Der Wirtschaftskreislauf

10. April 2019

Der Mensch kann seinen gesamten Energiebedarf ausschließlich aus der Nutzung der Sonne decken. Einerseits kann er dies durch die direkt eingestrahlte Energie und andererseits durch die gespeicherte Energie der Sonne bewerkstelligen. Sonnenenergie ist kurzzeitig in Wind, Wasser und Biomasse und langzeitig in fossilen Brennstoffen (zum Beispiel Öl und Kohle) gespeichert. Alle vorindustriellen Kulturformen der Welt nutzten ausschließlich die Kurzzeitspeicher. Sie lebten gewissermaßen von den Zinsen. Mit beginnender Industrialisierung entdeckten die Menschen die Langzeitspeicher. Immer mehr Ölquellen wurden erschlossen und maßlos ausgebeutet; das Kapital wurde hemmungslos angegriffen. Damit löste die Menschheit eine ungeheure Steigerung des Energieumsatzes aus. Da die Langzeitspeicher extrem kostengünstig waren, drängte die  marktwirtschaftliche Konkurrenzwirtschaft alle anderen Energieträger beiseite. Warum geht nun die Mainstream – Ökonomie davon aus, dass Wirtschaftsgüter und Energie unbegrenzt zur Verfügung stehen?

Tableau economique

Der französische Arzt und Ökonom Francois Quesnay (1694–1774) entwickelte das Tableau economique, den sogenannten Wirtschaftskreislauf. In diesem Kreislauf werden alle volkswirtschaftlichen Geld- und Güterströme abgebildet. Grundsätzlich gilt, ein Wirtschaftssystem besteht aus verschiedenen Sektoren: Unternehmen, Haushalten, Banken, Staat und Ausland. Im Wirtschaftskreislauf treten die genannten Sektoren in verschiedene Austauschverhältnisse. Die Haushalte stellen den Unternehmen ihre Arbeitskraft zur Verfügung, im Gegenzug erhalten sie Löhne und Gehälter. Die Unternehmen produzieren Waren, die Haushalte kaufen diese Waren und haben demzufolge Konsumausgaben. Die Haushalte geben aber nicht ihr gesamtes Einkommen für die Waren aus, sondern halten Teile ihres Einkommens zurück, sie sparen. Die gesparten Mittel werden zur Bank gebracht. Die Unternehmen wollen investieren. Das Geld wird ihnen von der Bank zur Verfügung gestellt. So wird das von den Haushalten ersparte Geld im Unternehmen produktiv angelegt; Kapital wird gebildet. Jetzt kann dieser Kreislauf noch erweitert werden. Beispielsweise kann der Staat noch mit aufgenommen werden, sodass die Austauschverhältnisse weiter differenziert (Steuern, Subventionen usw.) werden können. Die Importe und Exporte lassen sich mitberücksichtigen, wenn das Ausland in diesen Wirtschaftskreislauf integriert wird. Jeder Sektor hängt mit jedem anderen Sektor zusammen. Daraus folgt, dass die Ausgaben des einen Sektors die Einnahmen des anderen Sektors sind.

Unternehmen = Wirtschaft?

Wenn von der Wirtschaft gesprochen wird, meinen viele Menschen fälschlicherweise nur den Sektor Unternehmen. Beispielsweise titelt ein beliebiger Börsenbericht: »Der Wirtschaft geht es gut«. An dieser Stelle sind in der Regel nur die (börsennotierten) Unternehmen gemeint. Die anderen Sektoren, Haushalte, kleinere Handwerksbetriebe und Staat, gehören scheinbar nur sekundär zur Wirtschaft. Dies ist natürlich falsch, hat sich aber so in unserem Sprachgebrauch eingebürgert. Auch der Staat ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Nach neoliberaler Denkart wird der Staat aber häufig als Belastung für die Wirtschaft angesehen. Den Arbeitnehmern der Haushalte geht es medial ähnlich, wenn sie als Kostenfaktoren dargestellt werden. Zu den Betrieben der Urerzeugung zählen die Betriebe des Abbaubodens (Bergbau, Ölquellen) und die Betriebe des Anbaubodens (Landwirtschaft). Diese Betriebe werden im Wirtschaftskreislauf nicht korrekt beschrieben, weil sie dem Sektor Unternehmungen zugeordnet werden. Es ist ein Trugschluss zu glauben, Nahrungsmittel würden von den Unternehmen hergestellt. Lebensmittel kommen allesamt aus der Natur, also vom  Anbauboden. Sämtliche Güter kommen im Übrigen aus der Natur, also vom An- oder Abbauboden. Durch die Produktion in den Unternehmen werden diese Güter nur „veredelt“.

Prozess versus Kreislauf

Der Wirtschaftskreislauf wird als Modell dargestellt. Modelle bilden die Realität natürlich nur unzureichend ab, aber auch sie müssen wahr sein. Dies trifft beim Wirtschaftskreislauf nicht zu, da Wirtschaften grundsätzlich ein Prozess ist und kein Kreislauf. Dieser Prozess basiert auf einem Stoffwechsel mit der Natur, der darauf ausgerichtet ist, geordnete Materie und Energie unwiderruflich in ungeordnete Materie und Energie umzuwandeln. Dieser Sachverhalt wird im Wirtschaftskreislauf nicht korrekt abgebildet. Stattdessen wird unterstellt, dass die Unternehmen grenzenlos Güter produzieren können. Naturwissenschaftlich ist das natürlich nicht möglich. Dies wurde bereits im 19. Jahrhundert von Physikern formuliert. Die nachfolgenden Gesetze scheinen an allen Orten der Welt und zu allen Zeiten gültig zu sein. Rudolf Julius Emanuel Clausius (1822–1888) gilt als Entdecker der Entropie und des Hauptsatzes der Thermodynamik.

