Die Fischerei und der Kapitalismus (5)

08. November 2023

Teil 5

»Denn nachdem die Genügsamkeit ausgestorben ist, stirbt als Nächstes die menschliche Zivilisation.« (Niko Paech)

Letztes Jahr im November 2022 habe ich den Kapitalismus in vier aufeinander aufbauenden Artikeln erklärt. Anhand der Fischereiwirtschaft sind die vier Texte »Die Fischerei und der Kapitalismus, Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4« entstanden. Nun möchte ich noch einen fünften Text hinzufügen und wieder am Beispiel der Fischereiwirtschaft erklären, warum die Umweltbewegung antikapitalistisch sein muss.

Die Natur in Warenform

Das Kapital kann nicht anders – es betrachtet die Natur als vergegenständlichte Ware. Somit gibt es einen ständigen Widerstreit zwischen dem Naturverständnis des Kapitals einerseits und dem Naturbegriff der Zivilgesellschaft andererseits. »Unglücklicherweise hat das Kapital gar keine andere Möglichkeit, als die Natur in Warenform und private Eigentumsrechte zu zerlegen. Das zu kritisieren, hieße die Grundprinzipien der kapitalistischen Wirtschaft und deren Anwendbarkeit auf das gesellschaftliche Leben in Frage zu stellen.«[1] Will man nicht nur kosmetischen Umwelt- und Klimaschutz betreiben, muss die Reproduktion des Kapitals aber in Frage gestellt werden. Beispielsweise sind Proteste gegen eine Mülldeponie, gegen den Kohleabbau und gegen die Überfischung der Weltmeere zwar notwendig, hinreichend sind sie leider nicht. Der Kapitalismus lässt sich davon nicht beeindrucken und die Umweltprobleme werden selten gelöst. Die einzige unveränderliche Größe dabei ist, dass am Ende fast immer die Reichen und die Mächtigen profitieren, während die Schutzlosen und die Armen weit schlechter daran sind als vorher.

Um im Bild zu bleiben, werde ich die »ökologische« Funktionsweise des Kapitalismus wieder anhand der Fischerei erklären. Das nachfolgende Beispiel findet sich in dem Buch Geist und Müll des französischen Autors Guillaume Paoli.

Die Fischerei in Westafrika

Vor der Küste Westafrikas ist die Ãœberfischung besonders signifikant. Riesenschiffe sind hier jeden Tag unterwegs, um alles zu fangen, was sich im Meer befindet. Alles was schwimmt wird gefangen. Kleine, große, genießbare und ungenießbare Lebewesen werden wahllos mit großen Schleppnetzen massenweise eingesammelt. Diese Meereslebewesen sind nicht zum Verzehr gedacht, sondern sie dienen als Rohstoffe. Schließlich benötigen die großen chinesischen Fischmehlfabriken in Senegal und Gambia diese Rohstoffe, um in Massenproduktion Futtermehl herzustellen. Dieses wird für die großen Aquakulturfarmen in Europa und Nordamerika benötigt. Auch die in Norwegen gezüchteten Lachse fressen große Mengen Fischmehl. »Damit das Gefangene fressen kann, wird das Freischwimmende zermahlen. Sie nennen es nachhaltiges Wirtschaften. Dem ökologischen Konsumenten wird weisgemacht, damit schone er das Wildleben.«[2]  Somit ist der auf Massenproduktion ausgelegte Kapitalismus ökologisch, nachhaltig und auch noch produktiv. Moment mal – eigentlich ist es doch umgekehrt. Die Fischmehlproduktion ist weder nachhaltig noch ökologisch und sie ist auch noch kontraproduktiv. Um ein Kilo Zuchtfisch »herzustellen«, müssen bis zu fünfzehn Kilo Meereslebewesen geschreddert werden. Um ein Kilo Lachsfleisch in Aquakulturen zu „produzieren“, müssen 4 bis 6 Kilogramm wildlebende Fische getötet und zu Fischmehl verarbeitet werden. (Auf die Lachszucht werde ich im nächsten Blog eingehen.) Parallelen zur Fleischindustrie sind unübersehbar.

Somit ist das marktwirtschaftliche System nicht per Definition nachhaltig und produktiv, sondern es dient ausschließlich der „nachhaltigen“ Kapitalvermehrung. Wie das genannte Beispiel zeigt: »Der Naturbestand wird zu Müll, damit aus Müll Wert entsteht. Vermehlung des Lebenden, Vermehrung des Kapitals.«[3] 

Fazit

Die Fischmehlfabriken fahren Milliardengewinne ein und der Mensch und die Natur leiden. Früher lebten die Küstenbewohner Westafrikas vom Fischfang, der Einkommen und Nahrung garantierte. So wurde das Leben vieler Generationen garantiert. Nur so, und nicht anders, ist Nachhaltigkeit zu erklären. Gegen die großen Schleppnetzschiffe sind die kleinen Fischerboote der Küstenbewohner aber nicht konkurrenzfähig. Außerdem machen Gestank und Chemikalien dieser Massenproduktion ihre Heimat unbewohnbar. Viele Bewohner dieser Region sind dann gezwungen auszuwandern. Sie fliehen vor dem Wirtschaftssystem Kapitalismus, werden aber als Wirtschaftsflüchtlinge nicht anerkannt. »Illegal müssen sie ihre Chance übers Mittelmeer versuchen. Nicht wenige ertrinken dabei und enden selbst als Fischfutter. So schließt sich der Kreis.«[4] 


[1] David Harvey, Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin, 2014, S. 294.

[2] Guillaume Paoli, Geist und Müll, Von Denkweisen in postnormalen Zeiten, Berlin, 2023, S. 147.

[3] Guillaume Paoli, Geist und Müll, Von Denkweisen in postnormalen Zeiten, Berlin, 2023, S. 148.

[4] Guillaume Paoli, Geist und Müll, Von Denkweisen in postnormalen Zeiten, Berlin, 2023, S. 148.

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