Die Fischerei und der Kapitalismus (3)

13. November 2022

„In den vergangenen 80 Jahren ist die deutsche Wirtschaft real um das Zehnfache gewachsen. Selbst wenn von diesem gewaltigen Wohlstand nur die Hälfte übrig bliebe, wären wir immer noch so reich wie im Jahr 1978.“ (Ulrike Hermann)

 Wie schon mehrfach erwähnt, kann der Kapitalismus nur mit steigenden Wachstumsraten überleben. Da die Warenflut also zwangsläufig steigen muss, werden in den reicheren Ländern der Erde zunehmend Treibhausgase ausgestoßen. Ein Bürger aus Mosambik in Afrika stößt im Durchschnitt 0,1 Tonnen CO2 im Jahr aus, während ein Deutscher 11,3 Tonnen CO2 im Jahr emittiert. Daraus folgt, dass die reichen Länder ihren Lebensstil fundamental ändern müssen, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Dabei reicht es nicht aus, eine sogenannte Klimaneutralität anzustreben. Zumal die Klimaneutralität einer der größten Mogelpackungen ist. Viele Menschen in Europa glauben tatsächlich, dass sich die Klimakatastrophe mit Elektroautos aufhalten lässt. Die Elektromobilität ist lediglich ein großes Konjunkturprogramm für die Autoindustrie. Seit der Finanzkrise im Jahr 2007/2008 sind solche Subventionierungen der Autoindustrie unter dem Deckmantel der Umweltschonung bekannt. Damals gab es die „Abwrackprämie“ in Höhe von 2.500,00 €. 1,75 Millionen Deutsche beteiligten sich daran. Es wurden alte Fahrzeuge, die teilweise noch gut in Schuss waren, auf den Schrott geschmissen. Damit das Wachstum nicht stockte, wurde also vorsätzlich Müll erzeugt. Die Abwrackprämie, die einen beträchtlichen Umweltfrevel darstellte, wurde natürlich als Umweltprämie bezeichnet. In der heutigen Zeit werden Begriffe wie Elektromobilität und Digitalisierung ebenfalls mit dem Begriff des nachhaltigen Umweltschutzes in Verbindung gebracht. Ich habe in vielen Blogbeiträgen auf dieser Homepage häufig darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung und die Elektromobilität keineswegs umwelt- und klimaneutral sind. Beispielsweise benötigt ein herkömmliches Auto 35 Kilo seltener Rohstoffe (Lithium, Nickel, Kupfer, Kobalt, Graphit, Mangan und viele mehr), während ein Elektroauto die sechsfache Menge benötigt, nämlich 210 Kilo. Selten geht es in der Ökonomie um den Umweltschutz, sondern in erster Linie geht es um die Stabilisierung des Kapitalismus. Warum muss der Kapitalismus ständig wachsen, obwohl bekannt ist, dass damit permanent neue Umweltschäden entstehen?

Die Spirale von Kredit und Wachstum

„Eine Antwort lautet: Wachstum kann nur entstehen, wenn Kredite aufgenommen werden – aber genau diese Darlehen lassen sich anschließend nur zurückzahlen, wenn es weiteres Wachstum gibt.“[1]

Um nun im Bild der Fischerei zu bleiben, habe ich ein Beispiel des Ökonomen Mathias Binswanger gewählt. Um den Zusammenhang von Kredit und Wachstum zu erklären, geht der Schweizer Ökonom von einer fiktiven Fischerinsel aus.[2]

Das Beispiel beginnt mit einem Fischer, der im ersten Teil dieser Reihe[3] beschrieben wurde. Der beschriebene Fischer besitzt, so wie alle Fischer dieser Insel, nur ein kleines Holzboot. Es wird also wenig gefangen. Ihren Fang verkaufen sie an die Inselbewohner. Somit können sich die Fischer mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs eindecken. Es handelt sich hier um eine stationäre Wirtschaft, die nicht wächst. Das Volkseinkommen entspricht exakt dem Konsum. Es gibt also keine Erweiterungsinvestitionen , sondern lediglich Reinvestitionen. Im Grunde genommen ist dies tatsächlich eine Kreislaufwirtschaft. Da die Fischer jeweils nur über ein Boot verfügen, können sie auch nur begrenzt Fische fangen. Die Fischbestände können sich erholen und so ist auch für zukünftige Generationen gesorgt. Also können wir von echter Nachhaltigkeit[4] sprechen. Nachhaltigkeit bezieht sich grundsätzlich auf die intergenerative Verteilungsgerechtigkeit. Diese besagt, dass auch für zukünftige Generationen eine ausreichende natürliche Lebensgrundlage und eine angemessene Nutzung des Naturvermögens gesichert sein muss.

