Konsum, Konsum, Konsum

20. Juli 2019

In meinem letzten Blog habe ich mich mit der Bildung beschäftigt. Konsum und Bildung hängen unmittelbar zusammen, da das westlich geprägte Konsummodell die Gesellschaft zunehmend infantilisiert.

Der Konsument als ewiger Säugling

Woher kommt nun diese Ausrichtung auf den materiellen Besitz? Konsum erscheint in der Form, dass man etwas haben will. Eine archaische Form der Inbesitznahme finden wir beispielsweise beim Essen und Trinken. In einer bestimmten Phase seiner Entwicklung wird ein Säugling die Dinge, die er haben möchte, in den Mund stecken. Seine körperliche Entwicklung gestattet es ihm noch nicht, »sein Eigentum auf andere Weise unter Kontrolle zu halten. Den gleichen Zusammenhang zwischen Einverleiben und Besitz finden wir in vielen Formen des Kannibalismus«.[1] Die Einverleibung findet in moderneren Gesellschaften symbolisch statt. »Der Konsumhaltung liegt der Wunsch zugrunde, die ganze Welt zu verschlingen, der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit. Das wird offenkundig bei pathologischen Phänomenen wie Alkoholismus und Drogensucht.«[2] Drogensüchtige leben ständig in der Angst, dass ihnen der Konsum der Droge streitig gemacht werden kann. Die Drogen zwingen ihn, immer mehr zu konsumieren, weil die Wirkung immer schneller verklingt.

Der identitätsstiftende Konsum

Der Konsum scheint bei vielen Menschen zum Lebensinhalt geworden zu sein. Diese Bindung ist so stark, dass der materielle Besitz inzwischen ein Teil von uns ist. Aber eigentlich möchten Menschen nicht dafür geliebt werden, was sie haben, sondern was sie sind. Das Sein wird weitestgehend durch die Bildung geformt und eben nicht durch den Konsum. Um gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen, spielen in unserer Kultur der Besitz und die Macht trotzdem eine zentrale Rolle. Ein Investmentbanker, der einen Ferrari käuflich erwirbt, kauft ihn nicht, um ihn zu haben. Vielmehr kauft er ein »Mittel, um Anerkennung für das zu ernten, was er zu sein glaubt. Der Ferrari ist in diesem Sinn kein Fortbewegungs-, sondern ein Beziehungsmittel, wie andere Güter, die der Identitätsausstattung dienen.«[3] Auch sind die Motive unseres Konsumverhaltens sehr unterschiedlich. Zunächst ist der kompensatorische Konsum zu nennen. Der Konsum soll uns für den frustrierenden Arbeitsalltag entschädigen. Die Befriedigungen, die uns der Arbeitsalltag verwehrt, werden durch die Shopping-Tour ersetzt. Thorstein Veblen (1857–1929) hat schon vor über 100 Jahren nachgewiesen, dass der Reiz des Neuen eine wesentliche Rolle spielt. Der demonstrative Verbrauch bzw. die demonstrative Verschwendung nannte Veblen Geltungskonsum. Derjenige, der das neueste Automodell besitzt, kann sich Geltung und Status verschaffen. Durch das Auto werden vorherrschende Männlichkeitsbilder und die Vorstellung angeblicher individueller Freiheit und Unabhängigkeit projiziert.

Da unsere Konsumgüter mittlerweile eine hohe Symbolkraft haben, neigen immer mehr Menschen zum statusorientierten Konsumieren. Marken spielen eine immer größere Rolle. Je mehr sich eine Gesellschaft als Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft versteht, desto wichtiger ist es, den Status nach außen zu tragen, um ein gewisses Image zu erhalten. Der Konsument stilisiert sich zunehmend selbst, nicht der Standard ist erstrebenswert, sondern das Besondere wird inszeniert. Durch diese Unterscheidung glauben viele Menschen tatsächlich, dass sie durch Konsum die eigene Persönlichkeit entfalten können. Die Selbstverwirklichung durch Konsum wird dann als wesentlicher Fortschrittsfaktor angesehen.

Der entgrenzte Konsum

Dieser Fortschrittsfaktor führt in der modernen Konsumgesellschaft dazu, dass ein Teil der Menschheit weit über seine Verhältnisse lebt, während der andere Teil der Menschheit vom  Konsum nur träumen kann. In modernen Konsumgesellschaften sind drei Probleme zu verorten: So eignen sich die Menschen Dinge an, die in keiner Relation »zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen. Sie entgrenzen ihren Bedarf erstens von den gegenwärtigen Möglichkeiten, zweitens von den eigenen körperlichen Fähigkeiten und drittens von den lokal oder regional vorhandenen Ressourcen.«[4]

Der zunehmende Konsum hat aber sehr viele Schattenseiten. Neben der sehr stark zunehmenden Naturausbeute wird natürlich der Klimawandel angeheizt. Trotz technischen Fortschrittes und Effizienzsteigerungen werden diese Errungenschaften durch den Rebound-Effekt häufig wieder kassiert. Trotzdem wird immer mehr (digitales) Spielzeug produziert und auch gekauft. An dieser Stelle ist es besonders bemerkenswert, weil das westlich geprägte Konsummodell die Gesellschaft zunehmend infantilisiert und Identitäten werden immer brüchiger. Erwachsene bilden eine kindliche Konsumstruktur aus und spielen vermehrt. Das hat für die Gesellschaft weitreichende Konsequenzen, denn der Konsum materieller Güter ist zu einer Ersatzbefriedigung für ungestillte immaterielle Bedürfnisse (Bildung, Liebe, gesellschaftlicher Zusammenhalt usw.) geworden. Teile der Gesellschaft durchleiden eine Sinnkrise. Viele Menschen fliehen in einen unkontrollierten Konsumrausch. Materielle Güter zu konsumieren, bedeutet aber auch immer, Natur zu konsumieren und, bedingt durch die Thermodynamischen Gesetze, den Klimawandel zu befeuern. Deshalb stellt sich die Frage, wie groß die Bereitschaft der gegenwärtigen Generation ist, mit Verzicht durch Gegenwartskonsum, den zukünftigen Generationen ebenfalls ein bestimmtes Konsumniveau zu gestatten?

Der wachsende Konsum geht einher mit immer mehr Wettbewerb, der sich allmählich durch das ganze wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Leben zieht. Es beginnt im Kindergarten, setzt sich in der Schule fort, ist im Berufsleben fest verankert, in der Freizeit stehen wir ebenfalls im Wettbewerb und im Konsumleben kaufen wir uns Dinge, die wir uns nicht leisten können, um unseren Nachbarn, den wir nicht mögen, zu imponieren. Brauchen wir diesen Wettbewerb, die Konkurrenz und den Konsum tatsächlich oder wäre es nicht eine erhebliche Wohlstandssteigerung in allen Bereichen, wenn wir stattdessen die Kooperation wieder in den Mittelpunkt stellen würden? Die zunehmende Diskrepanz zwischen privaten Profiten und Gemeinwohl ist nicht mehr zu übersehen. Aus vielen Studien wissen wir aber, dass  mit zunehmender Gleichheit Gesellschaften einfach glücklicher sind.

[1] Erich Fromm, Haben oder Sein, Stuttgart, 1976, S. 35

[2] Erich Fromm, Haben oder Sein, Stuttgart, 1976, S. 36

[3] Harald Welzer, Selbstdenken, Frankfurt am Main, 2013, S. 174

[4] Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München, 2012, S. 10

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