Das chancenlose Wachstumschancen-gesetz

19. März 2024

„Deutschland ist nicht nur der kranke Mann Europas, es stellt sich heraus, dass es auch der dumme Mann Europas ist.“ (Guy Chazan)

Das am 08. .Januar 2024 von der Ampelkoalition angekündigte Sparpaket ist keine gute, und erst recht keine kluge Politik. Die Schuldenbremse, die es in keinem anderen größeren Land gibt, bremst die produktiven staatlichen Investitionen aus und Deutschland wird zum dummen und kranken Mann Europas. Danke dafür, Christian Lindner.

Hört sich der Finanzminister eigentlich selbst zu

Wenn man dem Politiker und Finanzminister Christian Lindner genau zuhört, formuliert er seine Aussagen sehr geschickt. Er führte in einer Fernsehsendung aus, dass Deutschland einer der höchsten Steuer- und Abgabenquote der Welt hat.[1] Diese Aussage wurde weder von den Anwesenden Lars Klingbeil (SPD) noch von Omid Nouripour (Grüne) widersprochen. Der geschickt agierende Finanzminister fasst ohne Not einfach die Steuer- und Abgabenquote zusammen. Deutschland hat mitnichten eine zu hohe Steuerquote. Sie betrug im Jahr 2023 in etwa 23,3 Prozent und ist somit im internationalen Vergleich normaler Durchschnitt.  

Bei der Abgabenquote sieht es anders aus, weil die Abgaben sich auf die Sozialabgaben, also auf die Sozialversicherungen beziehen. Im Gegensatz zu den Steuerzahlungen[2] muss der Staat für die geleisteten Abgaben der Bürgerinnen und Bürger eine Gegenleistung erbringen. Diese sind, gemessen am Weltstandard hoch, weil sich Deutschland glücklicherweise ein funktionierendes Renten-, Kranken- und Arbeitslosensystem leistet. Dies ist in anderen Ländern, beispielsweise in den USA, längst nicht so ausgeprägt oder überhaupt nicht vorhanden. Die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA werden größer dargestellt als sie tatsächlich sind. Gerade in der heutigen Zeit wird der amerikanische inflation reduction act von vielen Unternehmern umschwärmt. Man lobt die geringe Steuerlast in Amerika. Es wird dabei vergessen, dass es sich weniger um Steuern handelt, sondern vielmehr um die Sozialversicherungsbeiträge, die in den USA geringer sind als in Deutschland. Sozialversicherungsbeiträge sind aber keine Steuern, sondern Versicherungsbeiträge, die eine konkrete Gegenleistung beinhalten. Eine Senkung dieser Beiträge gehen zwangsläufig einher mit Leistungseinbußen und Leistungsverzicht. Neoliberale Politikerinnen und Politiker stellen einerseits die Sozialversicherungen als positiven Indikator für eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft dar. Andererseits werden die Beiträge für die Sozialversicherungen missbraucht, um sie in die Steuerquote einzurechnen. Diese Konstruktion wird dann Steuer- und Abgabenquote genannt. Das mag rhetorisch sehr geschickt sein, trotzdem müssen Steuern und Sozialabgaben grundsätzlich auseinanderzuhalten werden. Dies müsste Christian Lindner eigentlich wissen. Er verheimlicht es aber. Selbstdarstellung und Außenwirkung sind schließlich wichtiger als Aufklärung.

