Das Märchen von der schwäbischen Hausfrau (3.Teil)

23. Juli 2021

 »Das moderne Bankensystem erzeugt Geld aus dem Nichts. Dieser Prozess ist vielleicht der erstaunlichste Taschenspielertrick, der jemals erfunden wurde.« 

(Lawrence Lee Bazley Angas, britischer Ökonom, 1937)

 

Wie in den letzten beiden Blogbeiträgen dargestellt, sind Banken keineswegs nur Finanzintermediäre, die Geld von den Sparern Geld einsammeln um es dann Investoren, mit einem höheren Zins, als Kredit zur Verfügung zu stellen. Wären die Banken nur Finanzintermediäre, könnte es zu der lebensfernen Situation kommen, dass den Banken das Geld ausgeht. Der Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger vergleicht diese unrealistische Sichtweise mit einer Blutbank in einem Krankenhaus. Dann müssten wir in der Tat mit folgenden Mitteilungen rechnen: „ ›Leider haben wir im Moment keine Ersparnisse (Blut) mehr, aber Sie können sich in eine Warteliste eintragen, und wir benachrichtigen Sie dann, wenn wieder Ersparnisse bei uns eingetroffen sind.‹ Eine solche Mitteilung hat aber wohl noch kaum jemand von seiner Bank erhalten, aus dem einfachen Grund, weil Banken für die Kreditvergabe unmittelbar keine Ersparnisse brauchen.“[1]

Auch habe ich in den letzten beiden Blogbeiträgen den Zusammenhang zwischen Verschuldung, Wirtschaftswachstum und Verteilungsgerechtigkeit verdeutlicht. Der Global Wealth Report (Boston Consulting Group, 10.06.2021) hat die Verteilungsgerechtigkeit in der Corona-Krise untersucht und festgestellt, dass das globale Finanzvermögen um 8,3 Prozent gestiegen ist, während Privatpersonen, kleine Unternehmen und Mittelständler vielfach vor der Pleite stehen. Außerdem habe ich einerseits versucht, die Bedenken vor Staatsschulden auszuräumen, andererseits habe ich aber auch dargestellt, dass höhere Staatsschulden zu einem höheren Wirtschaftswachstum führen, mit der Konsequenz der zunehmenden Naturausbeutung, der steigenden Umweltverschmutzung und der Beschleunigung des Klimawandels.

Modern Monetary Theory (MMT)

Nun haben die USA, unter dem Präsidenten Joe Bidden, die Staatsverschuldung für sich neu entdeckt und die Angst vor den Defiziten scheint gewichen zu sein. Das geplante, schuldenfinanzierte, „grüne“ Zwei Billionen-Infrastrukturprogramm soll in Kürze aufgelegt werden. Wirtschaftsexperten prognostizieren ein zukünftiges Wirtschaftswachstum in den USA von acht Prozent. Dies wird voraussichtlich mit der Modern Monetary Theory (MMT) erreicht. Wie in meinem Blog Trump vs. Steuern  vom 30.03.2019 dargestellt, brachte Donald Trump das historisch regressivste Steuergesetz auf den Weg, weil der Tax Cuts and Jobs Act Steuersenkungen zur Konjunkturbelebung vorsah. Jetzt steuert Joe Bidden um und stellt die Fiskalpolitik in den Mittelpunkt, und gleichzeitig verliert die Geldpolitik der US-Zentralbank Federal Reserve (FED) an Bedeutung. Gegenstand der Fiskalpolitik ist die Einnahme von Steuern. Im Gegenzug investiert der Staat, gibt die Einnahmen wieder aus und verschuldet sich, falls die Einnahmen nicht ausreichen. Dies ist in Amerika für den Staat kein Problem, weil er das Monopol über die Geldschöpfung der US-Währung innehat. Die MMT wechselt also die Perspektive und betrachtet unterlassene Investitionen nicht nur als Versäumnisse des Staates, sondern konkret als Schulden, die den Wohlstand zukünftiger Generationen mindern. In Analogie zur unsichtbaren Hand könnte man unterlassene Investitionen also als unsichtbare Schulden darstellen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist hingegen autonom und von den Weisungen der Staaten unabhängig. So steht es in den VWL-Lehrbüchern und es ist aber nur die halbe Wahrheit. Es gibt auf der ganzen Welt keine politisch unabhängige Zentralbank. Auch die viel gelobte EZB ist natürlich politisch und verfolgt die ökonomischen Mainstream-Ziele, zu denen offensichtlich noch nicht die dringend erforderlichen Investitionen für den Klimaschutz gehören..

