4. Politik, Demokratie und Digitalisierung

29. April 2018

Sowohl die Demokratie als auch die Soziale Marktwirtschaft wird durch die Machtanhäufung der Tech-Unternehmen in ihren Grundfesten erschüttert. Eine Monopolkontrolle scheint gar nicht mehr möglich zu sein. Das Kartellgesetz wird ebenfalls durch nationale und europäische Beschlüsse unterlaufen. Kann eine demokratisch ausgerichtete Marktwirtschaft die Digitalisierung überhaupt überleben? Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon haben zweifelsohne eine marktbeherrschende Stellung. In marktwirtschaftlich ausgerichtete Volkswirtschaften werden Monopole, Teilmonopole und größere Oligopole als systemfeindlich eingestuft. Monopole müssen zerschlagen werden. Ist dies in der digitalen Branche überhaupt noch möglich? Reichen unsere Antimonopolgesetze noch aus? Als Google von der EU mit einer zwei Milliarden Euro Strafe wegen Monopolrechtsverletzungen bestraft wurde, gab es im Konzern nur Achselzucken. Die Strafe hat den Konzern eigentlich nicht tangiert. Trotzdem muss der Weg weiter beschritten werden. Die EU-Kommission ist aufgefordert, die ökonomische Marktmacht konsequent einzugrenzen.

Auch ist in diesem Zusammenhang zu erörtern, ob die Digitalisierung die Demokratie langfristig beschädigt, weil sich die zwischenmenschlichen Kontakte verändern, Gespräche stellen sich anders dar und Beziehungen werden auf eine andere Grundlage gestellt. Nach einer Untersuchung der Universität Southern California sind monatlich ungefähr 320 Millionen Twitter – Accounts zu verzeichnen. Davon sind circa 50 Millionen nichtmenschliche Bots, die überwiegend zu Manipulations- bzw. Propagandazwecke eingesetzt werden. Es ist unerträglich, nicht zu wissen mit wem man kommuniziert. Ist es ein Mensch aus Fleisch und Blut oder ist es ein Computerprogramm. Bürgerinnen und Bürger müssen ein Anrecht darauf haben, dass sich die sogenannte Künstliche Intelligenz ausweisen muss.  Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Demokratie massiv durch die Ausspähung von Daten gefährdet wird. „Wenn Apple, Facebook, Google, Twitter, Instagram und Snapchat zunehmend an der Fähigkeit nagen, unser eigenes Bewusstsein zu kontrollieren, kann dann nicht der Punkt kommen, an dem die Demokratie nicht mehr funktioniert? Auf diese Frage antwortet James Williams[1] mit zwei weiteren: „Werden wir überhaupt in der Lage sein, zu bemerken, wenn das passiert? Und wenn wir dazu nicht in der Lage sind – woher wissen wir, dass es nicht schon längst so weit ist?““[2]

Der Skandal um das Unternehmen Cambridge Analytica (CA) ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Digitalisierung die Demokratie bedrohen kann. Der Whistleblower Christopher Wylie hat im britischen Guardian den Datenmissbrauch öffentlich gemacht. Wylie war Mitbegründer von Cambridge Analytica und verließ im Jahre 2014 diese Firma, weil sie die Daten von 90 Millionen Menschen unerlaubterweise missbraucht hat. Diese Daten wurden für politische Zwecke genutzt. „Dies ist gewiss nicht der einzige Fall: Zwischen 2008 und 2015 erlaubte Facebook Tausenden Apps, Daten von Nutzern sowie von deren Freundinnen und Freunden zu sammeln. CA jedenfalls nutzte die Daten für sogenanntes Microtargeting -Werbebotschaften, die auf spezifische Personengruppen zugeschnitten sind. Laut Wylie ermittelte das Unternehmen gezielt die „seelischen Schwachstellen“ von Nutzern und optimierte damit den Einsatz von politischer Online-Werbung erheblich. Auf diese Weise habe CA entscheidend zum Ausgang der letzten US-Präsidentschaftswahl und des Brexit-Referendums beigetragen. All dies führt einmal mehr vor Augen, wie fahrlässig Facebook mit den Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer umgeht. Vor allem aber wirft es ein grelles Licht auf jene dubiose Branche, die bislang im Verborgenen agierte: die der Demokratiehacker. Denn das Ziel von Unternehmen wie CA ist es, demokratische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse mit Hilfe von Daten gezielt zu manipulieren. Der Wille des Volkes soll so dem Wunsch der Auftraggeber entsprechend umgeformt werden.“[3]

