»Ohne das Gelingen von Kooperation kann nichts entstehen.« (Joachim Bauer, Neurobiologe)
Früher behaupteten Kaufleute etwas großspurig, dass der Wettbewerb das Geschäft belebt. Heute ist der Wettbewerb allgegenwärtig. Im Krankenhaus, in der Pflege, in den Schulen und in der gesamten Gesellschaft wird immer mehr Wettbewerb gefordert. Die freie Presse unterliegt einem großen Wettbewerbsdruck. Die Medien werden häufig dem Wettbewerb ausgesetzt, weil sie in der Regel als Gewerbetreibende behandelt werden. Viele TV-Sender, Zeitschriften und Zeitungen gehören heute mächtigen Finanzinvestoren. Karl Marx meinte schon im Jahre 1842: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.”[1] Selbst in der Europäischen Union (EU) wird Wettbewerb als Allheilmittel begriffen und es gibt sogar einen Wettbewerbskommissar.
Ist nun der Wettbewerb die Lösung unserer ökonomischen Probleme?
Markt und Wettbewerb
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek meinte: »Wettbewerb stellt in den meisten Fällen die effizienteste Methode dar, die wir kennen.« Zu dieser Aussage gibt es weder eine Studie noch eine empirische Untersuchung. Bloß weil ein Wirtschaftsnobelpreisträger solch eine unbewiesene Aussage formuliert, muss sie nicht stimmen. Schließlich gibt es den Wirtschaftsnobelpreis auch nicht. Der Preis wurde im Jahr 1969 durch die schwedische Reichsbank für die Wirtschaftswissenschaften eingeführt. Es findet somit weder eine Nominierung durch das Nobelkomitee noch eine Finanzierung durch die Nobelstiftung statt. Es handelt sich also um einen Preis der marktwirtschaftlichen Lobbyisten. Die Aussage von Hayek ist nie bewiesen worden. Es gibt aber eine Vielzahl von Belegen und Beweisen, dass die Konkurrenz nicht die effizienteste Methode ist, sondern die Kooperation. Wer den Markt auf das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage und den Tausch von Waren reduziert, unterschlägt, dass der Markt die Gewinner von den Verlierern trennt. Die Konsequenz ist, dass ich nur erfolgreich sein kann, wenn andere erfolglos sind. Dies ist nicht immer, im Gegensatz zur Kooperation, motivierend. »Dass Konkurrenz motiviert, bestreitet niemand, das hat die kapitalistische Marktwirtschaft auch bewiesen; nur motiviert sie schwächer, weil anders: Kooperation motiviert über gelingende Beziehung, Anerkennung, Wertschätzung, gemeinsame Zielsetzung und -erreichung.«[2]
Der eigene Geist als marktfähige Ware
Die traditionelle Volkswirtschaftslehre und auch die liberal geprägten Wirtschaftswissenschaften, die in der Tradition von Hayek steht, nehmen grundsätzlich an, dass Allokationsentscheidungen am besten von den Märkten getroffen werden. Die Organisation wirtschaftlicher Transaktionen über den Markt ist für neoliberale Ökonomen konstitutiv. Hierbei wird unterstellt, dass durch den Markt alle beteiligten Parteien profitieren. Durch diese Denkweise erscheint es folgerichtig, dass sich Arbeitsmärkte[3] herausbilden, die die Arbeitskraft als Ware behandeln. Die sogenannte Ware Arbeitskraft kann man aber nicht so behandeln wie jede x-beliebige Ware. Menschen sind Individuen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Vorlieben, mit Träumen, Wünschen und Hoffnungen. Die neoliberale Denkweise hat sich in den Köpfen schon so weit ausgebreitet, dass kritiklos behauptet wird, Menschen müssen sich ähnlich wie Waren verkaufen und entsprechend miteinander konkurrieren. Sie müssen flexibel, anpassungsfähig und am besten widerspruchslos an jedem Ort einsetzbar sein. Dies überfordert viele Menschen. Häufig kommt es dann nicht nur zur Arbeitslosigkeit und zum Einkommensverlust, sondern auch zu einem Zusammenbruch von gelebten Strukturen und Routinen. Durch die gesellschaftliche Ächtung kann es dann zu ausweglosen Situationen kommen, die zu massiven Existenzängsten führen. Die Sorge, abgehängt zu werden und zurückzufallen, steigt. Eine kurze »Durststrecke« lässt sich leichter überwinden als ein Perspektivverlust. Die Abwertung von arbeitslosen Menschen hat in der Gesellschaft stark zugenommen, deshalb nimmt auch die Angst vor einem Scheitern im Arbeitsleben zu. Das führt dann dazu, dass sich Arbeitnehmer zunehmend selbst optimieren. Mittlerweile unternehmen viele Menschen den Versuch, den eigenen Körper und den eigenen Geist als marktfähige Ware zu inszenieren, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen.
Charles Darwin
Fritjof Capra beschäftigte sich unter anderem mit Charles Darwin und stellt die Theorien von Darwin in einen größeren Zusammenhang. Ökonomen tendieren häufig dazu, die Theorien von Darwin, falls sie sich damit beschäftigen, zu verengen und in ein wirtschaftliches Korsett zu pressen. Für eine Gesellschaft wird es dann problematisch, wenn das Gefühl der Überlegenheit von reichen Menschen vermittelt wird. Die Abwertung von arbeitslosen und armen Menschen hat in der Gesellschaft leider stark zugenommen. Dies ist beschämend, weil reiche Menschen keineswegs leistungsfähiger sind und über einen überlegenen und tugendhaften Charakter verfügen.
