Wir Sklavenhalter

04. Juni 2019

Der Profi Christian Lindner hat auf dem letzten Parteitag der FDP verkündet, dass er sich CO2 – neutrale Flugzeugantriebe wünscht. Scheinbar glaubt der Klimaprofi Lindner an technische Lösungen, die kaum Energie verbrauchen und gleichzeitig  CO2 -neutral sind. In früheren Zeiten hat die Menschheit schon einmal den Versuch unternommen, dass „Perpetuum mobile“ zu bauen, also eine Einrichtung, welche ohne äußere Energiezufuhr unbegrenzte Zeit in Bewegung bleibt. Dies konnte natürlich nicht gelingen, weil bei jeder mechanischen Bewegung Reibungsverluste entstehen. Mechanische Energie wird dann in Wärme umgewandelt. Da nach dem Energiesatz die gesamte Energie konstant bleibt, vermindert sich die verfügbare mechanische Energie fortwährend um die Reibungsverluste, und das angebliche „Perpetuum mobile“ bleibt irgendwann stehen.

Folglich wird immer Energie benötigt, um ein leistungsfähiges Aggregat zu betreiben. Insofern hängt Energie und Leistung eng zusammen, denn Leistung ist die pro Zeiteinheit abgegebene oder aufgenommene Energie. Man kann sie beispielsweise messen in Kilopondmeter je Sekunde, Kilokalorien je Sekunde oder auch in Watt. Mir ist das Leistungsmaß „Pferdestärke“, also PS, noch sehr vertraut. Ein PS entspricht 75 Kilopondmeter je Sekunde: das heißt, wer ein PS leisten will, muss beispielsweise 75 Kilogramm in einer Sekunde einen Meter gegen die Erdschwere heben. Welche Energieleistung vollbringt nun eine Tasse Rohöl?

Der Wert und die Kraft einer Tasse Rohöl

Aus Rohöl werden sehr viele Produkte hergestellt, unter anderem auch Benzin, Diesel und Kerosin. Der aktuelle Literpreis (in Euro) von Benzin und Diesel reflektiert den Wert überhaupt nicht. Um den Wert darzustellen, werden andere Parameter benötigt. Beispielsweise kann der Wert des Benzins anhand der Energiedichte erklärt werden. Die Energiedichte von Benzin, Diesel und Kerosin liegt bei circa 12.000 Wattstunden (Wh) pro Kilogramm (kg) Kraftstoff. Gegenwärtig leisten moderne Li-Ionen-Akkus 130 Wh pro kg. Diese Akkus werden in Elektroautos verbaut. Experten rechnen damit, dass im Jahr 2020 die Energiedichte dieser Akkus 200 Wh pro kg betragen wird.  Aufgrund dieser Energieleistung haben Kraftstoffe auf Ölbasis einen sehr hohen Wert, der durch den Preis nicht angezeigt wird.

Vermutlich hat Christian Lindner keine genaue Vorstellung davon, welche Energieleistung das Sonnenlicht der Urzeit in seinem Porsche vollbringt. Um den Wert, die Kraft und die unglaublich hohe Energiedichte von Kraftstoffen auf Ölbasis darzustellen, nutze ich ein, wirklich sehr einfaches, Beispiel. Sinngemäß stammt es von Ron Oxburgh, ehemaliger Präsident von Shell.

Es ergibt sich also folgende Ausgangssituation:

Wir verfügen über einen handelsüblichen PKW. Das Gewicht des PKWs beträgt 1500 kg. Fünf Personen, die im Durchschnitt 75 kg wiegen, sitzen im PKW. Zum Gewicht vom PKW kommen also noch 375 kg dazu, sodass das Gesamtgewicht 1875 kg beträgt. Der handelsübliche PKW hat einen Benzinverbrauch von 6,5 Liter (l) / pro 100 Kilometer (km). Die fünf Personen wollen mit diesem PKW einen 2000 Meter (m) hohen Berg hinauffahren. Da wir natürlich den Berg nicht direkt »bezwingen« können, müssen die Serpentinen mitberücksichtigt werden. Dadurch verlängert sich der Weg auf 5 km und der Benzinverbrauch steigt auf 10 l / pro 100 km. Wir verbrauchen also (5 km / 100 km) * 10 l = 0,5 l. Das entspricht einem großen Bierglas. 0,5 l Benzin kosten circa 0,60 Euro (bei einem unterstellten Benzinpreis von 1,20 Euro pro l).

Die Energieleistung ist so stark, dass sie eigentlich einen extrem hohen monetären Wert haben müsste. Für 0,60 Euro transportieren wir ein Gewicht von 1875 kg einen 2000 m hohen Berg hinauf. Wenn wir das mit dem Produktionsfaktor Arbeit in Relation setzen, könnte dieses Gedankenspiel folgendermaßen weitergehen: Eine Schulklasse mit 30 Schülerinnen und Schülern bekommt den Auftrag, einen mit fünf Personen besetzten 1875 kg schweren PKW einen 2000 m hohen Berg ohne Hilfsmittel hochzuschieben. Der Gesamtlohn entspricht den Energiekosten des Benzins, nämlich 0,60 Euro. Da die Klasse aus 30 Schülern besteht, bekommt jeder Schüler für diese Arbeit 0,02 Euro, nicht als Stundenlohn, sondern für die gesamte Arbeit.