Die letzte Präsidentschaftswahl in den USA hat es deutlich gezeigt. Donald Trump ist deshalb Präsident geworden, weil die Wahl mit nur 107.000 Stimmen entschieden wurde, dies entsprach 0,09 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Es reicht also vollkommen aus, dass Unternehmen wie Cambridge Analytica nur eine sehr geringe Anzahl von stimmberechtigten Menschen „manipuliert“. Die größte Bedrohung einer Sozialen Marktwirtschaft sind die Monopole, wie beispielsweise Facebook. Diese Unternehmung ist nicht nur in der Lage die Soziale Marktwirtschaft zu bedrohen, sondern sie kann sogar die Demokratie „hacken“.

Resümee

Es wird häufig behauptet, dass die zukünftigen Fabriken menschenleer sein werden. Dies bringe die Digitalisierung so mit sich, es ist also nur ein technologisches Problem. Diese Sichtweise ist nicht zielführend, weil die Digitalisierung gesellschaftspolitisch und auch ökonomisch interpretiert werden muss.

Wie wird die Ökonomie durch die Digitalisierung geprägt? Der neue Kanzleramtschef und auch viele neoliberale Ökonomen sind der Auffassung, dass uns die Digitalisierung keine Arbeitsplätze vernichtet. Andere namhafte Ökonomen meinen, dass durch den flächendeckenden Einsatz von Industrierobotern die Arbeitslosenquote explodieren wird. Von mehreren Millionen zusätzlichen Arbeitslosen ist die Rede.

Wie wird die Gesellschaft durch die Digitalisierung geprägt? Befürworter der Digitalisierung meinen, es wird eine Demokratie in totaler Transparenz geben. Gegner der Digitalisierung befürchten eine Diktatur mit totaler Kontrolle. Es ist von einem Staatsversagen epochalen Ausmaßes die Rede, weil die politisch Verantwortlichen  nicht in der Lage sind, die Monopole zu kontrollieren, zu regulieren und möglicherweie zu zerschlagen.

Schlussendlich kann niemand die ökonomischen und gesellschaftlichen Konsequenzen  vorhersagen, es sei denn, er kann im Kaffeesatz lesen. Trotzdem ist eine umfassende Auseinandersetzung erforderlich. Durch die Automatisierung auf der Grundlage von Digitalisierung, Big Data und Künstlicher Intelligenz erscheinen die Aussagen von Karl Marx vor einhundertfünfzig Jahren in einem anderen Licht: „Da der Arbeiter zur Maschine herabgesunken ist, kann ihm die Maschine als Konkurrent gegenübertreten“. (Marx Engels Werke, Band 40, S. 474)

Die großen Internetfirmen (Google, Apple, Amazon und Facebook) sind nicht einfache Datenvermittler, sondern sie prägen mit ihren Handlungen die Gesellschaft, sind meinungsbildend  und bestimmen den gesellschaftlichen Diskurs. Da es sich um privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen handelt, geschieht dies natürlich ohne öffentliche Einflussnahme. Eine öffentliche Kontrolle scheint mittlerweile nicht mehr möglich zu sein. Wir leben aber in einer Demokratie mit einer (hoffentlich) starken Zivilgesellschaft, die auf einen (hoffentlich) starken und kritischen Bildungssektor gründet. Deshalb ist die Digitalisierung nicht unabänderlich, sondern aus menschlichem Handeln entstanden. Also brauchen wir uns unseren selbst geschaffenen Bedingungen nicht zu unterwerfen. Häufig wird behauptet, dass man die Digitalisierung nicht verhindern kann. Dies ist nicht nur zweifelhaft sondern auch fehlerhaft. Die Perspektiven auf Veränderungen ergeben sich ja gerade dadurch,  dass die Bedingungen anthropogen sind. Gerade die Verfechter der Sachzwänge, die „Sachzwang-Experten“, produzieren mit ihren Ratschlägen selbst die Sachzwänge. Deshalb sind die Vor- und Nachteile der Digitalisierung gesamtgesellschaftlich zu diskutieren und auszuloten. Die Digitalisierung hat sich zwingend den gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen. Da das Gemeinwohl im Vordergrund stehen muss, darf der Weg nicht umgekehrt beschritten werden. Der gesellschaftliche Diskurs hat sich nicht nur an einem schnelleren Internet zu orientieren, sondern muss die gesamte Komplexität des Themas erfassen. Die sogenannte vierte Gewalt eines demokratischen Staates ist die freie Presse. Tages- und Wochenzeitungen werden mittlerweile von den Werbekunden dominiert, sind ebenfalls abhängig vom Internet und nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben teilweise vom Aussterben bedroht. Wird es in zehn Jahren noch kritische Zeitungen geben, die die gesamten Facetten der Meinungsbildung widerspiegeln? Eine funktionierende Zivilgesellschaft benötigt zwingend die Pressefreiheit, die Medienvielfalt und die Demokratie. Neben der Zivilgesellschaft ist es erforderlich, dass sich auch der Bildungssektor an diesem Prozess kritisch beteiligt. Die einzige und beste politisch verfasste Gesellschaftsordnung ist die Demokratie. Sie muss aber permanent gelernt werden. Jeden Tag und immer wieder. In der heutigen Zeit verlieren viele Menschen scheinbar ihren politischen Verstand. Deshalb  ist es besonders wichtig, dass man sich bis ins hohe Alter mit der Demokratie auseinandersetzen muss.

