3. Die digitale Arbeit

29. April 2018

Die volkswirtschaftliche Sichtweise

Arbeit hat einen sehr großen Stellenwert in jeder Volkswirtschaft, denn es geht nicht nur um Broterwerb. Arbeit hält das Leben zusammen, strukturiert den Alltag und ist sinnstiftend. Man ist stolz darauf, etwas geleistet zu haben, dass der gesamten Gesellschaft zu Gute kommt. Der Historiker Yuval Noah Harari meint dazu: „Früher wurden die Arbeiter ausgebeutet. Jetzt fürchten die Menschen, dass es noch viel schlimmer kommt. Wenn ich völlig irrelevant bin, dann ist das viel bedrohlicher“.

Warum wird nun die Digitalisierung häufig als Bedrohung angesehen? Die Bandbreite der möglichen Ausprägungen ist bei der Digitalisierung besonders groß. Die Digitalisierung ist sicherlich ein Instrument der Arbeitserleichterung und gleichzeitig muss eine Arbeitsverdichtung befürchtet werden. Sind die Roboter nun eine Bedrohung für das Arbeitsleben? Die Maschinen können uns doch die Arbeit nicht wegnehmen. Dies geht in der Tat nicht. Früher wurde häufig behauptet, die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg. Dies ist natürlich ebenfalls nicht möglich. Die Lösung ist ökonomisch sehr einfach. Im Rahmen der Digitalisierung sind nicht die Maschinen, die uns angeblich die Arbeit wegnehmen, zu verurteilen, sondern das betriebswirtschaftliche Kalkül kostensparend zu produzieren. Menschen werden als Kostenfaktoren in den Kalkulationen geführt und sie sind nur dann zu gebrauchen, wenn sie „günstiger“ sind als die Maschinen. Es geht nicht um die menschenleere Fabrik, sondern um die verminderten Arbeitskosten und um billige Arbeitskräfte. Der Grundwiderspruch von Arbeit und Kapital ist natürlich immer noch existent und wird auch nicht durch die Digitalisierung aufgelöst.

Außerdem kümmern sich Betriebswirte nicht oder unzureichend um volkswirtschaftliche Sachverhalte. Neoliberale Betriebswirte sind sogar der Meinung, dass es einer Volkswirtschaft gut gehen müsse, wenn es den Betrieben gut geht. Dies ist natürlich falsch, hat sich aber im Denken vieler Ökonomen so festgesetzt. Betriebswirte sehen ausschließlich ihren Betrieb und möchten ihn natürlich effizient gestalten um im Wettbewerb zu bestehen. Das ist vollkommen legitim und die Betriebswirtschaft sollte sich auch klar von der Volkswirtschaft abgrenzen. Die Volkswirtschaft besteht aber nicht aus der Gesamtheit der Betriebe und Unternehmungen. Die Wirtschaft umfasst noch zusätzlich die Haushalte, die Gewerkschaften, die Banken, den Staat und auch das Ausland. Mittlerweile gehören partiell auch wichtige Organisationen  (Kirchen, Krankenhäuser, Schulen usw.) dazu. Politiker tragen keine betriebswirtschaftliche sondern ausschließlich eine volkswirtschaftliche Verantwortung.

Die Väter der, leider aussterbenden, Sozialen Marktwirtschaft wollten den Arbeitsmarkt aus dem Wettbewerb nehmen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten vor dem Konkurrenzdruck geschützt werden. Solche Diskussionen werden schon lange nicht mehr geführt. Im Gegenteil, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich einem größer werdenden Konkurrenzdruck aussetzen.  Die Arbeit findet häufig unter dem Stichwort „crowd working“ statt. Mehr zum Thema crowd working unter folgendem Link: Die schleichende Auflösung der Arbeitsrechte

Die Digitalisierung benötigt nicht unbedingt ein marktwirtschaftliches System (siehe China). Sie benötigt aber zwingend den technischen Fortschritt, der sich seit über 200 Jahren immer weiter entwickelt hat. Wenn neue Technologien eingeführt wurden, war die Argumentation der Unternehmer fast immer gleich, nach dem Motto: Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns dem technologischen Fortschritt anpassen. Dieser Fortschritt kommt über uns, wir können nichts dafür. Wir werden von außen gesteuert. Das klingt ja fast wie eine Verschwörungstheorie. Diese fragwürdige Argumentation wird natürlich auch bei der Digitalisierung benutzt. Es wird, wie immer, gänzlich unterschlagen, dass die Unternehmen die handelnden Subjekte sind. Sie treiben den technischen Fortschritt an und erhöhen die Produktivität des Kapitals um ihre Gewinne zu steigern.

