Whatever it takes

10. März 2025

»Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster.« (Antonio Gramsci)

Was ist denn nun passiert? Haben Friedrich Merz und Carsten Linnemann über Nacht die Modern Monetary Theory (MMT) verstanden. Im Wahlkampf sah das noch ganz anders aus. Man konnte die Floskeln nicht mehr hören: Wir haben kein Einnahmen- sondern ein Ausgabenproblem – Die Schuldenbremse wird nicht angerührt und Steuererhöhungen sind Gift für die Wirtschaft –  Die Schuldenbremse bleibt so wie sie ist. Schließlich müsse man mit dem Geld auskommen, dass die Steuerzahler dem Staat zur Verfügung stellen – und so weiter und so fort. Wie gesagt, man konnte es nicht mehr ertragen. Jetzt sind die beiden Herren aber in der Realität angekommen.

Aktive Finanzpolitik – Fehlanzeige

Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) war nach der Finanzkrise 2007/2008 die treibende Kraft der Schuldenbremse. Seitdem ist die Erzählung der Schuldenbremse immer die gleiche – wir wollen der zukünftigen Generation keine Schulden hinterlassen und außerdem kann nur so viel Geld ausgegeben werden, wie vorhanden ist. Wenn von Staatsfinanzen geredet wurde, meinte man das Geld der Steuerzahler. Aha, die Steuerzahler stellen dem Staat Geld zur Finanzierung zur Verfügung. Stimmt das überhaupt? Hat der Staat kein eigenes Geld, sondern nur das Geld der Steuerzahler? Ansonsten müsste sich der Staat verschulden, das geht aber angeblich zu Lasten der zukünftigen Generation. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn die Sparpolitik bremst den Umbau zu einer nachhaltigen Ökonomie aus. Wie soll denn die nötige Infrastruktur für erneuerbare Energien und einer umweltverträglichen Mobilität entwickelt werden, wenn der Staat nicht investiert? Somit wird durch die Schuldenbremse eine noch viel größere Schuld vererbt. Neben einer maroden Infrastruktur und einer kaputtgesparten Bildung können wir dann der zukünftigen Generation auch noch eine unvorstellbare ökologische Schuld präsentieren. Dies kann keine zielführende Finanzpolitik des Staates sein. Um sich einer aktiven Fiskal- und Finanzpolitik im Sinne der MMT zu nähern, muss die Erkenntnis Platz greifen, dass das Geld, das sich die Regierung besorgt, nicht ausschließlich vom Steuerzahler stammt, sondern es ist das Geld der eigenen Zentralbank.

Bis zur Finanzkrise galt das ungeschriebene Gesetz, dass Zentralbanken »regelbasiert, quasiwissenschaftlich agieren«[1] sollen. Bis dahin wurde die Fiskalpolitik streng von der Geldpolitik getrennt. Für die Fiskalpolitik war der Finanzminister zuständig. Die Geldpolitik lag in den Händen der Zentralbanken. Sie wurde als autonome Institution wahrgenommen und die »Geldpresse« konnte politisch nicht missbraucht werden. Mittlerweile hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass Geldschöpfung identisch ist mit der Kreditschöpfung. Dies müsste auch der Ex-Finanzminister Christian Lindner gewusst haben. Wusste er vermutlich auch, kommunizierte es aber nicht, weil es nicht in sein Weltbild passte und weil er die Haushaltsberatungen der Ampelregierung zu Fall bringen wollte. Das Narrativ von der Schwäbischen Hausfrau ist auch viel leichter zu verstehen und zu vermitteln. Diese Erzählung mag für den Haushalt und den Unternehmen bedingt richtig sein, für die Volkswirtschaft ist sie aber falsch, denn »Geldschöpfung beinhaltet demnach Kreditschöpfung, was zugleich heißt, dass bei der Geldschöpfung der neu geschaffenen Menge an Geld eine gleich große Menge an Schulden gegenübersteht. Geld kann im Gegensatz zu handelbaren Gütern folglich nur entstehen (geschöpft werden), wenn zugleich Schulden geschaffen werden.«[2] Sparen führt in einer Volkswirtschaft demzufolge zur Verarmung. Dies ist schwer zu verstehen, weil sich dies für Haushalte und Betriebe anders darstellt und weil die ökonomische Welt vor 40 Jahren eine andere war. Da hatten wir aber noch keinen finanzgetriebenen Turbokapitalismus und keine neoliberale Wende. Die Banken hingegen waren selbst in dieser Zeit keine reinen Finanzintermediäre.[3]

