Reloaded: Das Gesundheitssystem als Renditeobjekt

01. September 2023

Aus aktuellen Gründen möchte ich noch einmal den von mir verfassten Artikel Das Gesundheitssystem als Renditeobjekt an dieser Stelle veröffentlichen. Vor über dreieinhalb Jahren, Jens Spahn war noch Gesundheitsminister, habe ich bezüglich der Privatisierung unseres Gesundheitssystems ein düsteres Bild gemalt. Nun will der neue Minister Lauterbach verhindern, dass immer mehr Arztpraxen von privaten Finanzinvestoren übernommen werden. Inwieweit sein neuer Gesetzentwurf die Profitgier stoppen wird, bleibt abzuwarten.  

Da sich die Situation in den Krankenhäusern deutlich verschärft hat, flächendeckende Insolvenzen drohen und immer mehr Arztpraxen von gierigen Investoren übernommen werden, veröffentliche ich den genannten Artikel heute, leicht modifiziert, erneut:

Vor einigen Jahren hörte ich von einer Bekannten, die als Krankenhausärztin arbeitet, folgendes: „Es macht keine Freude mehr im Krankenhaus zu arbeiten. Überall laufen diese BWLèr rum und wollen das System optimieren und Kosten einsparen. Der Patient ist zur Nebensache geworden. Deshalb bin ich nicht Ärztin geworden.“ Was ist mit dem Gesundheitssystem passiert?

Im Zuge der neoliberalen Wende der 1990er Jahre wurde in vielen gesellschaftlichen Bereichen zunehmend privatisiert, dereguliert und liberalisiert. Die Märkte rückten in den Mittelpunkt und der Staat zog sich zurück. Der Staat gab die Kameralistik auf und die angeblich effiziente Gewinn- und Verlustrechnung (Doppik) wurde in den Amtsstuben durchgesetzt; der Staat sollte wie ein Unternehmen geführt werden. Die Staatsausgaben wurden als Kostenfaktor und nicht als Vorleistungen für die Produktion und letztlich für die Konsumtion angesehen. Diese Korrektur der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung war ein folgenschwerer Fehler. Staatliche Dienstleistungen mussten nun in Konkurrenz treten mit privaten Dienstleistern. Dies ist insofern »wettbewerbsverzehrend«, weil der Staat sehr viele Aktivitäten zu niedrigen und marktunüblichen Preisen anbietet bzw. anbieten muss. Bestimmte Dienstleistungen werden sogar unentgeltlich angeboten, weil der Staat für die Daseinsvorsorge verantwortlich ist. Dies ist der große Unterschied zu einem profitorientierten Unternehmen. Der Staat ist dem Gemeinwohl verpflichtet.

Da die staatlichen Aktivitäten mit der Privatwirtschaft verglichen wurde, schlussfolgerten die neoliberal geprägten Ökonomen – der Staat kann nichts und ist obendrein auch noch viel zu teuer. Die flächendeckende Privatisierung setzte sich durch. Plötzlich wurde der Wert von Dingen durch ihren Preis auf dem »Markt« bestimmt. Dies betraf auch das Gesundheitswesen. Der Preis bestimmte auf einmal den Wert, und nicht der Wert den Preis.

Die privaten Krankenhäuser

Viele öffentliche Betriebe wurden privatisiert, auch die Krankenhäuser wurden nicht verschont, das war die Stunde der Großinvestoren. In der Ökonomie ist es unstrittig, dass nur investiert wird, wenn ein Gewinn dabei herausspringt. Also wurden die Krankenhäuser zu Renditeobjekten. In der Corona-Krise merkten viele Menschen, dass das Gesundheitssystem auf »Kante genäht« war. Dinge wie Schutzmasken, Schutzkleidung und viele Medikamente wurden aus Kostengründen nicht mehr in Deutschland produziert. Das war für viele Menschen ein Schock. Es ist zu hoffen, dass der nächste Schock von der Bundesregierung noch abgewendet wird – die flächendeckende Privatisierung der Arztpraxen. (Anmerkung: Diese meine Hoffnung vor über dreieinhalb Jahren hat sich leider in Luft aufgelöst.)

Die Arztpraxen als Objekt der Begierde

Untersuchungen haben ergeben, dass die Häufigkeit von Operationen in privaten Krankenhäusern um 30 Prozent höher ausfallen als in staatlichen Krankenhäusern. Dies verwundert nicht, private Krankenhäuser gehören Investoren, die Geld verdienen wollen. Um die Fixkosten zu senken, muss der »Maschinenpark« ausgelastet werden – das ökonomische Gesetz der Massenproduktion ist inzwischen auch in den Krankenhäusern angekommen.

Glücklicherweise dürfen niedergelassene Ärzte so nicht praktizieren, denn sie sind definitiv keine Gewerbetreibenden. Im § 18 des Einkommensteuergesetzes sind die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit beschrieben und den Ärzten wird eine freiberufliche Tätigkeit zugewiesen. Diese Tätigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass keine Gewinnerzielungsabsicht unterstellt wird. Steuerrechtlich wird den Ärzten also eine Berufung zu höheren Aufgaben bestätigt, der schnöde Mammon sollte also nur eine untergeordnete Rolle bei der Berufsausübung spielen. Das ist gut und richtig so.

