KI und die schöpferische Zerstörung

11. März 2021

„Einer, der sich selbst begreift, wie sollte der aufzuhalten sein?“

(Bertold Brecht)

Der Ökonom Joseph A. Schumpeter (1883-1950) hätte Bill Gates (Microsoft) und Elon Musk (Tesla) als den lebenden Beweis seiner Theorie angesehen. Seit den Theorien von Schumpeter, der die schöpferische Zerstörung und den dynamischen Unternehmer propagierte, hat sich die Welt aber verändert. Neben den kolossalen Veränderungen in der Biosphäre und der Atmosphäre kamen in den 1990er-Jahren die „neoliberale Konterrevolution“ (Ringger/Wermuth), flankiert durch die digitale Revolution, hinzu. Die Sozialstrukturen haben sich in dieser Zeit fundamental geändert. Die neusten Veränderungen bescherte uns ein wie wild mutierendes RNA-Genom, dass Corona-Virus.

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig die digitale Kommunikation ist. Dadurch wurde der Lockdown teilweise aufgefangen und gemildert. Online-Werkzeuge, Videokonferenzen, Online-Unterricht und auch der E-Mail-Versand haben den Lockdown positiv begleitet. Hier wirkte die Digitalisierung durchaus positiv, warum sollte man auch Algorithmen verteufeln? Ebenso kann man auch nichts gegen die Mathematik haben. Dies ist unstrittig und muss auch nicht weiter erörtert werden.[1]

Die Künstliche Intelligenz (KI)

Die Künstliche Intelligenz hingegen wird tiefgreifend in unser „Menschsein“ eingreifen. Bei der Diskussion um die Künstliche Intelligenz geht es deshalb darum, die humanistische Selbstbildung im Sinne des dänischen Philosophen Kierkegaard in den Blick zu nehmen, nämlich: „Sei du selbst!“ Im Gegensatz zur KI kann ein Mensch Einkehr halten, sich besinnen , sich  selbst reflektieren und sich selbst begreifen (siehe B. Brecht). Der Mensch muss sich weder optimieren noch muss er effizient sein, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Ziele sind ohnehin sekundär, denn der Weg ist entscheidend, der Lebens-Weg. Und dieser Weg sollte weder die Work-Life-Balance als Maßstab etablieren, noch von irgendwelchen To-do-Listen geprägt sein. Leben gelingt dann, wenn Leben gelebt wird und das schafft keine KI, sondern nur die Lebewesen dieser Erde, denn „es gibt keine a priori richtige oder falsche Form des Lebens und mithin auch keine a priori bestimmbare Form des guten Lebens und des Glücks.“ [2]

Die KI zeichnet sich dadurch aus, dass sie genuin, das heißt aus sich selbst heraus innovativ ist. Strittig ist, ob sie auch fortschrittlich ist. Im Diskurs um die KI geht es selten um den gesellschaftlichen Fortschritt oder um den gesellschaftlichen Nutzen, sondern nur um den technischen Fortschritt. In den meisten Fällen steht die Optimierung des Gewinns und die Monopolisierung der entsprechenden Patentrechte im Vordergrund. Insofern liegen Fortschritt und Unbehagen sehr dicht beieinander und die Fortschrittsidee entspricht nicht zwangsläufig der gesellschaftlichen Realität. Es wäre ein  fataler Trugschluss, die kulturelle Evolution auf die Technologie zu reduzieren.  Die Corona-Krise „und andere Ereignisse der jüngsten Vergangenheit verdeutlichen, dass die gesellschaftliche Realität widersprüchlicher und fragiler ist, als es uns das Fortschrittsnarrativ glauben machen will.“[3]

Die digitale Welt wird in vielen Medien anders dargestellt und häufig behaupten einige Politikerinnen und Politiker, dass die KI zukünftige Probleme lösen wird. Dies mag in vielen Fällen so sein. Verallgemeinern lässt sich solche Aussagen nicht, weil Zukunftsberechnungen von Computern und der sogenannten Künstlichen Intelligenz erstellt werden, die natürlich keine biotischen Wesen sind. Im Gegensatz zu Menschen können sie ohne Leib existieren und benötigen Strom, verhungern können sie indes nicht. Deshalb können sie auch nicht erahnen, was es bedeutet, Hunger zu haben. Die Künstliche Intelligenz kann sich selbst nicht begreifen, dass kann nur der Mensch. Der Computer hat auch keine sinnliche Vorstellung davon, wie er von Menschen produziert wird, denn er kann sich selbst nicht biologisch wahrnehmen. Die KI mag vielleicht „begreifen“, dass sie mithilfe der industriellen Massenproduktion hergestellt wurde. Nur Menschen können erfassen und begreifen, dass dieser Produktionsprozesse auch durch kriegerische Auseinandersetzungen um Rohstoffe und Schmiergeldzahlungen an korrupte Regime am Laufen gehalten werden. Auch hat die Künstliche Intelligenz keine Vorstellung über die Kinderarbeit und die entsetzlichen Arbeitsbedingungen in den Minen dieser Welt. Um KI zu ermöglichen, müssen knappe Rohstoffe wie Coltan, Kobalt, Platin und Gold gefördert werden. Um Lithium aus der Erde zu holen, wird in Chile, Argentinien und Bolivien die Umwelt in einem unvorstellbaren Maße verwüstet. Dazu hat sich der Tesla-Chef Elon Musk im Sommer 2020 geäußert und er zeigte unmissverständlich seine imperialen Ambitionen indem er behauptete: “Wir putschen gegen jeden, wann immer wir wollen…“. Er bezog sich mit dieser Aussage auf die Lithiumvorkommen in der chilenischen Atacama-Wüste. Der imperialistische Kapitalismus ist bei den smarten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Silicon-Valley scheinbar besonders ausgeprägt. Die kapitalistische Ideologie wird durch die KI immer weitergetrieben und perfektioniert. Aber wohin? Werden wir glücklicher sein, wenn die Verschmelzung von Mensch und Maschine vollzogen wird und eine ständige Optimierung unser Verhalten bestimmt? Richard David Precht hat recht, wenn er ausführt: „Wäre jeder ein gnadenloser Optimierer, wäre die Gesellschaft in kürzester Zeit zerstört.“[4]