Wer dieses Beispiel für unrealistisch hält, kann die oben genannten Zahlen beliebig variieren, niemand wird nur annähernd auf den Mindestlohn kommen. Falls Herr Lindner einen E-Porsche fährt, müsste das oben genannte Gedankenspiel etwas modifiziert werden, die Konsequenzen ändern sich aber nur geringfügig. Grundsätzlich verdeutlicht dieses Beispiel den Zusammenhang zwischen der menschlichen Kraft und der Energieleistung des Öls.[1]

Der moderne Sklave

Früher, im Jahre 1995, hatte ein PKW durchschnittlich 95 PS, im Jahre 2016 waren es 140 PS und nach den Angaben des Wirtschaftsprofessors Ferdinand Dudenhöffer sind es heute (durchschnittlich!) 153,4 PS. Tendenz steigend – unfassbar in Zeiten des Klimawandels. Auch ist es unvorstellbar, dass in der westlichen Welt jeder Mensch bis zu 60 »Energiesklaven« rund um die Uhr für sich arbeiten lässt. In den meisten Fällen sind diese »Energiesklaven« nur möglich, weil uns das Öl diese Energie extrem preiswert zur Verfügung stellt. Diese »Energiesklaven«, die wir jeden Tag 24 Stunden arbeiten lassen, halten unseren Konsum- und  Lebensstil aufrecht. Kohle, Erdgas und Erdöl sind sowohl ökonomisch als auch technisch die idealen Träger von Arbeitsvermögen. Ein Barrel Öl (= 159 Liter) enthält die gleiche Energieleistung eines Arbeiters, der 25.000 Stunden arbeitet. Ein Barrel Rohöl kostet gegenwärtig circa 60,00 Euro. Es wäre an dieser Stelle sehr stark untertrieben, von einem Missverhältnis zu sprechen.

Die Lebensgrundlage des Kapitalismus ist der technische Fortschritt, der im Laufe der Jahre immer effizienter wurde. Die Steigerung der Effizienz führte, auch bedingt durch den Rebound – Effekt, zu höheren Energieumsätzen und einer Beschleunigung des Treibhauseffekts. Warum soll dies durch eine zukünftig Technologie anders sein? Unser Planet ist jetzt schon mit der Lebensweise der Industriestaaten total überfordert und kommt an seine Grenzen. In jedem deutschen Haushalt befindet sich inzwischen so viel Energie wie noch nie zuvor und die Energieumsätze sind auf einem extrem hohem Niveau. In der wirtschaftlichen Praxis beschäftigen sich Ingenieure allen Ernstes damit, wie beim Auto die Heckklappe elektrisch geöffnet und geschlossen werden kann und „dicke“ Kinder fahren natürlich ebenfalls ihre, mit Braunkohlestrom betriebenen, elektrischen Roller.  Sowohl das Fahrradfahren als auch die Fortbewegung zu Fuß wären gesünder und klimafreundlicher. Vielen Dank, Andreas Scheuer, „Minister für Verkehrspolemik“ (Süddeutsche Zeitung); als wenn wir im Verkehrssektor und in der Mobilitätsindustrie keine anderen Probleme hätten.

Die Energie muss höher besteuert werden

Aufgrund der Energieleistung fossiler Brennstoffe nahm im Zuge der Industrialisierung die Produktivität des Kapitals immens zu. Diese außerordentlich hohe Energieleistung trägt im Vergleich zum Produktionsfaktor Arbeit wesentlich zur Wertschöpfung der Industriestaaten bei. Die Produktionsmächtigkeit der Energie wird vergleichsweise gering besteuert, während die Arbeit sehr stark mit Steuern belastet wird. Dieser Sachverhalt führt dazu, dass sich zwei wichtige volkswirtschaftliche Probleme ergeben: Zum einen werden Arbeitsplätze abgebaut, weil die Unternehmungen tendenziell Arbeit durch Kapital beziehungsweise Energie ersetzen[2] und zum zweiten entsteht durch die umgewandelte Energie Wärme und  Kohlenstoffdioxid wird freigesetzt, somit wird der Klimawandel beschleunigt. Um diese Probleme zu lösen, ist, neben einer CO2 – Steuer, zwingend eine ökologische Steuerreform durchzuführen, die sowohl den Produktionsfaktor Kapital als auch die Energie höher besteuert.

[1] In meinem Buch „Die Vergötterung der Märkte“ habe ich mich intensiv mit dem Rohstoff Öl beschäftigt. Neben der Entstehung von Rohöl steht die Preisbildung, der Wert, die Energieleistung und natürlich der CO2 -Ausstoß im Vordergrund der Betrachtung.

[2] Spätestens seit Veröffentlichung des Werkes „Das Kapital“ von Karl Marx im Jahre 1867  ist dieser Sachverhalt bekannt. Die ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus bewirken natürlich auch, dass die Arbeit nicht mehr natürlicher Ausdruck des menschlichen Lebens ist, sondern sich in etwas verwandelt, was die Individualität zerstört und den Menschen zum Sklaven der Gegenstände macht. Der französische Sozialphilosoph Andre`Gorz trifft den Nagel genau auf den Kopf, wenn er feststellt, dass die Menschen „produzieren, um zu arbeiten, statt zu arbeiten um zu produzieren.“

Weitere Artikel