Früher behaupteten Kaufleute etwas großspurig, dass der Wettbewerb das Geschäft belebt. Heute ist der Wettbewerb allgegenwärtig. Im Krankenhaus, in der Pflege, in den Schulen und in der gesamten Gesellschaft wird immer mehr Wettbewerb gefordert. Die freie Presse unterliegt einem großen Wettbewerbsdruck. Die Medien werden häufig dem Wettbewerb ausgesetzt, weil sie in der Regel als Gewerbetreibende behandelt werden. Karl Marx meinte schon im Jahre 1842: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ [1] Selbst in der Europäischen Union (EU) wird Wettbewerb als Allheilmittel begriffen und es gibt sogar einen Wettbewerbskommissar.
Ist nun der Wettbewerb die Lösung unserer ökonomischen Probleme?
Die traditionelle und auch die neoliberale Volkswirtschaftslehre nehmen grundsätzlich an, dass Allokationsentscheidungen am besten von den Märkten getroffen werden. Das hat zur Konsequenz, dass sich Arbeitsmärkte herausbilden, die die Arbeitskraft als Ware behandeln. Die sogenannte Ware Arbeitskraft kann man aber nicht so behandeln wie jede x-beliebige Ware. Menschen sind Individuen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Vorlieben, mit Träumen, Wünschen und Hoffnungen. Die neoliberale Denkweise hat sich in den Köpfen schon so weit ausgebreitet, dass kritiklos behauptet wird, Menschen müssen sich ähnlich wie Waren verkaufen und entsprechend miteinander konkurrieren. Sie müssen flexibel, anpassungsfähig und am besten widerspruchslos an jedem Ort einsetzbar sein. Dies überfordert viele Menschen. Häufig kommt es dann nicht nur zur Arbeitslosigkeit und zum Einkommensverlust, sondern auch zu einem Zusammenbruch von gelebten Strukturen und Routinen. Durch die gesellschaftliche Ächtung kann es dann zu ausweglosen Situationen kommen, die zu massiven Existenzängsten führen. Eine kurze »Durststrecke« lässt sich leichter überwinden als ein Perspektivverlust. Die Abwertung von arbeitslosen Menschen hat in der Gesellschaft stark zugenommen, deshalb nimmt auch die Angst vor einem Scheitern im Arbeitsleben zu. Das führt dann dazu, dass sich Arbeitnehmer zunehmend selbst optimieren. Mittlerweile unternehmen viele Menschen den Versuch, den eigenen Körper und den eigenen Geist als marktfähige Ware zu inszenieren, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Nach neoliberaler Auffassung sollen sich abhängig Beschäftigte wie Unternehmer fühlen, die für die bestmögliche Verwertung ihrer Arbeitskraft verantwortlich sind. Der Unternehmer erhält für die Verwertung seines Kapitals eine Risikoprämie, den Gewinn. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen mit sinkenden Reallöhnen zurechtkommen.
Neoliberale Ökonomen haben zweifelhafte sozialdarwinistische Ansichten, weil sie glauben, der Stärkere hat das Recht den Schwächeren zu dominieren. Leider wird der Ausspruch von Charles Darwin, nämlich „Survival of the fittest“, immer wieder falsch interpretiert. Nicht der Stärkere überlebt, sondern das Lebewesen, das sich am besten der Natur anpassen kann. Der Ausdruck „Fit“ beschreibt also den Grad der Anpassung an die Umwelt bzw. an die Natur. Es geht in der Theorie von Darwin weder um die körperliche Stärke noch um die Durchsetzungsfähigkeit im Sinne einer Konkurrenzverdrängung. Auch ist es kein Naturgesetz, das der Stärkere grundsätzlich mehr zum gesellschaftlichen Reichtum beiträgt und demzufolge einen Anspruch auf ein höheres Einkommen hat. Häufig hört man die Aussage, dass beispielsweise Mark Zuckerberg von Facebook 30 Mrd. Dollar verdient hat. Solche Sprüche werden in der Gesellschaft toleriert und selten wird widersprochen. Mark Zuckerberg hat nicht 30 Mrd. Dollar verdient, sondern seine Mitarbeiter haben diese Leistung und demzufolge diesen Reichtum erarbeitet. Zuckerberg hat diese Geldsumme nur erhalten, weil (neoliberale) Ökonomen der Auffassung sind, dass der Markt die Leistungen und Fähigkeiten von Individuen korrekt und gerecht beurteilen kann und demzufolge auch eine gerechte Verteilung stattfindet. Das daraus resultierende Markteinkommen wird als moralisch gerecht angesehen, nach dem Motto: Wer viel verdient, hat auch viel geleistet und wer wenig verdient, hat auch wenig geleistet und demzufolge auch nicht mehr verdient. Die Realität stellt sich aber häufig gegenteilig dar. Pflegeberufe leisten viel für die Allgemeinheit und verdienen wenig, während Profifußballer wenig für die Allgemeinheit leisten aber sehr viel verdienen. Stimmt das gesellschaftliche Werteverständnis noch, wenn die wöchentliche »Arbeit« eines Profifußballers genauso viel wert ist wie die Arbeit eines Altenpflegers in fünf Jahren?
