Nachhaltigkeit reicht nicht aus

31. Mai 2021

 „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“

 (Mahatma Gandhi)

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem jüngsten Urteil zum Klimawandel  festgestellt, dass die Bedenkenlosigkeit hinsichtlich des Klimakollaps grundgesetzwidrig ist. Um den zukünftigen Generationen das Überleben zu sichern, müssen tiefgreifende Veränderungen stattfinden. Freiwillige Verhaltensänderungen werden aber nichts bringen, denn diese Debatten führen letztendlich dazu, dass die Menschen sich schuldig und hilflos fühlen. Außerdem ist dies eine Ablenkung, denn die Menschen zerstören nicht die Umwelt – dies erledigt der Kapitalismus. Diese Wirtschaftsweise ist auf maximale Ressourcenausbeutung ausgelegt. Diese Ressourcen kommen allesamt aus der Natur. Die Zerstörung der Natur erhöht das Bruttoinlandsprodukt, die Wirtschaft wächst. Anschließend wird der Versuch unternommen, die Schäden, wenn überhaupt möglich, zu reparieren; diese Reparaturen erhöhen dann das Wirtschaftswachstum  noch einmal. Einiges lässt sich reparieren, das Klima bzw. die Atmosphäre allerdings nicht. Ein amerikanischer Kulturwissenschaftler hat einmal gesagt, dass man sich heute eher das Ende der Welt vorstellen kann als das Ende des Kapitalismus.

Freiwillige Verhaltensänderungen bringen nichts

Auch Apelle,  vorbildliches ökologisches Verhalten und Klimaneutralität führen ins Leere. Der Manager mag in seinem Garten Biogemüse anpflanzen und ein Elektroauto fahren, wenn er aber in seinem Job die wachstumsorientierten Quartalszahlen nicht erfüllt, wird er vom Wirtschaftssystem ausgespuckt. Die ökonomischen Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen inklusive der albernen Quartalszahlen sind veraltet und sie müssen gründlich reformiert werden. Die Wirtschaft muss sich auf eine Gemeinwohlökonomie umstellen und das ökonomische Rechenwerk ist längst nicht mehr zeitgemäß. Die externen Kosten sowie die gesamte Bilanzierung müssen dem ökologischen Fußabdruck angepasst werden. Unternehmen, die sich dem Gemeinwohl unterordnen, werden dann weniger Steuern zahlen und in vielen anderen Belangen müssen sie Vorteile erhalten. Sie sind dann als erfolgreich einzustufen, wenn sie übergeordnete gesellschaftliche Ziele, wie beispielsweise die Bekämpfung des Klimawandels, befördern und nicht behindern.

Die fossile Industrie

Ich habe in einigen Blogs darauf hingewiesen, in welchem Umfang die fossilen Industrien  weltweit Subventionen einstreichen, nämlich die unvorstellbare Summe von 5 Billionen Dollar jedes Jahr. Um den Preis fossiler Brennstoffe zu senken, werden 500 Milliarden US-Dollar jedes Jahr aufgewendet. Um in Deutschland das Flugzeugkerosin zu verbilligen, den Diesel zu fördern und das Dienstwagenprivileg aufrecht zu erhalten, müssen die Steuerzahler jedes Jahr 50 Milliarden ausgeben[1]. Obwohl die fossile Industrie rückläufig sein müsste, ist die Dekarbonisierung noch in weiter Ferne, weil gegenwärtig 85 Prozent[2] des globalen Primärenergieverbrauchs von den fossilen Rohstoffen  abhängen. Einerseits schrumpfen die Ölreserven und andererseits ist die Abhängigkeit von dieser Ressource ungebrochen. Das größte Problem ist aber der Klimawandel. Deshalb ist „ein sofortiger Stopp von Investitionen in neue Projekte zur Versorgung mit fossilen Brennstoffen […] nötig.“ [3]

