2. Der Einkommensteuertarif

11. Januar 2019

Der Einkommensteuertarif ist 60 Jahre alt geworden. Der Bund der Steuerzahler möchte dies aber nicht so gerne feiern, schließlich stellt der Tarif angeblich eine Belastung dar.

Das vom Bund der Steuerzahler herausgegebenen Wirtschaftsmagazin -Der Steuerzahler- schreibt in der Ausgabe 11/18 auf Seite 244: „Im Jahr 1958 hat die Politik den progressiven Einkommensteuertarif in seiner jetzigen Form eingeführt. Seitdem gab es zwar mehrfach Änderungen, doch der Tarif konnte mit der Entwicklung der Einkommen bei weitem nicht mithalten. Inzwischen rutschen sogar gut ausgebildete Arbeitnehmer schnell in den Spitzensteuersatz von 42 Prozent hinein.“

Diese Aussage ist fehlerhaft und dient nur dazu, den Spitzensteuersatz zu diskreditieren und gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verunsichern. Der Spitzensteuersatz im Jahre 1958 betrug 53 Prozent. Im Jahre 1988 stieg er sogar kurzfristig auf 56 Prozent. Seitdem ist er sukzessive auf 42 Prozent gesunken. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass im Rahmen der Wiedervereinigung bzw. des Golfkrieges der Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 Prozent eingeführt wurde und das für sehr große Einkommen eine sogenannte Reichensteuer zu berücksichtigen ist.

Im letzten Blog habe ich mich mit der Tarifzone 3 beschäftigt und die Aussagen des Bundes für Steuerzahler kritisch gewürdigt. Im oben genannten Artikel schreibt der Bund der Steuerzahler: “Verschärfend kommt hinzu, dass heute bereits Normalverdiener den Spitzensteuersatz zahlen müssen.“ Nach meinem Verständnis befinden sich die Normalverdiener in der Tarifzone 3 (bis 54.949 Euro Jahresverdienst). Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt der Durchschnittsverdienst in Deutschland circa 3.441,00 Euro pro Monat[1]. Aber wenn schon ein Friedrich Merz behaupten kann, dass ein Jahresverdienst von 1 Millionen Euro die gehobene Mittelschicht repräsentiert, sortieren wir einfach mal den Normalverdiener (auch wenn der Bund der Steuerzahler hier sehr stark übertreibt) bei 60.000 Euro Jahresgehalt ein.

Der Einkommensteuertarif lautet:

von 54.950 Euro bis 260.532 Euro: 0,42 · x – 8.621,75.

Die Größe „x“ ist das auf einen vollen Euro-Betrag abgerundete zu versteuernde Einkommen.

Unser „Normalverdiener“ bezieht ein Jahresgehalt von 60.000 Euro, daraus ergibt sich folgende Steuerbelastung:

(0.42  x 60.000) – 8.621,75 = 16.578,25 Euro Einkommensteuer

Um jetzt den Durchschnittssteuersatz auszurechnen muss die Steuerzahlung mit dem Jahresgehalt in Relation gesetzt werden:

16.578,25 : 60.000 = 0,2763 entspricht 27,63 %

Der Steuerzahler ist mit 27,63 % Einkommensteuer belastet und von 42 % weit entfernt.

Jetzt verdoppeln wir sein Gehalt auf 120.000 Euro. Wird jetzt der Spitzensteuersatz fällig?

(0,42  x  120.000) – 8.621,75 = 41.778,25 Euro

Der Durchschnittssteuersatz beträgt nun: 41.778,25  : 120.000 = 0,348 entspricht 34,8 %. Die 42 % sind wieder nicht erreicht worden.

Auch jeder Nicht-Mathematiker sieht sofort, dass die 42 Prozent nicht erreicht werden können, weil in der Formel der Betrag von 8.621,75 abgezogen wird. Das bedeutet, dass selbst bei einem Spitzenverdienst von 260.532 Euro pro Jahr die 42 Prozent nicht erreicht werden. Die 42 Prozent stellen den Grenzsteuersatz dar. Wenn die Funktion 0,42 x  – 8.621,75 abgeleitet[2] wird, erhält man genau 0,42, den Grenzsteuersatz. Dieser wird aber nicht für das gesamte Einkommen fällig, sondern lediglich für jeden zusätzlich verdienten Euro, der das Jahreseinkommen von 54.950 Euro übersteigt.

