“Alles Herstellen ist gewalttätig, und Homo faber, der Schöpfer der Welt, kann sein Geschäft nur verrichten, indem er Natur zerstört.”[1]
In den letzten Blogs habe ich naturwissenschaftliche Aspekte genutzt, um die Sichtweise der Mainstream – Ökonomie zu kritisieren. Um das Bild zu komplettieren muss natürlich erwähnt werden, dass die naturwissenschaftliche Forschung ebenfalls abhängig ist von der Wirtschaft. Unternehmen dringen immer tiefer in die Universitäten ein, stellen Drittmittel zur Verfügung und gefährden die Freiheit von Forschung und Lehre.
Drittmittel werden in der Regel für bestimmte Projekte und Forschungsbereiche von Unternehmen befristet bereitgestellt. Im Jahr 2010 standen den deutschen Hochschulen Drittmittel in Höhe von 5,9 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Summe wächst zunehmend – im Jahr 2015 waren bereits 7,4 Milliarden Euro drittmittelfinanziert. Auf Rang 1 der Hochschulen in der Höhe der eingeworbenen Drittmittel liegt die RWTH Aachen mit 294 Millionen Euro vor der TU München mit 276 Millionen Euro und der TU Dresden mit 210 Millionen Euro.
Diskussions- und kritikwürdig stellt sich die gegenwärtige Drittmittelpraxis der TU München dar. An dieser Universität ist die Künstliche Intelligenz (KI) ein zentrales Forschungsthema.
Die Zukunft – Künstliche Intelligenz
Soll die Künstliche Intelligenz zukünftig Entscheidungen treffen, die auf einem Algorithmus basieren? Die Konsequenzen aus moralphilosophischer Sicht kann ich mir kaum vorstellen. Selbstfahrende Systeme und eigenständig handelnde Roboter müssen programmiert werden. Die Menschen, die diese Systeme programmieren, müssen ethische Entscheidungen treffen in einer Welt, die Ethik verdrängt und Märkte vergöttert. Selbstgefällige Ökonomen belächeln moralphilosophische Fragestellungen und die Auseinandersetzung darüber findet bestenfalls in der Nutzentheorie, die Effizienzkriterien in den Vordergrund stellt, statt. Wie verhält es sich mit den digitalaffinen Ingenieursberufe? Welcher Mensch soll im Falle eines Unfalls getötet werden, wenn die Maschine die Auswahl hat zwischen einem oder fünf Menschen? Oder wird zukünftig nur der sogenannte gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund stehen und es findet eine Differenzierung zwischen Managerin, Rentnerin, Familienvater oder Hartz 4 Empfänger statt? Wie soll solch eine moralphilosophische Fragestellung von einem Programmierer beantwortet werden, der ein eindimensionales Studium in sehr schneller Zeit absolvierte und nie ein philosophisches Seminar besucht hat? Je schneller er sein Studium schafft, desto größer die Einstellungschancen auf dem Arbeitsmarkt, da ist das Fach Ethik eher störend und nicht so wichtig. Können wir das wollen?
Natürlich wollen wir das nicht. Das Fach Ethik gehört also zwingend in den Fächerkanon der Naturwissenschaften und muss immer auch aus dem Blickwinkel der Künstlichen Intelligenz betrachtet werden. Wie verhält es sich nun in der Praxis?
facebook – ein ethisches Unternehmen?
