Die Fischerei und der Kapitalismus (1)

17. Oktober 2022

„Wachstum um des Wachstums willen ist die Ideologie der Krebszelle.“ (Edward Abbey)

Viele Menschen können sich das Ende der Welt vorstellen, ein Ende des Kapitalismus ist für viele Menschen hingegen unvorstellbar. Zweifelsfrei hat der dynamische Kapitalismus viele Wohltaten gebracht. Die Menschheit wurde reicher und wohlhabender. Die Konsummöglichkeiten wurden im Laufe der Zeit immer größer. Alles in allem ist der Kapitalismus eine gute Sache und er war ein großer Fortschritt. Er hat aber auch fundamentale Schwächen, denn er erzeugt Wachstum. Und dieses Wachstum ist systemimmanent. Er muss also wachsen, sonst ist seine Stabilität gefährdet.

Der Kapitalismus ist nicht nur ein ökonomisches System, er durchdringt unser gesamtes Leben. „Deswegen ist es auch so schwer, gedankliche Alternativen zu entwickeln.“[1] Die Menschheit spürt aber bereits, dass der Kapitalismus die Erde zerstört. Klimawandel, Artensterben, ökologische Katastrophen und eine nie dagewesene Naturzerstörung sind allgegenwärtig. Deshalb muss umgesteuert werden.

Vieles hängt mit der Fischerei zusammen

Ich möchte an dieser Stelle in den nächsten Wochen bestimmte Aspekte des Kapitalismus anhand der Fischerei erklären. Also, willkommen zu einer kurzen Reise durch die Welt des Kapitalismus und der Fischerei. Vorab aber eine Anekdote aus meiner Schulzeit.

Zu meiner Schulzeit stand eine Anekdote von Heinrich Böll (1917–1985) auf dem Lehrplan. Diese Anekdote wurde ausführlich unterrichtet und es fand somit eine wirksame Auseinandersetzung mit dem Begriff der Freizeit statt. Nebenbei erfuhr man etwas über die Kapitalbildung und den Widerspruch von Kapital und Arbeit. Auch konnte man sich Gedanken über das Wirtschaftswachstum machen. Zu meiner Schulzeit gab es aber noch keinen Anlass, dass Wirtschaftswachstum kritisch zu hinterfragen.

Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral 

Die Kurzgeschichte Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll aus dem Jahre 1963, die hier in einer abgewandelten und gekürzten Form wiedererzählt wird, handelt von einem Touristen und einem Fischer, die in ein Gespräch geraten und ihre verschiedenen Meinungen zur Arbeitsethik und Lebenseinstellung austauschen.

In einem Hafen an der Westküste Europas schläft ein ärmlich gekleideter Fischer und wird durch das Klicken des Fotoapparates eines Touristen geweckt. Anschließend fragt der Tourist den Fischer, warum er denn nicht draußen auf dem Meer sei und fische. Heute sei doch so ein toller Tag, um einen guten Fang zu machen, es gebe draußen viele Fische. Da der Fischer keine Antwort gibt, denkt sich der Tourist, dem Fischer gehe es nicht gut und fragt ihn nach dessen Befinden, doch der Fischer hat nichts zu beklagen. Der Tourist hakt noch einmal nach und fragt den Fischer abermals, warum er denn nicht hinausfahre. Nun antwortet der Fischer, er sei schon draußen gewesen und habe so gut gefangen, dass es ihm für die nächsten Tage noch reiche. Der Tourist entgegnet, dass der Fischer noch zwei-, drei- oder gar viermal hinausfahren und dann ein kleines Unternehmen aufbauen könnte, darauf ein größeres Unternehmen und dieses Wachstum immer weiter steigern könnte, bis er sogar das Ausland mit seinem Fisch beliefern würde. Danach hätte der Fischer dann genug verdient, um einfach am Hafen sitzen und sich ruhig entspannen zu können. Der Fischer entgegnet gelassen, am Hafen sitzen und sich entspannen könne er doch jetzt schon. Darauf geht der Tourist nachdenklich und ein wenig neidisch fort.

 

[1] Ulrike Herrmann, Das Ende des Kapitalismus, Köln, 2022, S. 23

 

Weitere Artikel