Schuldenbremse gleich Klimaschutzbremse

24. Oktober 2019

„Was wir schützen lernen müssen, ist die Institution Wissenschaft.“

Bruno Latour

Der Klimawandel schafft neue Gemeinsamkeiten in der Politik. Die Demonstrationen von „fridays-for-future“ werden in der Bevölkerung positiv beurteilt, die Grünen sind im Umfragehoch und alle anderen Parteien haben die Wichtigkeit des Klimaschutzes erkannt. Selbst die konservative CSU fordert klimapolitische Maßnahmen. Das ist eine gute Nachricht. Die AfD leugnet den Klimawandel und versucht im Internet, ihre Meinung durch dubiose Zahlen und Werte zu belegen. Im Internet kursieren mittlerweile sehr viele falsche Zahlen zur CO2 – Konzentration und zum Klimapaket der Bundesregierung. Diese Zahlen werden von Klimaleugnern in Relation gesetzt und es kommen dann unvorstellbare Ergebnisse heraus. Da werden falsche Bezüge hergestellt und häufig wird Ursache und Wirkung vertauscht. Auch kann vermehrt festgestellt werden, dass einfache mathematische Regeln und naturwissenschaftliche Grundlagen von Klimaleugnern nicht beachtet werden.

Zahlen zum Klimawandel

Da die Werte sehr klein sind, aber trotzdem eine große Wirkung auf das Klima haben, werden die CO2 – Konzentrationen nicht nur verniedlicht, sondern die Klimagegner nutzen diese Zahlen, um den Klimawandel zu leugnen.

Die Messstation Mauna Loa auf Hawaii hat kürzlich den historischen Wert von 415 ppm CO2  gemessen. Den höchsten Wert der letzten 2,5 Millionen Jahre.  Zur Verdeutlichung: 415 ppm (parts per million; in einer Million Liter Luftgemisch befinden sich 415 Liter CO2) werden mit 0,0415 Volumenprozent dargestellt. 0,0415 % ist eine relative Zahl und sie bezieht sich natürlich auf 100 (Prozentrechnung). Wenn wir den absoluten Wert ausrechnen, müssen die 415 ppm durch 1.000.000 geteilt werden und wir erhalten dann 0,000415 CO2 (absoluter Anteil). Dieser Wert ist außerordentlich hoch obwohl die Zahl außerordentlich klein ist, sie zeigt uns die absolute Fragilität  der Atmosphäre. Im Pliozän, also vor 2,6 – 5,3 Millionen Jahren, hatten wir ähnliche Kohlenstoffwerte. Die Atmosphäre ist der sensibelste Teil in der gesamten Natur und muss deshalb besonders geschützt werden, weil sie uns das Leben auf der Erde schenkt. Es gibt weder eine zweite Erde noch eine zweite Atmosphäre. Die CO2 – Konzentration darf nicht über 440 ppm steigen, sonst ist das 2 Grad Celsius-Ziel nicht mehr zu erreichen und wir werden unsere gewohnte Erde nicht mehr wiedererkennen. Die CO2 – Konzentration in der Atmosphäre müsste sich idealerweise zwischen 270 bis 300 ppm befinden, um das Klima stabil zu halten. [1] Der Mond hat beispielsweise keine Atmosphäre. Durch die Sonnenstrahlung wird der Mond tagsüber auf mehr aus 100 Grad Celsius aufgeheizt, nachts senkt sich die Temperatur auf minus 160 Grad. Wenn die Erde keine Atmosphäre hätte, würden wir ähnlich Temperaturen wie auf dem Mond haben.

Das Klimapaket der Bundesregierung

Die Groko hat es nicht geschafft, die Klimaschutzziele für das Jahr 2020 einzuhalten. Durch das kürzlich vorgestellte Klimapaket soll nun alles besser werden. Zweifel sind angebracht, weil es sich nur um ein bescheidenes Klimapäckchen handelt. Das „Paket“ sieht bis 2023 Maßnahmen im Umfang von mehr als 54 Milliarden Euro vor. Ziel ist es, dass Deutschland seine Klimaschutzziele für 2030 einhält. Dies wird von vielen Expertinnen und Experten bezweifelt. Die Klimaleugner hingegen meinen, dass 54 Milliarden Euro eine außerordentlich große Summe sei. Maßgebliche Ökonomen sind der Auffassung, dass Deutschland viel mehr Geld für den Klimaschutz  ausgeben sollte, damit der konjunkturelle Abschwung gebremst wird. Es kommt aber noch ein zusätzliches Problem hinzu – die deutsche Schuldenbremse.

Schwarze Null

In den 1980er und 1990 er Jahren wurde der Washingtoner Consensus populär und damit wurde der Staat zunehmend in Frage gestellt. Die gemeinwohlorientierte Bundesrepublik wurde sukzessive aufgegeben zugunsten einer individualistischen und egoistischen Gesellschaft. Die neoliberalen Staatsfeinde machten sich breit und erhoben in den 1990 er Jahren die Forderungen nach Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung der Märkte. Außerdem soll der Staat  die Sozialausgaben erheblich reduzieren und die Steuern senken. Durch die „Verteufelung“ der Steuern musste der Staat auf wichtige Einnahmequellen verzichten. Neben der Reduzierung der Steuerlast wurden auch viele Steuern abgeschafft. Die Staatsschulden nahmen zu und die Bundeskanzlerin Angela Merkel kreierte die Austeritätspolitik, damit sollte Deutschland nicht mehr auf Pump leben, die schwarze Null wurde populär und wer das Unwort „Steuererhöhungen“ in den Mund nahm war politisch (fast) tot. Damit wurde das Fundament für eine Schuldenbremse gelegt, die vor zehn Jahren dann in das Grundgesetz (Artikel 109 Absatz 3 GG) geschrieben wurde.

