Die Sparpolitik ist brandgefährlich

10. Januar 2024

»Vierzig Jahre neoliberale Politik haben ihren Preis.« (Evgeny Morozow)

Nach 2022 wurde Griechenland nun auch im Jahr 2023 zur „besten Wirtschaft des Jahres“ vom britischen Wirtschaftsmagazin Economist gekürt. Das Fachblatt hat 35 OECD-Staaten untersucht und der Gewinner, Griechenland, punktete mit niedriger Inflationsrate, hohem Wirtschaftswachstum und hoher Investitionsrate. Deutschland landete abgeschlagen auf Platz 27 und hat sich in eine freiwillige Geiselhaft begeben. Eingeklemmt zwischen Schuldenbremse und dem Mantra, die Steuern nicht zu erhöhen, müssen staatliche Investitionen zurückgefahren werden.

In sehr vielen Blogs auf dieser Homepage habe ich mich an der »schwäbischen Hausfrau« und an der deutschen Schuldenbremse abgearbeitet. Jetzt kommt auch noch ein Jens Spahn (Ex-Gesundheitsminister von der CDU) mit unterkomplexen Vergleichen daher. Er vergleicht die komplexen Ausgaben des Staatshaushaltes mit einem privaten Einkauf im Supermarkt. Das Fazit seiner Gegenüberstellung lautet: »Wer zu viel in der Tasche hat, kauft oftmals falsch ein.« Mit solchen „bahnbrechenden“ Aussagen werden die Risiken der Sparpolitik vollkommen unterschätzt. Jens Spahn verwechselt einfache betriebswirtschaftliche Sachverhalte mit der vielschichtigen volkswirtschaftlichen Logik. Wenn Haushalte sparen, ist das sicherlich eine lobenswerte, aber ausschließlich private, Tugend. Der Politiker Jens Spahn und auch der Finanzminister Christian Lindner dürfen aber nicht einzelwirtschaftlich denken, sondern sie müssen die gesamte Volkswirtschaft im Blick haben.

Die ehemalige britische Premierministerin, Margaret Thatcher, führte in den 1970er-Jahren aus: »Wir sollten diese entscheidende Tatsache nie vergessen. Der Staat hat keine andere Geldquelle als das Geld, das die Menschen selbst verdienen. Wenn der Staat mehr Geld ausgeben will, kann er dies nur tun, indem er sich Ihre Ersparnisse leiht oder indem er Sie stärker besteuert. Es gibt kein staatliches Geld, es gibt nur das Steuerzahlergeld.« Seit über 40 Jahren wird dieses neoliberale Narrativ erzählt und heutzutage glauben viele Menschen tatsächlich immer noch daran. Obwohl das Gegenteil zutreffend ist. Der Staat besorgt sich zwar Geld vom Steuerzahler, er kann es sich aber auch direkt von der eigenen Zentralbank beschaffen. Diesen Sachverhalt habe ich in der Vergangenheit in vielen Blogs (beispielsweise: Müssen wir den Geldschöpfern danken? (1.Teil), Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers…(2.Teil) und Das Märchen von der schwäbischen Hausfrau (3.Teil)) erläutert und versucht, diese Erzählung zu entmystifizieren.

Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass die Steuererleichterungen, die seit den 1980er-Jahren propagiert werden, nicht mehr Investitionen in Innovationen brachten. Es wurde lediglich die Einkommensverteilung verändert und somit erhöhten sich die Ungleichheiten.

Die Risiken der Sparpolitik

Die Aussagen von Jens Spahn und Co. werden dann problematisch, wenn es zu volkswirtschaftlichen Verwerfungen durch die propagierte Sparpolitik kommt. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland ist nicht dramatisch. Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit einer Verschuldung von 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sehr gut da. Somit ergeben sich ökonomisch durchaus Spielräume für eine Kreditfinanzierung. Dies wird aber durch die Schuldenbremse verhindert. Fälschlicherweise glaubte die damalige Regierung, dass die Finanzkrise des Jahres 2007und die darauffolgende Euro- und Wirtschaftskrise, durch staatliche Schulden verursacht wurde. Dieses Narrativ wird heute noch gerne von konservativen und liberalen Politikern bedient, mit der Konsequenz, dass zukunftsweisende Investitionen des Staates ausbleiben, zumindest in Deutschland.