Der US-amerikanische Konzern facebook hat an der TU München ein Ethik-Institut gegründet. Der Drittmittelzahler facebook, der sich als Konzern nicht gerade ethisch verhält, entlohnt also unter anderem auch die Gehälter der Professoren. Auf dem ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen, dass facebook ein Interesse an ethischen Fragestellungen hat. Weit gefehlt, denn in den vereinbarten Verträgen zwischen der TU München und facebook ist kodifiziert, dass die Mittel sofort gestoppt werden können, wenn nicht im Sinne von facebook geforscht wird.[2] Somit ist nicht nur die Freiheit von Forschung und Lehre gefährdet, sondern dieses Institut wird auch noch von facebook gesteuert und unterwandert.[3]
Kann eine Unternehmung überhaupt eine Philosophie haben? Wird eine Unternehmung aus ethischen Gründen auf einen sicheren Gewinn verzichten oder setzen die Betriebe mittlerweile schon die ethischen Standards? Auf welche Ethik wollen wir uns bei selbstständig handelnden Systemen berufen? Wollen wir uns auf die aristotelische Tugendethik besinnen oder führt uns die deontologische Ethik von Kant weiter, oder ist es letztendlich nur der Utilitarismus im Sinne von Bentham und Mill? Ich werde den Verdacht nicht los, dass der Forschungsschwerpunkt des Münchener Ethik-Instituts die ökonomische Nützlichkeit, verpackt in ein schönes Ethik-Design, hervorheben wird und das Philosophen wie Kant, Hegel, Marx oder Hannah Arendt nicht relevant sein werden. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass, an einem von facebook gesponserten Ethik – Institut, der kategorische Imperativ von Kant als Moralgesetz zur Begründung unbedingt verbindlicher Handlungsnormen diskutiert und analysiert wird. Es steht eher zu befürchten, dass Unternehmen wie facebook, Google und Co. Einfluss auf die naturwissenschaftliche Lehre und Forschung nehmen werden und Schulen, Hochschulen und Universitäten mit dem ökonomischen Verwertungsimperativ zunehmend infizieren. Demzufolge versteht Professor Philipp Staab den digitalen Kapitalismus als „neues gesellschaftliches Herrschaftsformat,“ [4] denn facebook, Google und Co. dominieren keine Märkte, sie sind die Märkte. Facebook setzt die Regeln, sammelt persönliche Daten um die Monopolmacht weiter auszubauen, erschafft eine eigene Währung, agiert wie eine Regierung und ist in keiner Weise rechenschaftspflichtig. Seit dem Skandal um Cambridge Analytica können wir erahnen, wie facebook mit ethischen Fragestellungen umgeht. Wird das Verhältnis von Glauben und Wissen überhaupt noch eine Rolle in der Ethik spielen oder wird die Schöpfung von den Wertabschöpfern auch noch gekappert?
Die Ökonomie kapert Natur und Kultur
Mitte der 1960 er Jahre schrieb Hannah Arendt: „Schon seit geraumer Zeit versuchen die Naturwissenschaften auch das Leben künstlich herzustellen, und sollte ihnen das gelingen, so hätten sie wirklich die Nabelschnur zwischen dem Menschen und der Mutter alles Lebendigen, der Erde, durchschnitten. Das Bestreben, „dem Gefängnis der Erde“ und damit den Bedingungen zu entrinnen, unter denen die Menschen das Leben empfangen haben, ist am Werk in den Versuchen, Leben in der Retorte zu erzeugen oder durch künstliche Befruchtung Übermenschen zu züchten oder Mutationen zustande zu bringen, in denen menschliche Gestalt und Funktionen radikal „verbessert“ werden würden, wie es sich vermutlich auch in dem Versuch äußert, die Lebensspanne weit über die Jahrhundertgrenze auszudehnen.“[5]
In der heutigen Zeit würde die Künstliche Intelligenz (KI) bei Hannah Arendt Erwähnung finden. Ihr Ex-Ehegatte, der Medienphilosoph Günther Anders, sieht es ähnlich, wenn er die Technik als „Subjekt der Geschichte“ beschreibt. Daraus folgert der dezidierte Technikkritiker Günther Anders, dass wir Menschen nur noch „mitgeschichtlich“ in Erscheinung treten werden.
Im Kern hat Hannah Arendt Recht und es lässt sich die Frage formulieren: Wer benötigt effiziente Übermenschen oder Roboter, die dem Menschen weit überlegen sind? Ich persönlich benötige keine Maschinen, die mir das Denken und Sprechen abnehmen, weil Denken und Sprechen eine kulturelle Eigenschaft ist, die unmittelbar zum guten Leben (Vita activa)[6] gehört und nicht durch ein wirtschaftliches Gut, wie beispielsweise ein Smartphone, ersetzt werden kann. Die Beherrschung eines Smartphone ist eben nur eine einfache Kulturtechnik, die erlernt wird, um eine Maschine zu bedienen, die für das Denken und Sprechen nicht zwangsläufig förderlich ist. Wenn Kulturtechniken als kulturelle und technische Konzepte zur Bewältigung von Problemen in unterschiedlichen Lebenssituationen interpretiert werden, gehört das Smartphone natürlich zur Kulturtechnik, die sich wiederum „von allen anderen Techniken durch ihren potentiellen Selbstbezug“ (Thomas Macho) unterscheidet.
