Die wirklichen Sozialschmarotzer

05. November 2025

»Die früheren Piraten hatten Schatzinseln, die modernen haben Steuerparadiese.« (Glaßl, 2019)

Der undurchsichtige Aktienmarkt

Gegenwärtig werden die steuerlich unzulässigen Cum-Cum-Geschäfte medial wenig beachtet. Um das Verwirrspiel von Cum-Ex und Cum-Cum zu entwirren, muss zunächst der Kapitalmarkt, und hier speziell der Aktienmarkt, untersucht werden. Wer Aktien besitzt, hat zunächst einen Anspruch auf eine Dividende. Ob eine Aktiengesellschaft eine Dividende (Anteile am Gewinn) ausschüttet, wird in der jährlich stattfindenden Hauptversammlung beschlossen. Es gibt unterschiedliche Aktienarten, unter anderem Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch. Rund um den Zahlungsstichtag werden die Aktien nun hin- und hergeschoben. Die Aktie wird kurz vor dem Termin der Dividendenzahlung verkauft und der Rückkauf erfolgt kurz nach diesem Termin. Solch ein Verhalten wird als Dividendenstripping bezeichnet. Diese Geschäfte werden nur deshalb durchgeführt, um einen Steuervorteil zu erhalten, denn einem inländischen Unternehmen steht die Erstattung der in Deutschland gezahlten Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen zu.

Die Dividendenzahlung erfolgt meist am Tag nach der Hauptversammlung, dies ist der Ex-Tag. Auf dem Kurszettel  wird nun der Vermerk „ex Dividenden (oder auch „xD“, „exD“ oder „exDiv“) eingetragen. Der Aktionär hat nur Anspruch auf die Dividende, wenn seine Aktie bis zum letzten Tag vor dem Ex-Tag ihm gehört. Die Aktie muss also in seinem Depot verbucht sein. Der letzte Tag vor dem Ex-Tag wird als Cum-Tag bezeichnet.

Viele Aktiengesellschaften sperren einige Tage vor der Hauptversammlung die Aktien, sodass ein Handel nicht mehr stattfinden kann. Dies ist bei Namensaktien leicht zu bewerkstelligen, weil dieses Wertpapier zu den geborenen Orderpapieren gehört und häufig verbrieft ist. Lang, lang ist es her -solche Aktien sind selten geworden. Heute gehen Aktien in Sekundenbruchteilen im Hochfrequenzhandel[1] um die Erde und es handelt sich um namenlose Inhaberaktien. Dies ist insofern problematisch, weil der Handel dieses Aktientyps auch während der Hauptversammlung stattfinden kann. Der Dividendenanspruch erlischt, wenn die Aktie am Ex-Tag oder auch danach erworben wurde.

Kapitalerträge werden unzureichend besteuert

Wenn ein Aktionär eine Dividende ausgezahlt bekommt, ist dieser Gewinnanteil natürlich zu versteuern. Maßgeblich ist das Einkommensteuergesetz, dass Kapitalerträge (Dividenden aus Aktien, Zinsen u.ä.) in die Besteuerung einbezieht. Jetzt könnte man meinen, dass reiche Bürger den Spitzensteuersatz von 42 Prozent  bezahlen oder gar die sogenannte „Reichensteuer“ in Höhe von 45 Prozent. Weit gefehlt, die Höhe der Kapitalertragsteuer liegt nur bei 25 Prozent. Diese Steuer wird direkt von der Bank verbucht und abgeführt. Der Kunde erhält einen entsprechenden Bescheid der Bank, dieser muss der Einkommensteuererklärung beigelegt werden.

Wie ist es nun möglich, dass die Finanzämter mehr Steuern erstatten als sie vorher vereinnahmten? Angenommen, der Verkäufer der Aktie war ein Leerverkäufer [2], die Aktie wurde erst nach dem Dividendentermin erworben. Sowohl der ursprüngliche Inhaber und der Käufer des Leerverkäufers erhalten dann eine Steuerbescheinigung.

Ein einfaches Beispiel

Dies lässt sich exemplifizieren:  Ein Leerverkäufer verkauft vor dem Dividendenstichtag Aktien (Cum)[3] zum Kurswert von 1.000,00 € an einen Leerkäufer. Auf der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft wird eine Bruttodividende i.H.v. 100,00 € beschlossen. Der Leerverkäufer kauft nach dem Dividendenstichtag diese Aktie ohne Dividende (Ex) von Aktionär XY zum geminderten Kaufpreis von 900,00 € und überträgt die Aktie an den Leerkäufer. Der Leerkäufer zahlt noch zusätzlich eine Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende, also 75,00 €. Der Leerkäufer bekommt eine Steuerbescheinigung, die der Aktionär XY ebenfalls erhalten hat, in Höhe von 25,00 €. Damit wird der Leerkäufer genauso behandelt, als wenn er die Aktie mit Dividendenanspruch erworben hätte. In der Konsequenz macht der Leerverkäufer einen Gewinn in Höhe der doppelt bescheinigten Kapitalertragsteuer. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn der Leerkäufer die Aktie direkt von XY erworben hätte. Dann wäre durch den Sperrvermerk im Depot die doppelte Bescheinigung verhindert worden. Damit aufgrund des einfachen Beispiels kein falsch Eindruck entsteht – es profitieren bei Cum-Ex oder Cum-Cum keine Kleinanleger, sondern Großbanken und institutionelle Anleger.