Neoliberale Ökonomen haben zweifelhafte sozialdarwinistische Ansichten, weil sie glauben, der Stärkere hat das Recht den Schwächeren zu dominieren. Leider wird der Ausspruch von Charles Darwin, nämlich „Survival of the fittest“, immer wieder falsch interpretiert. Nicht der Stärkere überlebt, sondern das Lebewesen, das sich am besten der Natur anpassen kann. Der Ausdruck „Fit“ beschreibt also den Grad der Anpassung an die Umwelt bzw. an die Natur. Es geht in der Theorie von Darwin weder um die körperliche Stärke noch um die Durchsetzungsfähigkeit im Sinne einer Konkurrenzverdrängung. Auch ist es kein Naturgesetz, das der Stärkere grundsätzlich mehr zum gesellschaftlichen Reichtum beiträgt und demzufolge einen Anspruch auf ein höheres Einkommen hat. Leider wurden die biologischen Theorien des brillanten Wissenschaftlers Charles Darwin in die ökonomischen und sozialen Theorien entführt, um somit einen zweifelhaften Sozialdarwinismus zu begründen.
Die Deadline (Was für ein bildlicher Begriff!)
In den Unternehmen wird das Management umgangssprachlich häufig auch als »oberste Heeresleitung« bezeichnet. Für die, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, erstellten Arbeiten gibt es Einreichungs- und Abgabefristen, die als «Deadline« bezeichnet werden. Diese abscheulichen Begrifflichkeiten werden aber dadurch relativiert, dass viele Betriebe mittlerweile auf Anwesenheitskontrollen und Stechuhren verzichten. Dies ist aber nicht auf einen humanitären Wandel zurückzuführen, sondern darauf, dass viele wissenschaftliche Studien belegen, dass Menschen mehr und effizienter arbeiten, wenn sie sich nicht an strikte Arbeitszeiten zu halten haben und die Arbeitsprozesse individuell gestaltet werden können. Viele Arbeiten können auch von zu Hause durchgeführt werden. Hinter diesen »humanitären Erneuerungen« steckt die betriebliche Erwartung der Produktivitätssteigerung. Auch sportliche Betätigungen (Tischtennis u.ä.) oder das Aufstellen von Flipperautomaten in den Betrieben dient diesem Steigerungsimperativ. Diese sogenannten Arbeitsinnovationen haben die GAFA[4]-Unternehmen schon vor längerer Zeit für sich entdeckt.
»Immer mehr Gesichtspunkte und Aspekte der Lebensführung erfordern heute eine »performative Bearbeitung«, weil Positionen, Wissen und Sicherheiten nicht mehr auf die Dauer eines Lebensvollzugs hin angelegt sind. Arbeitsstellen, Partnerschaften, Freundschaften, aber auch Geldanlagen, Versicherungen, technische Ausstattungen in Hardware und Software und selbst das Mobiliar und die Abonnements für mediale Produkte: Sie alle können jederzeit enden oder sich als veraltet erweisen, sie bedürfen der stetigen Investition von Energie und Aufmerksamkeit, wenn die Subjekte es vermeiden wollen, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, nicht mehr mithalten zu können.«[5] Der Beschleunigungsdruck wächst und wirkt sich auf Körper und Geist aus. Keine Gesellschaft kann langfristig bestehen, wenn negative Antriebskräfte Angst erzeugen. Somit kann Wettbewerb nur dann sinnvoll sein, wenn die gesellschaftliche Kooperation nicht gefährdet wird.
Neoliberale Ökonomen propagieren den „gerechten“ Markt, indem die Begriffe Ungleichheit und Elend positiv besetzt und als Ansporn für abgehängte und arme Bevölkerungsschichten begriffen werden. Nach dem Motto; »Elend ist gut, weil dadurch die arme Bevölkerung motiviert wird«. Diese ökonomische Denkweise hat sich tendenziell schon in den Köpfen vieler Politiker breitgemacht und die Idee der solidarischen und kooperativen Zivilgesellschaft ist in weite Ferne gerückt. Leider wird der Wettbewerb als Schlüssel für gesellschaftliche Veränderungen begriffen. Dies ist ein großer Fehler, denn dadurch spaltet sich die Gesellschaft immer mehr. Die Presse, die öffentlich, rechtlichen Rundfunkanstalten, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Schulen, die Universitäten, die Krankenhäuser und viele andere Institutionen sollen die Gesellschaft gestalten und nicht im Wettbewerb stehen. Es ist einer der größten Irrtümer der neoliberalen Ökonomie, zu glauben, dass der Markt eine aktive Gestaltung der Gesellschaft ersetzen kann.
[1] Rheinische Zeitung Nr. 139 vom 19. Mai 1842, zitiert nach: Marx/Engels, Werke, Bd. 1, S. 71.
[2] Christian Felber, Gemeinwohlökonomie, München, 6. Auflage, 2021, S. 19 /20.
[3] In früheren Zeiten waren Arbeitsmärkte unbekannt. Besitzlose waren nicht gezwungen ihre Arbeitskraft zu Marktpreisen anzubieten und die Bauern mussten nicht ihre Waren auf Märkten anbieten. Zwangsweise mussten sie aber mit Einführung des Geldes und den entsprechenden Münzgeldsteuern Märkte aufsuchen.
[4] GAFA steht für Google, Amazon, Facebook und Apple.
[5] Andreas Reckwitz / Harmut Rosa, Spätmoderne in der Krise, Harmut Rosa, Dynamische Stabilisierung und Weltreichweitenvergrößerung: Eine Analyse der modernen Sozialformation, Berlin, 2021, S. 192/193.