Viele Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaften berücksichtigen nicht die Art und Weise, wie in der heutigen Zeit Geld geschaffen wird. Es ist nicht so, dass die Bevölkerung spart, also Konsumverzicht übt, um den Banken Geld zur Verfügung zu stellen, um wiederrum den Unternehmen Kredite zu gewähren. Es ist genau umgekehrt, durch die Kreditvergabe wird Geld geschöpft. Dieses Fiat-Geld[4] entsteht durch Anweisungen der Geschäftsbanken und der Zentralbanken. Vereinfacht könnte man also sagen, dass die Verschuldung Vermögen schafft, und das Lebenselixier des Kapitalismus ist die Verschuldung. Sowohl den Kapitalismus als auch die Verschuldung sollte man deshalb durchaus kritisch beurteilen. Mittlerweile konnte der Nachweis erbracht werden, dass alle Länder, die ein hohes privates Geldvermögen aufgebaut haben, auch über eine hohe Verschuldung verfügen. Also ergibt sich folgender Zirkelschluss: Die Geldmenge wächst, wenn die Wirtschaft wächst. Und umgekehrt gilt: Die Wirtschaft wächst, wenn die Geldmenge wächst. Damit kommen wir zur wichtigsten Person im Kapitalismus, dem Schuldner. Er ist der zentrale Akteur, er ermöglicht die Gewinne der anderen. 

»Der Erkenntnisstand ist hoch, der Handlungsstand dagegen dürftig.« (Rudolf Hickel)

»Die Erkenntnis, dass Kredite Einlagen schaffen und nicht umgekehrt, ist inzwischen anerkannte Lehrmeinung, wenngleich sie in den meisten Curricula noch nicht angekommen ist.« (Joscha Wullweber) Die Bank von England gestand nach der Finanzkrise ein, dass »Darlehen Einlagen schaffen«. Heutzutage glauben viele Menschen immer noch, dass es umgekehrt sei. Man benötigt aber weder die internationalen Finanzmärkte noch die Steuergelder, um den Staat zu finanzieren.

Theoretisch könnte der Staat seine Anleihen auch direkt an die Zentralbank verkaufen. Dies war seit den achtziger Jahren Tabu. Seit der Coronakrise wurde diese rote Linie, nämlich die strikte Trennung von Finanz- und Geldpolitik, verlassen. Die bis dahin vorherrschende Überzeugung erlaubte es den Zentralbanken nicht, Staatsausgaben zu finanzieren. Eine direkte Finanzierung der Staatsausgaben ist aber möglich, wenn die Zentralbanken bereit sind, den Regierungen Staatsanleihen abzukaufen. Dies ist auch schon teilweise gängige Praxis. In der gegenwärtigen Situation wird darüber berichtet, dass sich die Regierung das Geld für das Sondervermögen über den Kapitalmarkt besorgen will.

Die aktuelle Politik

Die Ampelkoalition kam am Ende des Jahres 2024 in schwieriges Fahrwasser, weil die Ausgaben des Bundes in diesem Jahr ungefähr 465,7 Milliarden Euro, die Einnahmen hingegen nur rund 440,6 Milliarden Euro betrugen. Somit ergab sich ein Finanzierungsdefizit von circa 25 Milliarden Euro. Die Regierung drängte auf eine Lösung und eine Zusammenarbeit mit der CDU/CSU wurde in dieser Frage nicht ausgeschlossen. Da eine 2/3 Mehrheit für eine Grundgesetzänderung erforderlich ist, kam eine zielführende Reform der Schuldenbremse vor der Bundestagswahl nicht zustande. Die CDU/CSU wehrte sich, sie wollte sich im Wahlkampf als Schuldenbremser generieren und die Ampelpartei FDP war ohnehin dagegen. Stattdessen sollten Neuwahlen für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Im Wahlkampf wurden von Seiten der CDU/CSU und der FDP die immer gleichen Narrative (siehe oben) verbreitet.