Die Unternehmensberater kommen auf die Insel

Nun kommen aber die BWLér ins Spiel. Die neue Regierung der Insel beauftragt eine internationale Unternehmensberatung, damit die Wachstumspotentiale ausgelotet und ausgeschöpft werden können. Wachstum kann nur entstehen, wenn die Fischer ihre Fanggebiete ausweiten, die Produktivität erhöhen und ihre Arbeitszeit verlängern. Also empfehlen die Unternehmensberater den Fischern, größere und schnellere Motorboote anzuschaffen. Um dies finanzieren zu können, wird der stationäre Wirtschaftskreislauf  um den Sektor „Banken“ erweitert. Die Fischer lassen sich von den BWLérn überzeugen. Sie haben aber kein Geld, um diese Motorboote zu finanzieren. Dies stellt aber kein Problem dar, schließlich gibt es neuerdings Kredite durch die Bank. Wie ich im Blog „Der Schattenbankkapitalismus“ bereits erläutert habe, wird die Geldschöpfung durch einen Kredit in Gang gesetzt. Durch die Kreditvergabe kommt nun die Wirtschaft richtig in Schwung. Die Boots- und Motorbauer erhalten zusätzliches Einkommen. Sie können auf der Insel nun immer stärker konsumieren. Die Wirtschaft wächst. Dieses Wachstum kommt der gesamten Insel zugute und der materielle Wohlstand steigt. Dank des Kredits werden nun immer mehr Boote gebaut und auch mehr Fische gefangen. Es entstehen immer mehr Einkommen. Diese sind aber auch dringend notwendig, weil die Fischer ihre zusätzlichen Fische verkaufen müssen, um ihre Kredite tilgen zu können.

Durch die Einführung der Verschuldungswirtschaft ist nun der Kapitalismus mit dem systemimmanenten Wachstumszwang auf die Insel gekommen. Der Kapitalismus lebt also von der permanenten Verschuldung.[5]  Er „ist darauf programmiert, dass Unternehmen von günstigen natürlichen Inputs profitieren, sich also Energie und Rohstoffe aneignen. Was ihnen aber nicht auferlegt wird, ist die Verantwortung, das, was sie der Natur entnehmen, wieder zurückzugeben, das Zerstörte zu reparieren. Die Beziehung von Ökonomie und natürlicher Umwelt ist deshalb krisenförmig, weil der Kapitalismus das, was er braucht, um zu funktionieren – in diesem Fall die Natur – gleichzeitig rücksichtslos vernichtet.“[6] Fraglich ist, wie lange die Natur diese Vernichtung (oder auch Verschuldung) noch erträgt und sich ausbeuten lässt. Sowohl die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll (Erster Teil) als auch diese Fischereigeschichte von Mathias Binswanger werfen ökonomische Fragen auf, die dann im nächsten Blog behandelt werden.

 [1] Ulrike Hermann, Das Ende des Kapitalismus, Köln, 2022, S. 88

[2] Im wunderbaren und absolut lesenswerten Buch von Ulrike Hermann, Das Ende des Kapitalismus, wird dieser Zusammenhang ebenfalls auf Seite 88 ff. dargestellt.

[3] Siehe Blog vom 17. Oktober 2022 (die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll)

[4] Ein Beispiel für „unechte“ Nachhaltigkeit lieferte im Juli 2022 das Europäische Parlament. Das Parlament stimmte dem Vorschlag der EU – Kommission zu, Investitionen in Atom- und Gasanlagen als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zu klassifizieren. Gas besteht, wie Kohle und Öl auch, aus Kohlenstoff. Damit hat sich das europäische Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit endgültig diskreditiert.

[5] Paradoxerweise setzen die Marktliberalen der FDP auf freie Finanzmärkte, die aber ohne die permanente Produktion neuer Staatsanleihen und neuen Staatsschulden nicht funktionieren können. Andererseits wird das Mantra der Schuldenbremse gebetsmühlenartig gepredigt.

[6] Nancy Fraser, „Der Kapitalismus ist kannibalisch“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9`22, Berlin, 2022, S. 65

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