Die Steuerüberwälzung

Außerdem verschweigt Christian Lindner, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung für die Unternehmen Lohnkosten darstellen, die die Gewinne mindern und die Steuerzahlungen reduzieren. Diese Lohnkosten werden in die Kalkulation einer Unternehmung eingepreist. Somit werden die Löhne langfristig auf die Preise überwälzt und letztendlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer getragen. Wenn es dem Unternehmer gelingt, die erhöhten Steuerzahlungen auf die Preise zu schlagen, spricht man von einer Steuerüberwälzung.  Grundsätzlich erfolgt eine Steuerüberwälzung, wenn der formell Steuerpflichtige die Zahllast oder einen Teil davon durch Verhaltensänderungen an andere weitergibt. Auch wenn die Steuerüberwälzung eine rechtlich zulässige Form der Steuerabwehr ist, gehört sie in den politischen Diskurs, denn der »normale« Arbeitnehmer kann seine Steuer nicht überwälzen, er muss sie bezahlen. Die Lohnsteuer wird automatisch von seinem Lohn oder seinem Gehalt abgezogen, die steuerlichen Gestaltungsmöglichen sind sehr begrenzt. Arbeitnehmer und Konsumenten haben diesen Gestaltungsspiel(t)raum nicht, sie können ihre Steuern nicht überwälzen, dieses Privileg gilt nur für Unternehmer. Nach den Vorstellungen des Staates soll die Körperschaft- und die Gewerbesteuer nicht überwälzt werden, weil dann die Verbraucher diese Steuern tragen müssten. Ob sich die Unternehmen daran halten?

Global agierende Unternehmen hingegen können ihre Betriebe aufspalten und ihre Gewinne so lange rund um die Erde verschieben, bis sich die Gewinne in den Büchern in Luft auflösen. Regierungen droht man Standortschließungen an, während sich viele Akteure in Steueroasen verabschieden. Fest steht: je höher die Marktmacht und die Flexibilität der Unternehmen, desto besser die Möglichkeiten der Steuerüberwälzung.

Im Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2021 zwischen SPD, Grüne und FDP werden Steuererhöhungen grundsätzlich ausgeschlossen und das Narrativ des kleptokratischen und regulativem Steuerstaat wird aufrechterhalten. Die versteckten Steuererhöhungen für ärmere Menschen, die durch geschickte Steuerüberwälzungen entstehen, werden aber geflissentlich übersehen. Scheinbar schrecken viele Politikerinnen und Politiker davor zurück, den geschickt formulierten, aber unseriösen, Parolen der Steuererhöhungsgegner und der Lobby der Besserverdienenden etwas entgegenzusetzen.

Wachstumschancengesetz

Dabei ist gerade das viel diskutierte Wachstumschancengesetz zielführend, weil damit fast ausschließlich Unternehmen profitieren, die auch tatsächlich investieren.  Der Bundestag hatte das Gesetz bereits an 17.11.2023 beschlossen. Am 24.11.2023 hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen. Das, durch den Vermittlungsausschuss stark abgespeckte, Wachstumschancengesetz soll am 22.03.2024 im Bundesrat diskutiert und abgestimmt werden. Das gut gemeinte Wachstumschancengesetz wird somit gegenwärtig im Bundesrat blockiert.

Die befristete Wiedereinführung der degressiven Abschreibung ist eine zielführende Maßnahme, um Unternehmen bei Investitionen zu entlasten. Aufgrund der gegenwärtigen Krisensituation kann die degressive Abschreibung für Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden, die nach den 31.03.2024 und vor dem 01.01.2025 angeschafft oder hergestellt worden sind.  Die dafür ursprünglich geplanten sieben Milliarden Euro sind inzwischen auf 3,2 Milliarden Euro zusammengeschmolzen. Dabei wären genau diese sieben Milliarden Euro nötig gewesen, um die, dringend benötigten, Investitionen zu tätigen. Die Länder hingegen wollten dieses Volumen unbedingt kürzen, weil sie die Steuereinnahmen brauchen. Auch die Haushalte der CDU regierten Länder sind angespannt. Somit kommt ein gut gemeintes Gesetz unter die Räder. Zumal die CDU ihre Zustimmung von einer Maßnahme abhängig macht, die überhaupt nicht in diesem Gesetzespaket enthalten ist. Sie möchte erzwingen, dass die Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen rückgängig gemacht wird.


[1] So geschehen in der Sendung Maybritt Illner im ZDF am 30.03.2023 zum Thema Koalitionsausschuss.  

[2] Steuern sind nach § 3 Abgabenordnung Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen.

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