Außerdem sind es häufig genau diese fossilen Branchen, die sich auch noch vor den Steuerzahlungen drücken. Sie nutzen die Steuervorteile vieler Länder, ohne dass sie ihre Vermögenswerte physisch bewegen müssen.  Es besteht gegenwärtig die historische Chance, dass internationale Steuerrecht zu vereinheitlichen. Dies wird gegenwärtig in der OECD und mit den G20-Staaten verhandelt. Der US-Präsident, Joe Bidden, hat schon vernünftige Vorschläge unterbreitet und es bleibt zu hoffen, dass das deutsche Steuersystem grundlegend reformiert wird. Hier lassen sich sehr viele Änderungsmöglichkeiten finden. Ein kleines, einfaches Beispiel – nach § 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben unbeschränkt steuerpflichtig. Die Definition des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltsortes ergibt sich aus den §§ 8 und 9 der Abgabenordnung. Die Sinnhaftigkeit der wohnsitzabhängigen Besteuerung sollte auf den Prüfstand gestellt werden. Beispielsweise folgt die USA diesem Prinzip nicht. Sie besteuert ihre Staatsbürger aufgrund der Staatsbürgerschaft. Im Ausland lebende US-Staatsbürger müssen also in ihrem Wohnsitzland als auch in den USA Steuern zahlen. Um sich der US-Besteuerung zu entziehen, müssen Amerikaner auswandern und auf ihre Staatsbürgerschaft verzichten. Und das überlegt man sich zweimal. Dies ist eine (kleine und einfache) Möglichkeit, die Steuerflucht zu unterbinden und Gelder für die Bekämpfung des Klimawandels zu generieren. In der Zusammenarbeit der OECD mit den G20-Staaten besteht nun die einmalige Gelegenheit, unter der Federführung von Joe Bidden, eine durchgreifende Reform des internationalen Steuerrechts zu erreichen. Außerdem beabsichtigt Joe Bidden die amerikanischen Steuersätze erheblich anzuheben und den internationalen Steuerwettbewerb zu bekämpfen. Auch wenn das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, sollte sich Deutschland und Europa diese historische Chance nicht entgehen lassen.

Veränderungen sind machbar, Herr Nachbar

Um dem Klimawandel ernsthaft zu begegnen, ist das Wirtschafts- und Steuersystem tiefgreifend zu verändern, denn, wie bereits erwähnt, der Mensch zerstört nicht die Umwelt, der Kapitalismus tut es. Die weltweite Expansion des Finanzsektors, die weiter voranschreitende Kapitalakkumulation, die ständig wachsende Güterproduktion und der zunehmende Handel kann nur mit gesetzlichen Regelungen und institutionellen Änderungen aufgehalten werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war ein erster notwendiger Schritt, weitere müssen folgen, denn die Gefahr einer Ökodiktatur wird durch den Klimawandel immer wahrscheinlicher. Die Ökodiktatur ist nicht dahingehend zu interpretieren, dass ein Mensch, ein Diktator, eine ökologische Politik vorschreibt und durchsetzt. Dies wird natürlich, glücklicherweise, nicht geschehen. Die Ökodiktatur ist in dem Sinne zu verstehen, dass die Natur uns diktieren wird, wie wir uns zu verhalten haben. Über viele Jahrhunderte wurde die Natur zunehmend ausgebeutet und die Kapitalakkumulation übernahm vor 200 Jahren das Diktat über die Natur. Das renditeorientierte Kapital konnte sich nur durch eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur vermehren. Dies wird sich rächen, weil uns nun die Natur zukünftig massive Einschränkungen diktieren wird. Sie werden darin bestehen, dass bestimmte Verhaltensweisen, Freiheitsansprüche und Konsumforderungen obsolet werden. Gerade in der fossilen Branche muss häufig schon mehr Energie aufgewendet werden, um den gleichen Nettoenergieertrag zu erhalten. Dies wird besonders deutlich, wenn man den „Energy Return on Investment“ (EROI)[4]  untersucht. Tendenziell wird es in einer Ökodiktatur auf eine Mangelwirtschaft hinauslaufen, die die Warenvielfalt der ehemaligen DDR als Paradies erscheinen lässt. Diese Art der Ökodiktatur scheinen viele Politikerinnen und Politiker, vornehmlich aus der FDP, noch nicht verstanden zu haben.

Im Jahre 1999 formulierte der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, dass er verstanden habe. Aber was hat er verstanden? Heute findet man diesen Sprachgebrauch auch beim Wirtschaftsminister, Peter Altmeier (CDU), oder auch beim Finanzminister, Olaf Scholz (SPD). Angeblich haben Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstanden. Jetzt meinen sie, dass es ausreichend ist, die Kohlekraftwerke abzuschalten, Inlandsflüge zu verbieten, ein Tempolimit einzuführen und den Fleischpreis zu erhöhen. Auch das sind gewiss notwendige Maßnahmen, sie sind aber nicht hinreichend – ob sich der Klimawandel davon beeindrucken lässt, darf bezweifelt werden.

[1] Vgl. Pepe Egger, Wir zahlen für Zerstörung, in: der Freitag, Nr. 47 vom 19.November 2020, S. 31

[2] Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2019.

[3] Bericht der Internationalen Energie Agentur vom 18.05.2021

[4] Vgl. Udo Köpke, Die Vergötterung der Märkte, Marburg, S. 141 ff.

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