Im Wahlkampf ahnte man schon, dass diese Argumentation nicht durchzuhalten ist. Nach Beendigung des Wahlkampfs wurde die CDU/CSU stärkste Partei und Friedrich Merz soll nun Kanzler werden. Nach der Wahl hielten Friedrich Merz und Carsten Linnemann immer noch an der Schuldenbremse fest, bis zum 28.Februar 2025. An diesem Tag kam es zum Eklat im Weißen Haus. Der amerikanische Präsident vergriff sich gehörig im Ton, überzog den ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit Vorwürfen und drohte mit der Einstellung weiterer Militärhilfen. Auf einmal war die ganze Welt in Alarmbereitschaft. In Europa traute man seinen Ohren nicht und Deutschland machte sich von einem Tag auf den anderen daran, über Lockerungen der Schuldenbremse und über weitere Sondervermögen nachzudenken. Zwei Sondervermögen stehen zur Diskussion. Einmal rund 400 bis 500 Milliarden für die Verteidigung und zum Zweiten ungefähr 500 Milliarden für den Ausbau der Infrastruktur in Deutschland. Fraglich ist, woher das Geld dann herkommen soll.

Friedrich Merz will das Problem lösen und verkündete: »Whatever it takes«. Dieser Ausspruch geht auf den damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zurück, der im Jahr 2012 alles dafür tat, die Deflation einzudämmen. Draghi hatte über viele Jahre riesige Geldsummen mobilisiert, um das Deflationsproblem zu lösen. Heute, inzwischen haben wir aber eine Inflation, wird ebenfalls sehr viel Geld benötigt, um Infrastruktur und Verteidigung aufzubauen. Diese Erkenntnis kommt ungefähr 10 Jahre zu spät. Die marode Infrastruktur hätte man in Zeiten der Deflation aufbauen müssen. Da wäre man nicht in die Inflationsfalle gestolpert und die Zinsen waren ebenfalls niedrig, nämlich null Prozent. Dies haben die damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Olaf Scholz (SPD) sträflich versäumt. Apropos, Wolfgang Schäuble.

Der damalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hat es sehr eindrücklich beschrieben, wie er nach der Finanzkrise unter Druck geraten ist. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) war besessen von der Schwarzen Null, von der Austeritätspolitik und von der Schuldenbremse. In den Jahren von 2011 bis 2016 wurde der Verteidigungsetat derart zusammengestrichen, dass selbst der Reservistenverband in Deutschland Alarm schlug. Jetzt hat zu Guttenberg darüber berichtet, in welchem Umfang Schäuble den damaligen Verteidigungsminister gedrängt hat, die Wehrpflicht auszusetzen. Dies hat dann zu Guttenberg gegen seinen Willen und schweren Herzens realisiert. Grund dafür war der vom Sparzwang besessene Wolfgang Schäuble.

Seit dem Besuch von Selenskyj im Weißen Haus ist schlagartig das Wahlkampfgetöse beendet worden und die Realität zeigt ein ganz anderes Bild. Das fehlende Geld wird wohl nicht vom hart arbeitenden steuerzahlenden Bürger bereitgestellt werden, sondern von der Zentralbank oder durch den Kapitalmarkt. Solche Geldsummen sind auch anders nicht zu mobilisieren. Jetzt wird es Zeit, sich intensiv mit der Modern Monetary Theory kritisch und umfassend auseinanderzusetzen und die finanzwirtschaftlichen Aussagen von Lindner, Merz und Linnemann auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Stop – so einfach ist es dann doch nicht. Eine übermäßige Erhöhung der Geldmenge kann natürlich auch zu einem Anstieg der Inflationsrate führen. Wie gesagt, diese Gefahr bestand vor einigen Jahren nicht in diesem (heutigen) Umfang.  


[1] Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus, Berlin, 2021, S. 32.

[2] Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus, Berlin, 2021, S. 82.

[3] „Wären die Banken nur Finanzintermediäre, könnte es zu der lebensfernen Situation kommen, dass den Banken das Geld ausgeht. Der Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger vergleicht diese unrealistische Sichtweise mit einer Blutbank in einem Krankenhaus. Dann müssten wir in der Tat mit folgenden Mitteilungen rechnen: „ ›Leider haben wir im Moment keine Ersparnisse (Blut) mehr, aber Sie können sich in eine Warteliste eintragen, und wir benachrichtigen Sie dann, wenn wieder Ersparnisse bei uns eingetroffen sind.‹ Eine solche Mitteilung hat aber wohl noch kaum jemand von seiner Bank erhalten, aus dem einfachen Grund, weil Banken für die Kreditvergabe unmittelbar keine Ersparnisse brauchen.“ (Mathias Binswanger, Geld aus dem Nichts: Geldschöpfung der Banken und ihre Folgen für die Wirtschaft, in: Sanne Ziethen, Nina Peter (HG.), Währung, Krise, Emotion, Edition Kulturwissenschaft, Band 248, S. 89.)

[4] Fiat, Latein für »es geschehe«.

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