Müssen wir den Geldschöpfern danken? (1. Teil)

04. Juli 2021

Ein Blick in die Vergangenheit 

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“

 Solche und ähnliche Sprüche begleiteten meine Kindheit und Jugendzeit in den 60-iger Jahren. Man spielte analoges Monopoly, die Soziale Marktwirtschaft war noch intakt und die Monopolbildung sowie die Vermögenskonzentration hielten sich noch in Grenzen. Die damaligen Politikerinnen und Politiker waren noch nicht abhängig vom Kapitalmarkt. Die Eltern brachten den Kindern bei, dass man sein Taschengeld sparen solle, um sich dann später beispielsweise ein Fahrrad kaufen zu können. Ähnlich wie beim Monopoly-Spiel – das Geld ist schon da, bevor das Spiel überhaupt beginnt. Man glaubte damals, dass das Geld durch die Arbeit geschaffen wurde – erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

In der Geldpolitik wurde der Goldstandard bereits im Jahre 1946 in Bretton-Woods (USA) aufgehoben und durch den Gold- und Devisenstandard ersetzt. Anfang der 1970-er Jahre wurde uns dann in der Berufsschule von den damaligen Lehrern die Geldschöpfung erklärt. Wie kommt nun das Geld in die Welt? Unser VWL-Lehrer brachte sinngemäß folgendes Beispiel: Der Goldgräber schürft nach Gold und bringt dann seinen Fund zur Bank. Die Bank gibt einen Verwahrschein aus und dieser Schein kann dann als Geldschein verwendet werden. Aha, Geld hat also einen Gegenwert!? Später, im Studium, hörte man von der fraktionellen Reservehaltung, die besagt, dass eine Bank mehr Geldscheine herausgeben kann, als Gegenwerte, etwa in Form von Gold, vorhanden waren. Es wurde damit begründet, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass alle Bankkunden gleichzeitig ihre Vermögensforderungen geltend machen. Auch wurde die Kapitalbildung erklärt: Um Kapital zu bilden werden die Sparer benötigt, die wiederum auf Konsum verzichten, damit Einlagen entstehen können. Deshalb kann nur investiert werden, wenn die Konsumenten sparen, damit die Kreditinstitute dieses Geld den Unternehmen für Investitionszwecke zur Verfügung stellen können. Somit begann das Märchen der Kapitalbildung, dass noch immer in Form des Robinson Crusoe-Beispiels  in den heutigen (neoliberalen) VWL-Lehrbüchern zu finden ist. Außerdem funktioniert eine Marktwirtschaft nur in einer Demokratie. Deshalb wird eine autonome Zentralbank benötigt, schließlich hat doch gerade Deutschland schlechte Erfahrungen mit gelddruckenden Politikern bzw. Diktatoren gemacht.

Solche und ähnliche Klischees finden wir immer noch in der Politik, die uns glauben machen will, dass beispielsweise die, im Grundgesetz verankerte, Schuldenbremse verhindert, dass zukünftige Generationen mit Schulden leben müssen.

Beendet die Folklore

 So, ich möchte mich nun von der Folklore verabschieden und die Realität beleuchten. Meine Ausgangsthese besagt, dass es einen sehr engen Zusammenhang zwischen Verschuldung und Wirtschaftswachstum gibt. Wir benötigen die Verschuldung, um ein Wirtschaftswachstum zu generieren, mit der Konsequenz, dass sich die Vermögen ebenfalls zunehmend konzentrieren.[1] Dieser systemimmanente Mechanismus bewirkt, dass die Reichen immer reicher, während die Armen immer ärmer werden. Dies wurde jüngst durch den Global Wealth Report der Boston Consulting Group am 10.06.2021 dokumentiert: „Das globale Finanzvermögen stieg 2020 um 8.5 Prozent.“

Die Geldschöpfung

Geld ist nicht, wie im Monopoly-Spiel, von Anfang an in der Welt, sondern Geld wird durch Kreditaufnahme geschaffen. Es mag Zeiten gegeben haben, als erst über die Finanzierung nachgedacht wurde, bevor man sich mit Investitionen beschäftigte. In diesen vergangenen Zeiten hatten die Unternehmen noch hohe Eigenkapitalquoten. Heute wird erst investiert, und genau dieser Sachverhalt löst dann die Geldschöpfung aus. Banken dürfen also Geld ausgeben, dass noch nicht produziert wurde und auch nicht produziert wird. Die Geldschöpfung ist weder abhängig von Sparereinlagen noch von irgendeiner Arbeitsleistung.