In den Medien höre ich häufig, dass Durchschnittsverdiener ebenfalls meinen, dass sie den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen. Sie addieren dann häufig noch andere Abgaben auf den Einkommensteuertarif, beispielsweise die Kirchensteuer, Sozialversicherungsbeiträge und auch den Solidaritätszuschlag.

Der Bund der Steuerzahler will als Lobbyverband selbstverständlich auch den Solidaritätszuschlag abschaffen. Auf der Homepage heißt es: „Soli weg! BdSt kämpft um die Abschaffung.“ Häufig wird dann behauptet, dass die Gründe, nämlich die Kosten der Wiedervereinigung, nicht mehr vorliegen. Diese Gründe spielen aber keine Rolle, da sämtliche Steuern in Deutschland nicht zweckgebunden sind. Seit den 1950 er Jahren sind zweckgebundene Steuern in Deutschland höchstrichterlich verboten worden. Alle Steuerarten müssen als Gesamtmasse in den Haushalt eingestellt werden. Es gibt weder einen separaten Straßenbauhaushalt, der sich aus dem Aufkommen der Kfz-Steuer speist, noch gibt es einen Haushalt Ost, der mit dem Solidaritätszuschlag finanziert wird. Das bedeutet, dass auch der Unterhalt westdeutsche Schulen und Krankenhäuser mit dem Soli bezahlt wird. Da die Begründung der Zweckgebundenheit einer Steuer keine Rolle spielt, kann auch die Abschaffung damit nicht legitimiert werden.

Dies wird besonders deutlich, wenn man als Begründungszusammenhang den Golfkrieg anführt. Die hohen Kosten des zweiten Golfkrieges im Jahre 1991 wurden damals ebenfalls als Begründung für den Solidaritätszuschlag genannt. In der unten genannten Drucksache heißt es: „Mehrbelastungen ergeben sich nicht nur aus dem Konflikt am Golf…..sondern auch für die Unterstützung der Länder in Mittel-,Ost- und Südeuropa …..Hinzu kommen zusätzliche Aufgaben in den neuen Bundesländern.[3]

Auch wenn uns die Politikerinnen und Politiker über die Zweckgebundenheit von Steuern falsch informieren, sollten wir uns besser mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesfinanzhofes zu dieser Thematik beschäftigen. Natürlich könnte man den Soli abschaffen und den Einkommensteuertarif von 42 Prozent auf mindestens 47,5 Prozent erhöhen. Da hätte ich nichts gegen. Ich bleibe aber bei meiner Meinung: Steuern müssen nicht verteufelt werden, sondern sie dienen dazu, den gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern bzw. zu erhöhen und den individuellen Reichtum einzugrenzen.

Fortsetzung folgt: Im nächsten Blog beschäftige ich mich mit der Reichensteuer.

[1] Beim Durchschnittsverdienst werden alle Löhne und Gehälter einzeln addiert und dann durch die Anzahl der Arbeitnehmer geteilt. Korrekterweise müsste man den statistischen Median zugrunde legen. Dann läge der Durchschnittsverdienst in Deutschland bei circa 2.990 Euro pro Monat. Der Median ist genauer, weil 50 % der Beschäftigen weniger und 50 % der Beschäftigten mehr als den Median verdienen. Ein (aktuelles) groß angelegtes Forschungsprojekt vom DIW Berlin und der FU Berlin hat herausgefunden, dass das Medianeinkommen in Deutschland nur bei 2.400 Euro im Monat liegt.

[2] Die 1. Ableitung der Differentialrechnung, wir bewegen uns also Richtung Grenze (limes).

[3] In: Bundestag Drucksache 12/220. CDU/CSU und FDP, 11. März 1991 und im Bundesgesetzblatt vom 24.06.1991

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