Die massenhafte Arbeitslosigkeit war noch nie ein betriebswirtschaftliches Problem. Die Problemlage ergibt sich aus dem volkswirtschaftlichen Kontext. Deshalb muss die Diskussion volkswirtschaftlich geführt werden. Dass sich das Arbeitsleben grundsätzlich ändert, wird im betriebswirtschaftlichen Kalkül unzureichend erörtert. Unsere neoliberal geprägten (Wirtschafts-)Politiker verstehen scheinbar nicht den Unterschied zwischen Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft. Mit zunehmender Digitalisierung benötigen wir flächendeckend einen  Gesellschaftsvertrag, der die Arbeit durchgreifend neu regelt. Die Digitalisierung bietet allen die Chance weniger zu arbeiten und die Arbeit sinnvoller zu verteilen. Dazu wird aber ein neuer Gesellschaftsvertrag benötigt, der politisch diskutiert, entschieden und auch von Seiten der Politik durchgesetzt wird. Die Unternehmen werden natürlich solch eine Umverteilung aus betriebswirtschaftlichen Gründen ablehnen. Hier sind die Politiker gefordert, volkswirtschaftliche Lösungen zu finden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen gehört ebenfalls in die Debatte. Ich halte ein bedingungsloses Grundeinkommen für problematisch, weil die gesellschaftliche Kooperation und Solidarität gefährdet wird. Arbeitszeitverkürzungen für alle sind wirksamer.
Leider grenzen viele Politiker die Betriebswirtschaftslehre nicht exakt von der Volkswirtschaftslehre ab. Vieles wird in einen Topf geschmissen, verrührt und es entsteht ein ökonomischer Brei. Demzufolge wird die Debatte auf die Begriffe Wettbewerbs- und Marktfähigkeit reduziert. Trennungslinien verschwimmen immer mehr und der Unterschied dieser beiden Disziplinen wird scheinbar nicht verstanden. Vielleicht verstehen Politiker ihn, wahrscheinlich wollen sie ihn aber nicht verstehen, weil es häufig nur um Lobbyarbeit und Interessen geht. Upton Sinclair hat den schönen Spruch geprägt: Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn  sein Gehalt davon abhängt, das er es nicht versteht.

Die Digitalisierung wird vergöttert. Nach herrschender Meinung, die häufig die Meinung der Herrschenden ist, wird sie sehr viele Probleme lösen, sie ist umweltneutral, energieffizient und sie verschmutzt nicht die Umwelt. Sie ist durch und durch eine smarte[1] Technologie. Man muss kein Ökologe sein, um diese Aussagen zu entlarven.

Die wenigsten User von Netflix-Serien kommen auf die Idee darüber nachzudenken, wie drastisch der Ressourcenverbrauch der Digitalisierung ist. Es werden riesige Datenzentren benötigt und die Kühlung der Server verbrauchen große Energiemengen. Ist die boomende Kommunikationstechnologie wirklich nachhaltig? Um diese Frage beantworten zu können, muss der Rebound-Effekt volkswirtschaftlich untersucht werden, der besagt, dass Effizienzgewinne durch eine vermehrte Nutzung „aufgefressen“ werden. Digitale Geräte werden immer energieeffizienter, gleichzeitig wird aber durch die vermehrte Nutzung dieser Einspareffekte wieder neutralisiert beziehungsweise ins Gegenteil verkehrt. Mit zunehmender Digitalisierung werden größere, stromintensivere Rechenzentren benötigt. Durch größere Datenmengen wird das Klima vermehrt geschädigt. Es ist eben keine sanfte und bescheidene Technologie. Die Digitalisierung kann dazu führen, dass gesellschaftliche Probleme in den Bereichen Arbeit, Bildung und Kultur verschärft werden.

Die betriebswirtschaftliche Sichtweise

Seit jeher möchten die Arbeitgeber die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kontrollieren. Verständlicherweise werden Leistungskontrollen im Arbeitsleben als unangenehm empfunden. Durch die digitale Technik ist es möglich, diese Kontrollen auf ein nie dagewesenes Niveau auszubauen. Für die Unternehmen ein klarer Vorteil, weil pro bezahlter Minute mehr gearbeitet wird. Natürlich kann auch am Wochenende und an Feiertagen von zu Hause aus gearbeitet werden. Dieser zusätzliche Vorteil der Betriebe wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ebenfalls als Flexibilisierung verkauft. Angeblich erhalten die Beschäftigten mehr Zeitsouveränität, weil die Maschinen zeitraubende Arbeitsprozeduren übernehmen. Ob dieser Sachverhalt  zu gesamtgesellschaftlichen Vorteilen führt, bleibt abzuwarten.

Außerdem haben Maschinen viele Vorteile, sie benötigen keinen Urlaub, sind prinzipiell nie krank, arbeiten exakt, meckern nicht und sind 24 Stunden im Einsatz. Da Maschinen auch nicht streiken können, wird sich die Arbeitswelt umfassend verändern. Diese betriebswirtschaftlichen Vorteile werden noch ergänzt, indem Arbeitgeber fordern, dass die verbleibenden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sich doch bitteschön bei zukünftigen Lohnverhandlungen zurückhalten, einer Flexibilisierung der Arbeit zustimmen und den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten tolerieren mögen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die durch die Digitalisierung entstandenen Gewinne sind an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verteilen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.

[1] Der Terminus „smart“ klingt sehr positiv. Eine smarte Produktionsweise kann keine negativen Aspekte haben. Soziale Medien sind sprachlich ebenfalls positiv besetzt. Die Realität sieht aber ganz anders aus.

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