Das Auto mordet unsere Städte

30. Mai 2019

„Die Fleischer stritten lautstark über die Vorzüge ihrer Pferde, auf die sie gewettet hatten.“[1][

„Wir müssen den Straßenbau in unseren Städten begrenzen. Wer glaubt, er könne so viele Straßen und Parkflächen bauen, dass es keine Stauungen mehr gibt, jagt einer Utopie nach…..Die Masse des Verkehrs in den Verdichtungsgebieten kann nur mit Hilfe moderner Schienenschnellverkehrssysteme bewältigt werden. Ihr Ausbau muss deutlich vor dem Straßenausbau rangieren….. Die Auflagen für den Sicherheitszustand und die technische Beschaffenheit der Kraftfahrzeuge – so etwa hinsichtlich der Entgiftung der Abgase – müssen verschärft werden…. Schließlich müssen wir uns entschiedener um neue technische Entwicklungen auf dem Gebiet des Massenverkehrs bemühen…. Ich meine, das Auto ist ein nützliches Hilfsmittel, aber keine Heilige Kuh, und die Wachstumsrate der Automobilindustrie ist es nicht wert, ihr die Zukunft unserer Städte zu opfern.“[2] Ende des Zitats.

Das gefällt mir. Endlich wird mal über vernünftige Verkehrspolitik nachgedacht, die Wachstumsraten der Automobilindustrie werden in die Schranken verwiesen und der öffentliche Nah- und Fernverkehr soll gefördert werden. Recht so. Bloß, dass Zitat stammt aus dem Jahre 1971 und wurde von einem gewissen Hans Jochen Vogel (SPD) verfasst, damals noch Oberbürgermeister der Stadt München. Man muss nur lange genug in alten (vergilbten) Unterlagen herumkramen um festzustellen, dass man sich in den 1970 er Jahren schon mit zielführenden Lösungen zu den ökologischen Fragestellungen beschäftigte, obwohl der Klimawandel zu dieser Zeit noch nicht präsent war.

Heute lesen wir ähnliche Artikel mit dem Unterschied, dass das Auto eine Heilige Kuh ist, die mehr denn je patriarchale Glücksvorstellungen vermittelt. Um gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen, spielen in unserer „Kultur“ (oder besser „Leitkultur“?) der Besitz und die Macht von protzigen Autos weiterhin eine zentrale Rolle. Ein reicher Investmentbanker, der einen Ferrari käuflich erwirbt, kauft ihn nicht, um ihn zu haben. Vielmehr kauft er ein Mittel, um Anerkennung für das zu ernten, was er zu sein glaubt – armer Investmentbanker. Diese Identifizierung mit einem Auto ist seit den 1970 er Jahren, gerade bei den „chauvinistischen“ Männern, ungebrochen, bloß mit dem Unterschied, dass in den 70 er Jahren die durchschnittliche PS Zahl weit unter 70 PS lag, heute hat sie sich mehr als verdoppelt auf über 150 PS. Der Fahrzeugbestand der Bundesrepublik Deutschland liegt gegenwärtig bei über 62 Millionen Kraftfahrzeugen, im Jahre 1970 lag er, nach Aussagen des ADAC, bei 20 Millionen Fahrzeugen, er hat sich also verdreifacht. Bei diesen Betrachtungen darf der volkswirtschaftliche Rebound-Effekt natürlich nicht vernachlässigt werden. Auch muss der Klimawandel ………Stop , Halt – bevor ich jetzt noch weitere Erklärungen abgebe – wer interessiert sich eigentlich noch für Fakten?! Sie sind doch mittlerweile vollkommen belanglos, alles egal; Hauptsache der lonesome Cowboy ist mit seinen starken Pferden unterwegs und er braucht keine Geschwindigkeitsbegrenzung, das letzte Stück Freiheit – rasen bis es richtig kracht -muss doch verteidigt werden.

Hans Jochen Vogel hat recht – „die Wachstumsrate der Automobilindustrie ist es nicht wert.“ Heute würde sich die SPD hüten, solche Aussagen zu bringen. Wer das Wirtschaftswachstum angreift, greift die gesamte Wirtschaft an. Die Heilige Kuh -Automobilindustrie- gehört schon seit mindestens 1970 veterinärmäßig untersucht. In der heutigen Zeit übernimmt die Untersuchung bei BMW ein gewisser Kevin Kühnert (ebenfalls SPD), der sich auch nicht scheut, heilige Kühe und auch Pferde(stärken) auf die Schlachtbank zu führen.

[1] Robert Baur: Blutmai, Meßkirch, 2018, Seite 57.

[2] Vogel, H.J., Das Auto mordet unsere Städte, in: Stern vom 02.05.1971, S. 15 und 17.

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