Ein Beispiel

 Ein Kunde geht zur Bank und fragt einen Kredit nach, weil er ein Haus für 300.000,00 Euro erwerben möchte. Nachdem die Bank ihre Kreditfähigkeits- bzw. Kreditwürdigkeitsprüfung abgeschlossen hat, wird sie diesen Kredit bewilligen und es kommt zu der gewünschten Kreditauszahlung. Die Bank bucht nun auf der Sollseite die 300.000,00 Euro als Forderung gegenüber dem Kunden ein. Auf der anderen Seite, der Habenseite, wird der Kreditbetrag i.H.v. 300.000,00 Euro erfasst. Dies ist das Guthabenkonto des Kunden. So weit, so Buchhalterbinse. Was ist nun passiert?

Die Bank hat Geld i.H.v. 300.000,00 Euro geschöpft. Dieses Geld wurde von niemandem erarbeitet, auch sind keine Sparereinlagen vorher gebildet worden. Das Buchgeld wird einfach auf der Habenseite ausgewiesen und schon ist das Guthaben vorhanden. Für die Bank bedeutet diese Transaktion, dass die Bilanz verlängert wird. Buchhalter nennen diesen Vorgang Aktiv-Passiv-Mehrung. Sowohl auf der Soll- als auch auf der Habenseite ist die Summe um jeweils 300.000,00 Euro gestiegen. Geld ist also Guthaben und Verschuldung – und zwar gleichzeitig.

Jetzt könnte man noch die Multiplikatorenwirkung untersuchen, denn der Hausverkäufer wird mit den 300.000,00 Euro wiederum auch etwas kaufen, sodass sich dieser Prozess mit zunehmenden Transaktionen multipliziert. Um den Rahmen nicht zu sprengen, werde ich auf die Darstellung des Geldschöpfungsmultiplikator an dieser Stelle verzichten.

Wichtig ist die Tatsache, dass die Bank kein Geld benötigt, um einen Kredit zu vergeben, da die Banken Geld schöpfen können. Die Europäische Zentralbank (EZB) bzw. die Deutsche Bundesbank können neben der Geldschöpfung auch noch ihre geldpolitischen Instrumente (z.B. die Mindestreservepolitik oder die Ständigen Fazilitäten) einsetzen, um den Geldwert stabil zu halten. Die Banken produzieren Geld, indem sie Kredite vergeben. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass das existierende Geld erst erwirtschaftet worden ist. Im Gegenteil – uns würde das Geld ausgehen, wenn sich niemand mehr verschulden würde.

Das Wirtschaftswachstum

 Die permanente Steigerung des Bruttoinlandsproduktes wird als Wirtschaftswachstum bezeichnet. Durch das Wirtschaftswachstum wird mehr verkauft, es wird mehr Geld benötigt, deshalb werden zunehmend Kredite nachgefragt, um dann wieder mehr Wirtschaftswachstum zu erzeugen, mit der Konsequenz, dass wieder mehr verkauft wird. Dies setzt sich weiter fort und dieser Zirkelschluss führt zu dem Paradoxon, dass die Wirtschaft wächst, wenn Kredite vergeben werden, bzw. Kredite werden vergeben, wenn die Wirtschaft wächst.

Somit wird ein systemimmanenter Wachstumszwang produziert. Um das Wirtschaftswachstum in Gang zu halten, werden ständig immer mehr Kredite benötigt. Das Geldsystem lebt von der Verschuldung und das Warensystem von der permanenten Schöpferischen Zerstörung. Die von einigen Ökonomen propagierte „Neutralität des Geldes“ gibt es nicht. Im Gegenteil – da das Wirtschaftswachstum für die zunehmende Plünderung und Verschmutzung des Planeten verantwortlich ist, stellt sich die Frage, ob sich das kapitalistische System schlussendlich bei der Natur verschuldet. Wer sich ein Stück Wald kauft, bekommt mit Sicherheit keine Finanzierung, wenn er den Wald einfach in Ruhe lässt. Die Finanzierung wird nur gewährt, wenn ein Geschäftsmodell dahintersteckt, beispielsweise die Abholzung. Ein intakter, naturbelassener Wald wäre wahrlich ein großer Gewinn. Auf diesem Auge sind die  BWL-Strategen komplett blind, weil sie nur den monetären Gewinn und die Renditeerwartungen im Fokus haben.

[1] Den Zusammenhang zur Vermögenskonzentration werde ich im nächsten Blog darstellen.

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