Die Desillusionierung als neuen Weg begreifen

Gottfried Benn (1886-1956) formulierte: „Mundgerecht soll alles gemacht werden, keiner soll mehr an einer selbstbestellten und selbstbeurteilten Hauptnahrung herumkauen müssen, die vielleicht seinem Gebiß Schwierigkeiten macht. Zahnkaries ist ja ein stigmatisierender Defekt der Zeit, also: kleine Bissen, vorgekaut, weichgekaut und damit sind wir bei….“ dem selbstständigen Denken angekommen. KI verfolgt grundsätzlich ein Ziel, das auf einem vorgegebenen, weil programmierten, Weg zu erreichen ist. Dies stellt sich in der Bildung und beim selbstständigen Denken anders dar, denn der Bildungs-Weg ist auch selbst das Ziel. Dieser Sachverhalt scheint bei vielen Gesellschaftswissenschaftlern nicht mehr präsent zu sein. Es wäre hilfreich, in den ökonomischen Seminaren die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll zu lesen. Wohin man auch schaut, scheinbar steht der homo oeconomicus[5] im Mittelpunkt vieler gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Betrachtungen; also ein Individuum, dass mit einer unveränderlichen Bewertungsskala und mit einem geringen Bezug zur Umwelt durch das Leben schreitet und die Skalierbarkeit von allem und jeden zum obersten Gebot erklärt. Eine effiziente Zielerreichung hat oberste Priorität, der Weg dorthin ist zur Nebensache verkommen. Der homo oeconomicus ist natürlich vollkommen informiert, die Nutzenmaximierung ist der höchste Wert und die Digitalisierung respektive die Künstliche Intelligenz wird von Ökonomen kaum kritisiert. Mir liegt es fern, die Künstliche Intelligenz zu verteufeln. Ich bin aber trotzdem der Auffassung, dass die KI kaum positiv bestimmt werden kann. Wenn man sich nicht in Phrasen und Wertungen verstricken möchte, ist es sinnvoll, die KI negativ zu erfassen und die bestehenden Verhältnisse und Handlungsbeschränkungen zu analysieren. Auch wenn diese negative Herangehensweise desillusionierend wirkt, so kann sie aber auch eine Tugend sein, die den Raum für eine realistische Analyse öffnet. Ganz im Sinne der Aufklärung – „Das Vermögen, die Motive des Wollens schlechthin selbst hervorzubringen, ist die Freiheit.“ (I. Kant) Seit der Aufklärung diente der Fortschritt als Maßstab für die gesellschaftliche Entwicklung. Jetzt muss der Fortschritt selbst einer Revision unterzogen werden, denn die Gesellschaft kann nur aus Menschen bestehen und keineswegs aus Maschinen der „fortschrittlichen“ Künstlichen Intelligenz. Es ist beängstigend, wenn Rechner, die sich nicht selbst begreifen können, die totale Kontrolle über die Welt ausübten. Hannah Arendt und ihr Ehemann Günther Anders haben schon in den 1960 er Jahren davor gewarnt, dass es nicht immer gut ist, alles zu dürfen und zu sollen, was man kann. Wollen wir uns bei dem KI-Diskurs auf die aristotelische Tugendethik besinnen oder führt uns die deontologische Ethik von Kant weiter? Ich fürchte, dass diese Frage von weiten Teilen der Gesellschaftswissenschaften nicht mehr relevant ist, weil sie sich letztendlich auf den  Utilitarismus  im Sinne von Bentham und Mill eingeschworen haben.

[1] Selbstverständlich muss aber eine politische Diskussion über die Versäumnisse des digitalen Ausbaus geführt werden. Die Investitionen in die digitale Infrastruktur wurden in der Vor-Corona-Zeit zugunsten der umstrittenen Schuldenbremse  nicht getätigt. Fraglich ist, ob man zukünftigen Generationen eine marode Infrastruktur oder Schulden überlässt. Ökonomisch ist hingegen unstrittig, dass öffentliche Investitionen, auch wenn sie durch Schulden finanziert wurden, den öffentlichen Kapitalstock erhöhen. Damit wird auch das gesamtwirtschaftliche Wachstum und die Produktivität ansteigen. Es ist ein großes Risiko, wenn Deutschland dem globalen Strukturwandel mit der Schuldenbremse begegnet.

[2] Hartmut Rosa, Resonanz, Berlin, 2019, S. 38

[3] Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusion – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Berlin, 2019, S.11

[4] Richard David Precht, Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens, München, 2020, S. 83

[5] Der homo oeconomicus hat häufig eine sehr schlichte Denkweise, in etwa so  – „Gewinne von heute – die Investitionen von morgen. die Arbeitsplätze von übermorgen.“  Ich habe in mehreren Blogs darauf hingewiesen und auch den Nachweis geführt, dass diese Überlegungen fehlerhaft und diskussionswürdig sind. Warum sollte eine Unternehmung bei steigenden Gewinnen mehr investieren und warum führen größere Maschinenparks, zum Beispiel bei einer Zunahme der Künstlichen Intelligenz, zwangsläufig zu einer höheren Anzahl von Arbeitsplätzen?

Weitere Artikel