Das Märchen von der schwäbischen Hausfrau

 Da sich die betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Sachverhalte stark voneinander unterscheiden, läuft die von Angela Merkel dargestellte Argumentation über die schwäbische Hausfrau  ins Leere. Betriebswirtschaftlich ist die Situation eindeutig: Jedes Individuum und auch jeder Betrieb können sich von den Schulden befreien, indem Zahlungen an die Gläubiger getätigt werden. Dies ist für den Staat aber nicht möglich. Deshalb ist der Vergleich mit der schwäbischen Hausfrau vollkommen deplatziert und er trägt zur Verunsicherung bei, denn Staatsschulden haben eine andere Architektur als Privatschulden. Wie im zweiten Blog dargestellt, finanziert sich der Staat durch Staatsanleihen (Schuldverschreibungen). Wenn diese Anleihen dann fällig werden, muss der Staat den Eigentümern dieses Geld plus Zinsen zurückzahlen. Da der Staat in der Regel keine Gewinne generieren kann, bleiben seine Schulden somit unverändert. Also werden neu emittierte Staatsanleihen die alten Anleihen ablösen und die Schulden verändern sich nicht. Die Verschuldung lässt sich also nur durch Steuererhöhungen reduzieren.[2] „Der Begriff der „Staatsschulden“ ist somit unscharf und verkennt, dass zwischen Schöpfer und Nutzern einer Währung ein eklatanter Unterschied besteht. Viel sinnvoller wäre es, die aufsummierten Defizite des Staates als „Nettogeldangebot“ zu bezeichnen oder vom Bestand an Steuergutschriften zu sprechen, die sich im Besitz des privaten Sektors befinden.“[3] Es muss natürlich angemerkt werden, dass die Finanzmärkte Staaten mittlerweile wie private Schuldner behandeln. Dies hat sich leider mit dem Washingtoner Consensus zunehmend durchgesetzt.  Insofern könnten Staaten auch pleitegehen. Viele Staaten sind nicht mehr souverän Handelnde, sondern von den Finanzmärkten Entmündigte. Warum lässt sich der Staat von den Finanzmärkten als Endverbraucher behandeln? Er sollte den marktradikalen Kräften vielmehr die Stirn bieten, zumal ein verschuldeter Staat den reichen Anlegern auch eine lukrative Anlagemöglichkeit bietet. Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Schuldverschreibungen sind nach wie vor attraktiv.

Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und die Rolle des Staates

 Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist an vielen Stellen zu kritisieren. Ein Konstruktionsfehler ist, dass der Staat als Endverbraucher behandelt wird. Durch den Kauf von Gütern und Dienstleistungen erhöhen sich seine Ausgaben. Dies ist aber kein Selbstzweck, sondern die Güter und Dienstleistungen werden in der Regel den Bürgern und den Unternehmern zur Verfügung gestellt. Ohne den Staat gäbe es bis heute kein Internet. Trotzdem wird immer wieder der Mythos beschworen, dass der Staat bei der Wertschöpfung nur eine vermittelnde Rolle spielt. Die Unternehmer generieren sich gerne als Wertschöpfer. Dies ist falsch, weil staatliche Aktivitäten eine führende Rolle in einer Volkswirtschaft spielen, sie ermöglichen erst die Wertschöpfung. Viele Forschungsprojekte sind ohne den Staat, und der entsprechenden Verschuldung, nicht möglich.

Im Gegensatz zum Staat werden die Ausgaben der Unternehmen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Vorleistungen, die für die Herstellung von Endprodukten notwendig sind, erfasst. Warum werden Staatsausgaben nicht auch als Vorleistungen deklariert? Dies hätte erhebliche Konsequenzen und „[h]ier kommt der Knalleffekt. Würde der Staat seine Ausgaben erhöhen, würde das bedeuten, dass er mehr Vorleistungen produziert. Unternehmen würden gegen Gebühr (schließlich kosten einige öffentliche Dienstleistungen Geld) wenigstens einen Teil dieser Güter kaufen; aber da sie mehr dafür ausgeben (als wenn der Staat nichts produzieren würde, und deshalb weniger von anderen Unternehmen kaufen), würde unweigerlich ihr Betriebsüberschuss und damit auch ihre Wertschöpfung zurückgehen. Der Anteil des Staats am BIP würde steigen, aber die absolute Größe des BIP bliebe gleich. Was natürlich Keynes` Ansichten zuwiderliefe, der ja aufzeigen wollte, dass Erhöhungen der Staatsausgaben ein Anwachsen des BIP zur Folge hätten.“[4]

[1] Mathias Binswanger, Geld aus dem Nichts: Geldschöpfung der Banken und ihre Folgen für die Wirtschaft, in: Sanne Ziethen, Nina Peter (HG.), Währung, Krise, Emotion, Edition Kulturwissenschaft, Band 248, S. 89.

[2] Dem Staat stehen grundsätzlich nur zwei Instrumente zur Verfügung, nämlich Kreditaufnahme oder Steuererhöhungen. Deshalb ist es mir unerklärlich, wie beispielsweise ein Christian Lindner (FDP) gleichzeitig Steuerreduzierungen und Minderungen der Staatschulden fordern kann!? Na ja, zum Glück ist er kein Finanzminister.

[3] Dirk Ehnts, Vorbild Biden: Mit der Modern Monetary Theory aus der Krise?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7`21, Berlin, 2021, S. 117

[4] Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt?, Frankfurt/New York, 2018, S. 126

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