Ökonomen und Investoren suchen aber ständig nach neuen Geschäftsideen, um ihren Gewinn zu maximieren. Der »Allesfresser Kapitalismus« (Nancy Fraser) muss ständig und ohne Unterlass zufriedengestellt werden. Jeder Ökonom weiß, dass es Branchen gibt, die deshalb besonders vorteilhaft sind, weil sie frei von Konjunkturschwankungen sind, dass Gesundheitssystem gehört zu diesen »Branchen«.  Nun haben die BWLèr die Arztpraxis als Renditeobjekt entdeckt. »Derzeit läuft von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, eine der größten Verkaufswellen in der Geschichte der deutschen Gesundheitspolitik. Augenärzte, Nierenärzte, Radiologen, Zahnmediziner und Ärzte anderer Fachdisziplinen verkaufen ihre Arztsitze an Finanzinvestoren. Die verkaufenden Ärzte freuen sich über das Interesse der neuen Kundschaft, denn so erzielen sie in der Regel deutlich höhere Erlöse als bei einem Verkauf an einen anderen Arzt.«[1]

Die Investoren haben aber gegenwärtig ein Problem. Nach der Rechtslage in Deutschland ist es Investoren verboten auf direktem Wege eine Arztpraxis zu kaufen. Dies ist, aus gutem Grund, nur einem anderen Arzt erlaubt. Findige Wirtschaftsjuristen haben aber einen Weg gefunden, dass Investoren trotzdem Zugang zu diesem lukrativen Geschäft bekommen. Dies ist zwar auf direktem Weg nicht möglich, »sie können es aber indirekt tun, indem sie ein Krankenhaus kaufen, das dann als Träger der entstehenden Arztketten fungiert. So übernahm Summit Partners 2016 die Deister-Süntel-Klinik im niedersächsischen Bad Münder, ein kleines Krankenhaus der Arbeiterwohlfahrt, das kurz vor der Insolvenz stand. Erworben wurde das Krankenhaus mit dem Geld eines Fonds, der auf den Cayman-Inseln sitzt. In den folgenden Jahren wurde das Krankenhaus zum Betreiber von zahnärztlichen Behandlungszentren bundesweit – unter anderem der Kette Zahneins«.[2] 

Dies ist aber kein Einzelfall, sondern häufig gängige Praxis. Diese privatisierten Behandlungszentren sind fest in der betriebswirtschaftlichen Logik des Shareholder Values eingebunden und die Gewinnziele der Investoren müssen eingehalten werden. Das gesamte Gesundheitssystem wird durch den Privatisierungswahn auf den Kopf gestellt. In der ethischen Wahrnehmung ist es doch so, dass sich im Normalfall der Arzt freut, wenn der Patient gesund ist. Dies ist für neoliberal geprägte Ökonomen schwer zu verstehen, weil nur ein kranker Patient die Gewinne maximiert. Der Mensch ist aber keine Ware. Wir laufen Gefahr, dass nicht im Sinne und im Interesse des Patienten behandelt wird, sondern nach den zu erwarteten Gewinnen. Zumal das deutsche Gesundheitssystem die Möglichkeit eröffnet, höhere Sätze mit den Krankenkassen abzurechnen. Die Notwendigkeit ärztlicher Eingriffe lässt sich ohnehin kaum von den Krankenkassen kontrollieren. Aufgrund der Dreieckskonstellation (Patient, Arzt, Krankenkasse) ist der Missbrauch vorprogrammiert, weil »einer leistet, ein anderer nimmt die Leistung entgegen, ein Dritter zahlt das alles.«[3]

 Fazit

Trotz aller Kritik am deutschen Gesundheitssystem, ist es relativ gesehen, noch ein gutes System. Andere Länder haben gerade in der heutigen Zeit (Anmerkung: Gemeint ist die Corona Zeit.) wesentlich mehr Probleme. Damit die Gesundheitsversorgung nicht schlechter wird, ist der Gesundheitsminister aufgefordert, die Privatisierung der Arztpraxen zu stoppen. In der Corona-Krise haben wir gerade in Amerika gesehen, wie hilflos ein privatisiertes, auf Profit getrimmtes, Gesundheitssystem ist. Die Daseinsvorsorge gehört in die Hände des Staates und das Gesundheitssystem hat im Wettbewerb nichts zu suchen.

[1] Anette Dowideit, Die Arztpraxis als Renditeobjekt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 03/20, Berlin, 2020, S. 9.

[2] Anette Dowideit, Die Arztpraxis als Renditeobjekt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 03/20, Berlin, 2020, S. 9.

[3] Anette Dowideit, Die Arztpraxis als Renditeobjekt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 03/20, Berlin, 2020, S. 11.

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