Heute sind maßgebliche Ökonomen unterschiedlicher Couleur und fast alle konservativen und progressiven Wirtschaftsforschungsinstitute der Auffassung, dass die Schuldenbremse dringend überarbeitet werden muss. Auch wird eine Abschaffung der Schuldenbremse diskutiert. Es war vor zehn Jahren ein großer Fehler die Schuldenbremse in das Grundgesetz zu schreiben, denn dadurch ist eine Änderung oder Abschaffung nur mit einer dreiviertel Mehrheit möglich. Deutschland ist in der europäischen Gemeinschaft das einzige Land, das eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert hat.

Die Schuldenbremse hat dazu geführt, dass dringende Reformen und Investitionen in Deutschland nicht durchgeführt worden sind. Der Investitionsstau ist immens und das Klimapaket ist demzufolge viel zu klein ausgefallen. Ein gut angelegtes Klimapaket könnte die Investitionsversäumnisse der letzten Jahre wieder ausgleichen. Deshalb ist die Forderung nach einer Lockerung der Schuldenbremse berechtigt. Zukünftige Investitionsvorhaben  sollten dann verstärkt in den Klimaschutz gehen. Werthaltige Investitionen lassen sich problemlos über eine Verschuldung finanzieren. Wenn wir den Klimawandel ernsthaft bekämpfen wollen, muss sehr viel Geld in die Hand genommen werden, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen.

Und was sagen die Klimaleugner

Die CO2-Konzentration von 0,0415% (= 0,000415 absolut) ist gering, weil die Zahl so klein ist, also ist das Klimaproblem nicht existent. Ein Klimapaket der Bundesregierung kostet aber 54 Mrd. Euro (= 54.000.000.000) und das ist dann eine große Zahl, obwohl dieser Betrag im volkswirtschaftlichen Kontext relativ klein ist. Außerdem behaupten die Klimaleugner, dass der Anteil der deutschen Bevölkerung mit 1,06 Prozent gemessen an der Weltbevölkerung relativ gering ist. Dies ist richtig. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass Deutschland nicht zu den weltweit größten Klimasünder gehört. Sicherlich emitiert China 10.357 Megatonnen CO2 jedes Jahr [2], gefolgt von der USA, Indien, Russland, Japan und Deutschland. Deutschland steht also an 6.Stelle der weltweiten Klimasünder. Die Klimaleugner finden diesen Sachverhalt überhaupt nicht problematisch, schließlich gibt es noch 5 Länder die eine höhere Emission haben. Es ist sicherlich kein Ruhmesblatt an 6. Stelle zu stehen, bei 185 erfassten Ländern weltweit. Außerdem ist auch diese Sichtweise diskussionswürdig, weil der  CO2 – Ausstoß pro Kopf unterschlagen wird. Gemessen an der Bevölkerung ergibt sich ein anderes Bild. Der CO2 – Ausstoß in Tonnen pro Kopf beträgt: USA (17,0), Russland (11,0), Deutschland (9,9), Japan (9,8), China (7,5) und Indien (1,5). Somit ist Deutschland der drittgrößte Klimasünder.

Die unbestreitbar gewordenen Fakten wurden nicht von „wissenschaftlichen Disziplinen wie der Teilchenphysik oder der Mathematik geliefert, sondern von einer Vielzahl empirischen Feldforschungen zusammengetragen, deren Gewißheit sich nicht aus einer schlagenden Beweiseführung ergeben, sondern aus der Kreuzung Hunderttausender winziger, in Modellen weiterentwickelten Detailerhebungen, einem Gefüge von Beweisen, die ihre Stichhaltigkeit aus der Vielzahl von Daten beziehen, von denen jedes einzelne selbstverständlich angreifbar bleibt. Verständlich, dass diejenigen, die nichts von wissenschaftlicher Arbeit verstehen, dazu neigen, zwischen einem Lügengebäude und einem Beweisgefüge keinen Unterschied sehen – vor allem nicht, wenn sie ein solches Interesse daran haben, dass die Beweise falsch sind.“ [3] Die Faktenlage ist aber offensichtlich und trotzdem diskutieren die Klimaleugner im Internet über die mickrigen 54 Mrd. Euro zum Klimapaket. Es ist wirklich beschämend. Leider wird die Debatte im Internet durch Unternehmen wie Google gelenkt und beeinflusst. Der „heilige“ Google-Algorithmus belohnt die lauten, tonangebenden und sich vordrängelnden User mit Aufmerksamkeit und strukturiert damit die Debattenkultur. Donald Trump und Fake News lassen grüßen. Obwohl sich die überwiegende Mehrzahl der Klimaforscher auf wissenschaftliche Belege stützt und sich einig sind, laufen wir Gefahr, dass eine laute Minderheit die Debatte dominiert und das ist eine traurige Nachricht.

[1] In den 1970 er Jahren hatten wir diesen Zustand. 300 ppm werden aber nie wieder zu erreichen sein, weil die Konzentration bleiben wird. Deshalb ist der Ausdruck „Klimakrise“ irreführend. Eine Krise ist irgendwann vorbei und das Leben kann sich neu formieren. Dies ist beim Klimawandel vollkommen anders; wir werden mit den hohen Konzentrationen, falls das überhaupt möglich ist, leben müssen.

[2] Quelle für diese und die folgenden Zahlen: Global Carbon Projekt, 2015.

[3] Bruno Latour, Kampf um Gaia, Berlin, 2017, S. 61.

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