Zur Jahreswende 2018/2019 stellte die Wochenzeitung „der Freitag“ die Frage: Was ist ein gutes Leben? Ich habe ein wenig darüber nachgedacht und den folgenden Text an die Redaktion des Freitag geschickt:
Der Linguist Noam Chomsky formulierte: „Die Bürger demokratischer Gesellschaften sollten Kurse für geistige Selbstverteidigung besuchen, um sich gegen Manipulation und Kontrolle wehren zu können“. Die Schulbildung muss solche Kurse bereitstellen um das Fundament des guten Lebens legen zu können. Ohne geistige Selbstverteidigung ist ein freies, selbstbestimmtes und gutes Leben nicht möglich.
Leider können sich viele Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten und mittlerweile auch einige Lehrerinnen und Lehrer kaum noch vorstellen, dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung gibt. Wettbewerb um Leistungsnachweise, Aneignung und Speicherung von Wissen haben immer weniger mit Bildung zu tun. Da Wissen zunehmend vom Smartphone abgerufen wird, entfernen wir uns von der Bildungsgesellschaft.
Die herkunfts- und geschichtslose Wissenskonsumgesellschaft steht in den Startlöchern. Die Reformen des deutschen Schulsystems haben bewirkt, dass Bildung in Informationen transformiert wird und somit eine Entkoppelung von Wissen und Denken stattfindet. Die geforderte Digitalisierung der Schulen und Hochschulen führt dazu, alles zu wissen, aber nichts zu verstehen. Bildung ist unter anderem auch die beständige Suche nach dem guten Leben. Das impliziert, dass die Skepsis und das kritische Urteilsvermögen kontinuierlich wachgehalten werden müssen. Unter den Bedingungen der Wissensvermittlung des Internets gedeihen keine ausgewogenen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Meinungen, sondern nur spontane, emotionale und einseitige Parteinahmen. Damit kritische Reflexionen und Diskussionen über gesellschaftliche und ökonomische Inhalte wieder stärker in den Fokus geraten, muss im Bildungssektor auch über das gute Leben nachgedacht werden. Zwischen Bildung und Wissen gibt es Unterschiede, Bildung und gutes Leben gehören aber untrennbar zusammen. Bildung ist grundsätzlich eine Lebenseinstellung, vielleicht sogar eine Charaktereigenschaft, die sich nur in demokratischen Gesellschaften ausprägen kann.
Hannah Arendt hat diesen Sachverhalt in ihrem Buch vita activa so vortrefflich beschrieben. Glück und ein gutes Leben ist keine Privatangelegenheit sondern es geht immer um die gesellschaftliche Teilhabe und das gemeinsame Handeln unter Gleichen. Dafür sind öffentliche Räume notwendig, in denen man sich um die Gemeinschaft kümmern kann. Egoismus, Konkurrenz, Wettbewerb  und Eigennutz haben in diesen Räumen keinen Platz, da Bildung nur im demokratischen und gesellschaftlichen Miteinander funktionieren kann.
Das gute Leben kann nicht nur individuell stattfinden und aus dem privaten Reichtum abgeleitet werden. Das gute Leben wird realisiert, wenn der gesellschaftliche Reichtum (gute Schulen, aber auch bessere Krankenhäuser, grüne und lebenswerte Städte, ein funktionierendes Landleben, Solidarität und Kooperation) und die geistige Selbstverteidigung gestärkt wird. Für eine gutes Leben benötigen wir viel mehr gesellschaftlichen und viel weniger individuellen Reichtum.