Der Derivate-Komplex

28. Dezember 2018

Derivate sind sogenannte Finanzmarktprodukte, die in einer unvorstellbaren Menge im Minutentakt künstlich von den Großbanken erzeugt werden. Es handelt sich um Termingeschäfte, also einen Markt auf denen Art, Menge, Preis und Liefertermin in der Gegenwart festgelegt werden; die Erfüllung des Geschäfts erfolgt aber erst in der Zukunft. Im Gegensatz dazu fallen bei einem Kassamarkt Abschluss und Erfüllung des Geschäfts zeitlich zusammen.

Bei Termingeschäften wird auf künftige Erwartungen spekuliert. Derivate ermöglichen die Trennung von dinglicher Inhaberschaft am Basiswert einerseits und die Partizipation an dessen Risiko andererseits. Bespielhaft legen wir einen Vertrag über den Kauf von hundert Fass Rohöl zugrunde. Käufer und Verkäufer fixieren den Preis in der Gegenwart, die Erfüllung des Vertrages erfolgt aber erst in drei Monaten. Diese Vorgehensweise ist dann für den Käufer vorteilhaft, wenn der Rohölpreis steigt. Der Käufer erspart sich damit die gestiegenen Kosten. Dies ist durchaus sinnvoll, da Warentermingeschäfte das Risiko verteilen und eine Rückversicherung für Risikovermeider darstellen. Das Derivat, also der gegenseitige Vertrag, wird aber dann zum reinen Spekulationsgeschäft, wenn der Käufer das Rohöl für seine eigene Produktion überhaupt nicht benötigt. Das Geschäft wird nur deshalb getätigt, um das Öl zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Der Gewinn entsteht dann über die Preisdifferenz, weil Preis- und Kursschwankungen im Zeitablauf ausgenutzt werden. Solche, inflationär angebotenen, Derivate gibt es für Rohstoffe, Aktien, Anleihen, Lebensmittel aber auch für marktbezogene Referenzgrößen wie beispielsweise Zinssätze. Selbst Wetten über Insolvenzen, Staatsbanktrotte, Hungersnöte und andere negative Ereignisse lassen sich in Derivate verpacken und fertig ist das „Wertpapier“.

Wie bereits an anderer Stelle[1] dargestellt, erfolgt der Handel des Rohöls vorrangig nicht über die Börse, sondern nach dem –over the counter (OCT)– Prinzip. Der Handel findet also zwischen zwei Partner außerhalb der Börse statt. Da der außerbörsliche Handel nicht kontrolliert wird, sind Spekulationsblasen zu erwarten. Deshalb ist es dringend erforderlich, den Handel mit Rohöl außerhalb der Börse zu verbieten. Dieser Handel muss zwingend über die Börse kontrolliert und reguliert werden.

Seit der zunehmenden Deregulierung der Wirtschaft vor dreißig Jahren dominieren an den Finanzmärkten Geschäfte, die mit der eigentlichen Produktion nichts mehr zu tun haben. Rohöl ist aber für sämtliche Produktionen fast unersetzlich. Jetzt könnte man annehmen, dass der Preismechanismus die Knappheit von Rohöl anzeigen müsste, da die Zukunft bei Termingeschäften mitberücksichtigt wird. Weit gefehlt. Der Knappheitsindikator hat eine sehr kurze Reichweite von nur drei Monaten. Das System kann nicht funktionieren, wenn der Preis beispielsweise in Rotterdam nach der relativen Knappheit in den Öllagern gebildet wird. Der Preismechanismus kann die absoluten Knappheiten nicht widerspiegeln und die deregulierten Märkte liefern keine Hinweiszeichen für die Knappheit.

Trotzdem mystifizieren neoliberale Ökonomen die Märkte. „Finanzmärkte haben nichts mit der Idylle des Marktwettbewerbs zu tun. Die Regeln der Preisbildung aus Angebot und Nachfrage der vielen kleinen Anbieter und Nachfrager spielen keine Rolle. Hier dominiert ein Netz von megamächtigen Anbietern und Nachfragern. Nach einer aktuellen Untersuchung aus der Schweiz gibt es weltweit ein kleines, geschlossenes System von im weiteren Kreis hundertvierzig, im engeren Kreis dreißig Finanzgruppen, Banken, Hedgefonds, Private-Equity-Fonds, Finanzinvestitionsfonds und Pensionsfonds. Der Widerspruch provoziert: Während die Akteure einer regulierten Kontrolle über verantwortbare Geschäftsmodelle nicht zugänglich sind, beherrschen sie mit ihrem „Spekulationsshopping“ jedoch 80 Prozent der Weltökonomie.“ [i]

Somit hat die neoliberale Ökonomie den kategorischen Imperativ von Kant in das Gegenteil verkehrt: Betreibe Gewinnmaximierung auf Teufel komm raus, das andere Menschen geschädigt werden ist als Kollateralschaden zu verbuchen.

[1] Wer mehr über den Rohstoff Rohöl erfahren möchte, muss mein Buch lesen. Entstehung, Bedeutung und Preisbildung des Öls werden darin erläutert. In diesem Zusammenhang gehe ich auch auf die Verbrennung dieses Rohstoffes ein. Die daraus resultierenden CO2 Emissionen führen direkt in die Klimakatastrophe. Außerdem zeige ich in meinem Buch auf, warum der Klimawandel ein Kind des Neoliberalismus ist. Das neoliberale Versprechen des grenzenlosen Wachstums und der Macht der Märkte wird durch den Klimawandel ad absurdum geführt.

[i] Rudolf Hickel, Zerschlagt die Banken, Berlin, 2012, S.39.

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