Die international renommierte Ökonomin Mariana Mazzucato erbringt in ihren Büchern[1] den Nachweis, dass gerade kapitalintensive und risikobehaftete Investitionen nur vom Staat geleistet werden können. John Maynard Keynes führte bereits im Jahre 1926 aus: »Die wichtigsten Agenden des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet werden, sondern jene Funktionen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft.«[2] Dies erfordert einen Staat der nicht nur bürokratische Fähigkeiten besitzt, sondern auch noch »echtes, technologie- und sektorspezifisches Fachwissen. Solches Fachwissen wird sich nur rekrutieren lassen, wenn die Vision des Staates Begeisterung weckt und neue Horizonte eröffnet.«[3] Dies zeichnet einen zukunftsorientierten Staat aus. Die rückwärtsgewandten Staaten unterliegen der Rhetorik des Bürokratieabbaus, der Steuererleichterungen und der Steuerverkürzungen. Speziell in Deutschland muss noch ein vierter Punkt beachtet werden – die fehlgeleitete, aber scharfgestellte, Schuldenbremse. So können keine zukunftsfähigen Investitionen in Deutschland entstehen.  

Der unternehmerische Staat

Wie sollen Vision des Staates Begeisterung wecken, wenn Steuern als Diebstahl bezeichnet und der Staat als organisiertes Banditentum begriffen werden? Demokratisch gewählte Parlamente werden verhöhnt und Politiker häufig in einen Topf geworfen. Der Antiparlamentarismus nimmt beständig zu und demokratisch gewählte Volksvertreter unterstützen dies auch noch klammheimlich. Dadurch entsteht ein Einfallstor für rechte und nationalistische Politik. Wie wollen wir als Staat neue Horizonte eröffnen, wenn wir die Risse in der Gesellschaft weiter vertiefen? Die marktliberalen Kräfte müssen sich endlich von der Erzählung verabschieden, dass das Gesundheitswesen, die Versorgungswirtschaft, die Infrastruktur, das Bildungswesen und die innere Sicherheit über den Markt geregelt werden können. Unzählige Ökonomen, von John Maynard Keynes (1926) über Karl Polanyi (1944) bis zu Mariana Mazzucato (2013),  haben den Nachweis erbracht, dass die Selbstregulierung des Marktes ein Mythos ist. Insbesondere Keynes betonte immer wieder, wie wichtig die Staatsausgaben für die Ankurbelung der Nachfrage der Wirtschaft sind. Und Mariana Mazzucato belegte anhand ihrer Forschung, dass die wirklich großen Innovationen erst möglich wurden durch den Staat, der sich nicht nur auf die Grundlagenforschung beschränkte. Neben der angewandten Forschung wurden auch noch Märkte geschaffen, die der Staat aktiv begleitete. Mariana Mazzucato hat darüber hinaus sehr viele Beispiele genannt, »bei denen die entscheidende unternehmerische Initiative vom Staat kam und nicht vom privaten Sektor.«[4] Der Staat kann dies in einer Größenordnung und mit Instrumenten vollbringen, die Privatunternehmen nicht zur Verfügung stehen.

Wenn rechte Kräfte den »unfähigen« Staat beseitigen wollen, sollten fortschrittliche Kräfte den Staat stärken und ihn nicht als bürokratischen, inkompetenten und verschwenderischen Steuerstaat darstellen. Auch wenn dies in konkreten Einzelfälle stimmen mag, sollte man vorsichtig und differenziert argumentieren, damit sich die gesamtgesellschaftliche Stimmungslage nicht weiter nach rechts entwickeln, denn dies wäre für das Gemeinwohl brandgefährlich. Neoliberale Ökonomen, die der Mont Pélerin  Society[5] nahestehen, gehen mit den rechten Kräften eine unheilvolle Allianz ein, wenn gefordert wird, dass der Staat beseitigt werden soll. Diese Society vertritt eine besonders radikale Version des Liberalismus.



[1] Vgl. beispielsweise »Das Kapital des Staates« und »Wie kommt der Wert in die Welt?«. Hier finden sich unzählige Beispiele, wie der Staat als »tollkühner« Initiator Innovationen anschiebt. Ob Internet, GPS, Displays, Pharmaforschung und vieles mehr – ohne den Staat und entsprechender Grundlagenforschung wären diese Innovationen nicht möglich gewesen. 

[2] John Maynard Keynes, Das Ende des Laissez-Faire, S. 47.

[3] Mariana Mazzucato, Das Kapital des Staates, Frankfurt am Main, 2023, Erstveröffentlichung 2013, S. 14.

[4] Mariana Mazzucato, Das Kapital des Staates, Frankfurt am Main, 2023, Erstveröffentlichung 2013, S. 243.

[5] Diese Gesellschaft wurde u.a. von Friedrich von Hayek gegründet und IT-Milliardäre wie beispielsweise Peter Thiel (u.a. Paypal und Facebook) sympathisieren mit dieser Vereinigung. Näheres zu Hayek ist in meinem Buch »Die Vergötterung der Märkte« zu finden.

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