Die Ethik der Investitionen?
In der Ökonomie wird dieser potentielle Selbstbezug unterstellt, weil grundsätzlich angenommen wird, dass der Zweck die Mittel heiligt und dass jeder Unternehmer zwangsläufig investieren muss, um nicht unterzugehen. Die zukünftigen Investitionen werden im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu verorten sein. Bloß sind diese Investitionen für uns Menschen nützlich und ermöglichen sie uns das gute Leben? Wir wissen doch seit Adam Smith, dass der Bäcker nicht die Ernährung der Bevölkerung im Blick hat, sondern nur seinen Eigennutz bzw. seine Brieftasche. Smith schreibt in seinem berühmten Buch „Der Wohlstand der Nationen“: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“
Wer in der heutigen Zeit den moralphilosophischen und ökonomischen Aspekten des Adam Smith zustimmt, muss auch daraus folgern, dass Investitionen keine Probleme lösen sollen, sondern dass sie ausschließlich der Profitmaximierung dienen. Investitionen werden sehr selten aufgrund von ethischen Überlegungen getätigt. Aber natürlich haben die Marketingabteilungen, nicht nur bei facebook, längst entdeckt, dass man mit Ethik, Kultur und Natur viel Geld verdienen kann, mit dem Nebeneffekt, etwas scheinbar Gutes getan zu haben. Es steht zu befürchten, dass facebook mit Gründung des Ethik – Institutes in München nicht die Ethik erforschen will, sondern mehr an der ökonomischen Verwertung des Ethischen interessiert ist oder selbst ethische Standards setzen will. In jedem Fall nimmt facebook eine Investition vor und es spielt für diese Unternehmung keine Rolle ob Natur vernichtet, Ethik vermarktet oder etwas Sinnvolles produziert wird, sogar heiße Luft ist ein Investitionsobjekt geworden – es werden zunehmend Hypes erzeugt. Die Warenproduktion und das unternehmerische Handeln sind verdrängt worden zugunsten der Interessen von Rentiers.
[1] Hannah Arendt, Vita activa, München, 1967, S. 165
[2] Dies geht aus einem Bericht der ARD Sendung Monitor vom 30.01.2020 hervor.
[3] Eine persönliche Anmerkung: Während meiner Studienzeit hat man sich intensiv mit wissenschaftlichen Werturteilen beschäftigt. Der erste Werturteilsstreit, ausgelöst vor dem Ersten Weltkrieg von Max Weber, wurde dargestellt und diskutiert. Auch der sog. Zweite Werturteilsstreit (Positivismusstreit), entstanden in den 1960-er Jahren innerhalb der Kritischen Theorie (Adorno, Horkheimer), wurde in den Diskurs einbezogen. Man hätte im Traum nicht daran gedacht, dass irgendwann unabhängige Professoren und Universitäten von Unternehmen wie facebook „gesponsert“ und beeinflusst werden. Werturteile sind aber mittlerweile sehr häufig fester Bestandteil der ökonomischen Forschung und Lehre.
[4] Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Markt und Herrschaft in der ökonomischen Unknappheit, Berlin, 2019
[5] Hannah Arendt, Vita activa, München, 1972, S. 9.
[6] „Sollte sich herausstellen, dass Erkennen und Denken nichts mehr miteinander zu tun haben, dass wir erheblich mehr erkennen und daher auch herstellen können, als wir denkend zu verstehen vermögen, so würden wir wirklich uns selbst gleichsam in die Falle gegangen sein, bzw. die Sklaven – zwar nicht, wie man gemeinhin glaubt, unserer Maschinen, aber – unseres eigenen Erkenntnisvermögens geworden sein, von allem Geist und allen guten Geistern verlassene Kreaturen, die sich hilflos jedem Apparat ausgeliefert sehen, den sie überhaupt nur herstellen können, ganz gleich wie verrückt oder wie mörderisch er sich auswirken möge.“ (Hannah Arendt, Vita activa, München, 1972, S. 11)