Sind solche Praktiken nun als rigorose, aber legale Form der Steuergestaltung oder als Straftaten zu qualifizieren? In jedem Fall hat der Staat das Nachsehen. In Deutschland wurden mit solchen Praktiken über 30 Milliarden Euro dem Staat vorenthalten und mittlerweile gelten sie glücklicherweise auch in Deutschland als Straftaten.

Wir kennen es vom Fußball – „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ (Sepp Herberger). Nach den Cum-Ex-Geschäften werden nun zunehmend Cum-Cum-Geschäfte getätigt. Durch die Cum-Cum-Geschäfte gehen dem deutschen Fiskus 28,5 Milliarden Euro verloren. Nebenbei bemerkt: Die neue Grundsicherung, die vermutlich verfassungswidrig sein wird, führt zu Einsparungen von gerade einmal 86 Millionen Euro. Die Aufarbeitung von Cum-Cum steht noch am Anfang. Im Gegensatz zur emotional aufgeladenen Grundsicherungs- bzw. Bürgergelddiskussion hört man in den Medien aber kaum etwas von Cum-Cum-Geschäften, die grundsätzlich ähnlich wie Cum-Ex-Geschäfte funktionieren.

Die Staatsfeinde

Der amerikanische Verfassungsrichter Oliver Wendell Holmes (1841-1935) formulierte vor circa hundert Jahren: »Taxes are what we pay for a civilized Society«. Steuern sind also der Preis für eine zivilisierte Gesellschaft. Somit ist die Steuerpolitik die notwendige Voraussetzung für einen handlungsfähigen Staat und einer vernünftigen Zivilgesellschaft. Der pflichtbewusste Steuerzahler empfindet diese Zahlungen nicht als Raub, sondern als wesentlichen Beitrag für einen funktionierendes Gemeinwesen. Liberale und neoliberale Staatsfeinde sehen das wirtschaftliche Wohl nur durch niedrige Steuern gesichert. Es wird das Narrativ verbreitet, dass der böse Staat seine Bürger mit Steuern schikanieren will. Deshalb haben auch viele Superreiche keine Probleme damit, Steuern im großen Stil zu hinterziehen. Ist doch nicht so schlimm, das machen doch alle, ist doch nur ein Kavaliersdelikt – so wird es häufig kommuniziert. Damit muss nun aber Schluss sein. Die viel zu kurzen Verjährungsfristen für Steuerhinterziehung müssen von gegenwärtig 15 Jahren auf mindestens 20 bis 30 Jahre erhöht werden. Dann hätte der Staat realistische Chancen sich das hinterzogene Geld zurückzuholen. Außerdem sind sämtliche Gesetzeslücken zu schließen und konsequente Ermittlungen und entsprechende Strafen müssen auf dem Fuß folgen. Die Ermittlungen werden dadurch erschwert, weil die Bundesregierung mit dem Bürokratieentlastungsgesetz aus dem Jahr 2024 die Aufbewahrungspflichten für Buchungsunterlagen von zehn auf acht Jahre verkürzt hat. Wenn Belege geschreddert werden, ist eine Ermittlung nicht mehr möglich. Deshalb haben die Grünen im Bundestag den Antrag gestellt, die alten Fristen für den Finanzbereich wieder einzuführen. Am 15. November 2025 wird darüber im Finanzausschuss entschieden. Da gerade die Finanzwirtschaft häufig undurchsichtige Geschäfte und Transaktionen abwickelt, sollte man die Aufbewahrungsfristen verlängern und die Gesetze schärfen.


[1] Der Hochfrequenzhandel wird sich durch die KI nochmals beschleunigen.

[2] Ein Leerverkäufer ist eine Person, die Wertpapiere verkauft, die sie nicht besitzt, in der Erwartung, dass der Preis fällt. Er leiht sich die Wertpapiere, verkauft sie sofort und kauft sie später zu einem niedrigeren Preis zurück, um sie dem Verleiher zurückzugeben.

[3] „Cum“ bedeutet auf Latein „mit“, damit sind Aktien „mit“ Dividende gemeint.

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