Thermodynamik zum Ersten

Es gibt sehr viele technische Möglichkeiten, Energie aus der einen in die andere Form zu überführen. Bei allen Veränderungen bleibt aber die Energie unverändert erhalten. Der Energieerhaltungssatz, das erste thermodynamische Gesetz besagt, dass Energie nur umgewandelt werden kann. Insofern kann Energie weder geschaffen noch vernichtet werden. Die von den Unternehmen gemachten Angaben zum Energieverbrauch sind irreführend, weil Energie nicht verbraucht werden kann. Jeder Produktionsprozess wandelt die Energie um. Die Energie bleibt weltweit konstant, lediglich wird die geordnete Materie und Energie durch den Produktionsprozess umgewandelt in ungeordnete Materie und Energie.

Thermodynamik zum Zweiten

 Dies führt uns zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die Energie wird von einer Form in eine andere Form umgewandelt. Ein Großteil der Energie dissipiert, sie wird in Wärme umgewandelt. Alle vom Menschen freigesetzte und genutzte Energie wird im Laufe der Zeit in Wärme transformiert. Diese Wärme wird gleichmäßig verteilt, der Mensch kann sie nicht mehr nutzen. Dies trifft natürlich nicht zu, wenn die Energiequelle die direkte Sonnenstrahlung ist. Zur indirekten Sonnenstrahlung zählt beispielsweise Rohöl, das nichts anderes ist als das Sonnenlicht der Urzeit. Letztendlich stammen alle fossilen Brennstoffe der Erde aus der Photosynthese, also der Bildung energiereicher Substanzen und Sauerstoff in grünen Pflanzen aus Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe des Sonnenlichts. Brennstoffe wie Öl und Gas und natürlich auch Kernbrennstoffe erwärmen die Atmosphäre. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird auch Entropiesatz genannt. Die Entropie nimmt innerhalb eines geschlossenen Systems immer mehr zu, die Entropie strebt einem Maximum zu.  Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird durch irreversible Energieumwandlungen beherrscht. Diese Sachverhalte werden im Wirtschaftskreislauf komplett unterschlagen.

Die endliche Erde und die unendliche Naturausbeute

 Da die Erde aber eine endliche Oberfläche hat, sind die Vorräte logischerweise auch endlich. Knappe Ressourcen werden als Input für den Produktionsprozess durch unsere alleinige  Anbieterin, die Natur, bereitgestellt. Im Wirtschaftskreislauf werden die Güter auf magische Art und Weise aus dem Nichts von den Unternehmen erschaffen. Der verschwenderische Umgang mit den Ressourcen wird komplett ausgeblendet. Im Gegenteil, die Mainstream – Ökonomie vergöttert sogar diese Naturausbeute und „beglückt“ uns mit immer neuen Produkten und einem kontinuierlich steigenden Wirtschaftswachstum.  Dass jede Produktion Energie und Materie umwandelt, siehe erstes thermodynamisches Gesetz, wird aber nicht erwähnt. Die Quelle dieser Stoffströme, die Natur, findet keine Berücksichtigung.

Im Wirtschaftskreislauf findet auch das zweite thermodynamische Gesetz keine Beachtung. Die thermale Verschmutzung ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir mit schwerwiegenden klimatischen Störungen rechnen müssen, weil die wachsende Wirtschaft immer mehr Energie und Materie umwandelt. Das führt dann direkt in die Klimakatastrophe.

Die genannten Quellen und Senken finden im Wirtschaftskreislauf keine Berücksichtigung. Es werden weder Ressourcen verbraucht noch wird die Umwelt verschmutzt. Aus ökologischen Erwägungen heraus ist die durchgängige Betrachtung von Quellen und Senken in der gesamten Ökonomie anzuwenden. Insbesondere ist der Kohlenstoffkreislauf zu beachten. Wir benötigen eine Ökonomie, die das ökologische Gleichgewicht und den stofflichen Kreislauf konsequent in den Mittelpunkt stellt[1]. Es ist wirklich besorgniserregend, denn in den Wirtschaftssektoren ist so viel Energie wie noch nie und die Erde wandelt sich zu einem Treibhaus. Selbst für die einfachsten Arbeiten im Haushalt gibt es unzählige energieverschlingende Geräte und jeder Autofahrer stellt selbstverständlich seinen Außenspiegel elektrisch ein und lässt die Heckklappe mit Hilfe eines Elektromotors schließen.

Nicholas Georgescu-Roegen sei Dank

Diese Erkenntnisse verdanken wir dem Wissenschaftler Nicholas Georgescu-Roegen (1909–1994), der den Versuch unternahm, die Thermodynamischen Gesetze der Physik auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu übertragen. Er forschte bis zu seinem Tod an der Vanderbilt-Universität in Nashville (USA). Georgescu-Roegen schrieb bereits 1971: «Jeder heute neu gebaute Cadillac verkürzt die Lebenschancen künftiger Generationen.«

[1] Es wird höchste Zeit, dass in der volkswirtschaftlichen Grundausbildung naturwissenschaftliche Zusammenhänge gelehrt und gelernt werden.

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