Ziel und Zweck der Digitalisierung ist nicht die angenehme Gestaltung der Arbeit und des Lebens, sondern die effiziente Gestaltung der Produktion. Die Digitalisierung wird den Menschen nicht mehr freie Zeit generieren um ihr Leben zu genießen. Im Gegenteil, es wird ein noch stärkerer Wettbewerb um die verbleibenden Arbeitsplätze stattfinden. Im Rahmen der Digitalisierung ist es zwingend notwendig, eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Stellenwert von Arbeit und Arbeitseinkommen zu führen und einen neuen Gesellschaftsvertrag über die Arbeit zu entwerfen. Neben einem bedingungslosen Grundeinkommen muss, und das scheint mir viel wichtiger zu sein, über die Verringerung der Arbeitszeit nachgedacht werden.

Abschließend sei anzumerken, dass der Spruch „Digital first, Bedenken second“ nicht nur deplatziert ist, sondern es ist eine Beleidigung der arbeitenden Bevölkerung, die ihre Arbeitsplätze verlieren. Auch ist zu hoffen, dass die Politik Unternehmen wie Facebook zerschlägt bzw. erheblich verkleinert, indem die Sozialen Netzwerke – Facebook, WhatsApp und Instagram- separiert werden und an sehr strenge Datenschutzgesetze gebunden werden. Die am 25. Mai 2018 in Kraft getretene Europäische Datenschutzgrundverordnung ist ein erster wichtiger Schritt. Außerdem sind im Bildungswesen Bedenken sehr wichtig. Wer etwas bedenkt, hat sich intensiv mit der Materie beschäftigt, Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen und ist im Stande, den Sachverhalt zu würdigen und zu kritisieren. Daran kann nichts falsch sein. Im Gegenteil, Kant hatte Recht, wenn er in den Mittelpunkt seiner Ausführungen zu der Frage „Was ist Aufklärung?“ ausführte: „Habe Mut, dich deines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen“.

Am 04.12.2013 sagte der verstorbene Politiker Egon Bahr in einem bemerkenswerten Vortrag vor Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Studentinnen und Studenten folgendes: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Diesen klugen Satz kann man auch auf die Digitalisierung übertragen. Bei der Digitalisierung geht es nie um Arbeitnehmerrechte oder um mehr Freizeit, sondern ausschließlich um die Interessen der Unternehmungen, dass Kapital optimal zu verwerten. Deshalb müssen die Bedenken sehr sorgfältig diskutiert werden und auch die Digitalisierungsministerin Dorothee Bär (die mit dem Flugtaxi) muss sich den kritischen Fragen der Bürgerinnen und Bürger stellen.

[1] James Williams ist ein Ex-Google Mitarbeiter.

[2] Paul Lewis, Digitale Dealer auf Entzug, in: der Freitag, Nr 10 vom 08.03.2018, S.7.

[3] Daniel Liesegang, Die Demokratiehacker, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Mai 2018, S. 71/72.

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