beispielsweise die Vermögensteuer wiederbelebt. Und er kann sich auch selbstverständlich verschulden.

Wir benötigen Zukunfsinvestitionen

Die schwarze Null ist kein Erfolgsmodell, im Gegenteil, dank der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank schmilzen die deutschen Staatschulden wie von selbst. Außerdem lassen sich Zukunftsinvestitionen momentan leicht über Kredite finanzieren. Die fridayforfuture – Demonstranten werden es uns danken. Der Staat darf sich nicht mehr untätig verhalten, sondern muss aktiv gegen den Klimawandel vorgehen. Die Zeiten der Symbolpolitik sind längst vorbei. Entweder der Staat nimmt richtig viel Geld in die Hand und beschließt zukunftsfähige Projekte oder er macht strengere Gesetze gegen Klimasünder. Auch Steuererhöhungen oder die Einführung einer CO2 – Steuer sind natürlich möglich. Die Zeit drängt und die Probleme müssen zügig angegangen werden, denn der Markt wird es kaum richten. Der CO2  – Zertifikatemarkt  war bis jetzt alles andere als ein Erfolgsmodell. Nur von der schwarzen Null zu träumen und an die schwäbische Hausfrau zu glauben führt nirgendwo hin. Insofern bleibt meine Gratulation zum Jubiläum der Schuldenbremse aus.

[1] Beispielsweise wurden die Salz-, Zucker- Gewerbekapitalsteuer abgeschafft. Auch die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben.

[2] Ausgenommen die Schweiz, die Schuldenbremse hat hier ebenfalls Verfassungsrang,

[3] Ich käme als Hausbesitzer auch nicht auf die Idee, zum Notar zu gehen und die Nutzungsrechte unseres Hauses für die Erben, meine Kinder, einzuschränken. Zum Beispiel  im Grundbuch verfügen, dass die Erben das Haus nicht mit Schulden belasten oder verkaufen dürfen. Damit würde ich nicht nur die Freiheit der Erben einschränken, sondern mir auch noch anmaßen, die wirtschaftliche Lage auf dem Immobilienmarkt über den Tod hinaus beurteilen zu können.

[4] So auch Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Er veröffentlichte im März 2019 ein Papier, dass die Schuldenbremse als nicht mehr „zeitgemäß“ bezeichnete.

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