Häufig wird behauptet: Wenn sich alle anstrengen, sich bilden und etwas leisten, wird es keine Armut, kein Elend und auch keine Arbeitslosigkeit geben. Dies ist aber nicht möglich, da Konkurrenzsituationen auf dem freien Arbeitsmarkt immer dazu führen, dass es Gewinner und Verlierer gibt und zwangsläufig Armut reproduziert wird. Alle können es eben nicht schaffen.[2] Die jahrelang umworbene neoliberale Leistungsgesellschaft entlarvt sich an dieser Stelle selbst.
Außerdem kann Wettbewerb nur dann sinnvoll sein, wenn die gesellschaftliche Kooperation nicht gefährdet wird. Dadurch, dass die Wettbewerbsfähigkeit unterschiedlich ausgeprägt ist, führt ein unkontrollierter und schnell wachsender Wettbewerb dazu, dass es immer mehr Gewinner und auch immer mehr Verlierer gibt. Die Gesellschaft spaltet sich mit zunehmendem Wettbewerb in arm und reich auf. Weltweit vergrößert sich diese Kluft. Dies wird noch dadurch begünstigt, dass viele Volkswirtschaften versuchen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, indem die Lohnkosten tendenziell gesenkt und Steuervorteile gewährt werden. Beim Lohndumping und bei der sogenannten Flexibilisierung sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die großen Verlierer. Die Wettbewerbsfähigkeit wird zulasten der Arbeitnehmer gesteigert. Die Lohnkosten werden gesenkt und Arbeitnehmerrechte werden durch die Flexibilisierung beschnitten. Dieses Phänomen, das in vielen Ländern stattfindet, wird Sozialdumping genannt. Statt immer mehr Wettbewerb zu fordern, wäre es an der Zeit, dass sich die Staaten darauf verständigen, vernünftige Sozialstandards festzulegen, denn mit wachsenden Ungleichheiten entstehen in einer Ökonomie partiell hohe Geldvermögen. Hier ist zwingend eine Korrektur erforderlich.
Neoliberale Ökonomen propagieren den „gerechten“ Markt, indem die Begriffe Ungleichheit und Elend positiv besetzt und als Ansporn für abgehängte und arme Bevölkerungsschichten begriffen werden. Nach dem Motto; »Elend ist gut, weil dadurch die arme Bevölkerung motiviert wird«. Diese ökonomische Denkweise hat sich tendenziell schon in den Köpfen vieler Politiker breitgemacht und die Idee der solidarischen und kooperativen Zivilgesellschaft ist in weite Ferne gerückt. Leider wird der Wettbewerb als Schlüssel für gesellschaftliche Veränderungen begriffen. Dies ist ein großer Fehler, denn dadurch spaltet sich die Gesellschaft immer mehr. Die Presse, die öffentlich, rechtlichen Rundfunkanstalten, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Schulen, die Universitäten, die Krankenhäuser und viele andere Institutionen sollen die Gesellschaft gestalten und nicht im Wettbewerb stehen. Es ist einer der größten Irrtümer der neoliberalen Ökonomie, zu glauben, dass der Markt eine aktive Gestaltung der Gesellschaft ersetzen kann.
(Anmerkung: Dieser Artikel wurde auch im Internetteil der Wochenzeitung: der Freitag veröffentlicht.)
[1] Rheinische Zeitung“ Nr. 139 vom 19. Mai 1842, zitiert nach: Marx/Engels, Werke, Bd. 1, S. 71.
[2] Da alle es nicht schaffen können, wird neuerdings die Chancengerechtigkeit propagiert und die Verteilungsgerechtigkeit aus der Diskussion gedrängt. Nehmen wir beispielsweise an, dass eine Person aus der ärmeren Bevölkerung einen Stundenlohn von 10,00 € verdient, während ein anderer Arbeitnehmer aus der reicheren Bevölkerung 100,00 € bekommt. Durch günstige Tarifverhandlungen steigt der Lohn um satte 100 %. Nun bekommt der ärmere Arbeitnehmer 20,00 € pro Stunde und die reichere Person erhält 200,00 €. Dies mag man als gerecht empfinden, trotzdem geht die Schere weiter auseinander. Wenn die absoluten Zahlen verglichen werden, beträgt die Lohndifferenz vor der Erhöhung: 100,00 € – 10,00€ = 90,00 €, nach der Erhöhung beträgt sie 200,00 € – 20,00 € = 180,00 €. Sie hat sich also verdoppelt. Da die gleichmäßige Lohnerhöhung für alle Arbeitnehmer als gerecht eingestuft wird, geht die Einkommensschere immer weiter auseinander. Dies lässt sich natürlich auch auf eine (praxisorientierte) 5 prozentige Erhöhung anwenden. Hier steigt dann die Lohndifferenz ebenfalls um 5 %.