Wüstenstrom?

22. Oktober 2018

Am 07.Oktober 2018 stellte der Weltklimarat (IPCC) einen neuen Sonderbericht zur Erderwärmung vor. Demnach bleibt den Staaten nicht mehr viel Zeit das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Ist die Lage ausweglos? Sicherlich nicht, bloß es muss unverzüglich entschieden und gehandelt werden. Die Menschheit muss nun in kürzester Zeit eine entschlossene und tiefgreifende Klimapolitik angehen. Es ist schon seit über dreißig Jahren bekannt, dass die Industrieländer über ihre Verhältnisse leben, und zwar um den Faktor 10. Ein „Weiter so“ darf es also nicht mehr geben. Nachdem der IPCC seinen Bericht offen legte, hörte man, wie gewohnt, die üblichen Floskeln und Placebobegriffe der Politiker. Was sagen nun die Experten? Welche Lösungsvorschläge sind zielführend?

Um beispielsweise die Elektromobilität tiefgreifend zu realisieren wird sehr viel Strom benötigt. Der Strom aus deutschen Kohlekraftwerken ist wegen der hohen CO2 – Emissionen keine Alternative. Auch werden diese Strommengen nicht ausreichen um Millionen von Elektrofahrzeugen anzutreiben. Eine Möglichkeit ist, den Strom aus der Wüste zu holen. In der Sahara scheint die Verfügbarkeit von Sonnenenergie unbegrenzt. Um die Leistung eines Kernkraftwerks zu erreichen, kann ein Solarthermisches Kraftwerk mit Eintagesspeicher in der Wüste errichtet werden. Aufgrund der gegenwärtigen Sonnenstrahlung wird von einer Verfügbarkeit von circa 7.200 Stunden pro Jahr ausgegangen. Dieser sehr hohe Wert führt dazu, dass solche Kraftwerke regelbar sind. Genau dies ist das Problem deutscher Photovoltaik–Anlagen. Wenn die Sonne nicht scheint, ist eine Stromproduktion nicht möglich. Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke sind ebenfalls regelbar.

Der Transport des Stromes nach Europa ist mit den üblichen Leitungen (380.000 Volt Wechselstrom) ineffektiv. Eine Lösung bietet die Gleichspannungstechnologie HGÜ[1] (600.000 Volt Gleichspannung). Bei dieser Technologie geht man von einem Stromverlust von circa 12 Prozent aus (auf die Entfernung Marokko – Deutschland).

Da mit dem Strom aus der Wüste keine Lagerstätten abgebaut werden, findet auch, wie sonst bei vielen Rohstoffen üblich, keine Ausbeutung der dortigen Bevölkerung statt. Im Gegenteil, die marokkanische Bevölkerung findet Arbeit und es wäre möglich, vernünftige Verträge auf Augenhöhe zu schließen, die nicht an den Kolonialismus erinnern.

Die Experten sind sich einig, dass Solarthermiekraftwerke und die entsprechende Weiterleitung technisch problemlos zu realisieren sind. Im Süden Marokkos kann für solch ein Kraftwerk die jährliche Sonneneinstrahlung bei maximal 2.635 kWh/m2 liegen. Also alles wunderbar. Warum gehen wir die Energiewende mit solchen Projekten nicht an? Wo sitzen die Probleme?

Das erste Problem ist die große Investitionssumme. Bei einer Leistung von drei Gigawatt wird eine Wüstenfläche von circa 600 – 900 km2 benötigt. Die Länge der HGÜ–Leitung müssten circa 2.600 km betragen. Man kalkuliert für drei Gigawatt mit 30 Milliarden Euro Investitionskapital und die Betriebsdauer wird mit 40 Jahren veranschlagt.

Aus ökonomischer Sicht ist dieses Problem lösbar. Die Investitionssumme ist zwar vergleichsweise hoch, aber das Risiko ist nach Aussagen der Experten gering. Warum ist das Interesse der Investoren trotzdem begrenzt?

Um das zweite Problem zu beschreiben, wage ich mal eine Hypothese: Da der Klimawandel wegen der Kipp-Punkte relativ unberechenbar ist, halten sich die Investoren bei solchen Megavorhaben zurück. Bei dieser riesigen Investitionssumme werden sich die Kapitalgeber entsprechend informieren. Das Umweltbundesamt gibt regelmäßig Studien zum Klimawandel heraus. In einer der Untersuchungen[2] werden 13 Kipp-Punkte identifiziert. Wenn ein Kipp-Punkt erreicht wird, ist er nicht mehr umkehrbar. Hinsichtlich der Kipp-Punkte weiß niemand genau, wann die kritischen Werte überschritten werden und die Erde gewissermaßen den Schalter umlegt. Nicht nur das Umweltbundesamt, sondern auch das Potsdam – Institut für Klimaforschung, bestätigt, dass ein entscheidender Kipp–Punkt die Instabilität der Sahel–Zone in Afrika ist. Durch den Klimawandel wird in der Sahel–Zone recht abrupt ein Monsumsystem entstehen. Die trockene Sahel–Zone wird dann von heftigen Regenfällen heimgesucht. Diese erhebliche Anpassungsleistung wird die leidgeprüfte Region kaum schaffen, da sich der schnelle Wechsel zwischen Dürre und Flut negativ für das Leben auswirken wird. Trotzdem könnte sich vielleicht durch den Regen eine Chance für die agrarische Bevölkerung ergeben. Dies ist aber höchst spekulativ. Der entstehende Nachteil für die Investoren der Solarthermietechnologie ist aber offensichtlich.

Die Sahel–Zone ist im Grunde genommen Teil der Sahara oder anders ausgedrückt, die Grenzen verlaufen nicht trennscharf. Ich bin mir nicht sicher, ob der Klimawandel auf diese geografischen Feinheiten Rücksicht nimmt und eine klare geografische Trennungslinie zieht. Sicher bin ich hingegen, dass Investoren ihr Kapital vermehren wollen und das Risiko scheuen. Insofern sind die gut gemeinten Vorschläge der Experten hinsichtlich der Solarthermietechnologie sicherlich begrüßenswert. Anstatt auf Kernkraft und Braunkohle zu setzen, hätte man sich aber schon viel früher Gedanken über solche Alternativen machen müssen. Es ist doch schon seit über dreißig Jahren bekannt, dass die Stabilität des Systems Erde aufgrund des anthropogenen Einflusses gefährdet ist. Ob die Investoren sich darauf verlassen, dass in der Sahara die nächsten 40 Jahre die Sonne mit der gleichen Intensität scheint, bleibt abzuwarten. Dies wird mit Sicherheit nicht der Fall sein, wenn ein Monsumsystem in der Sahel-Zone entsteht. Sowohl das Umweltbundesamt als auch das Potsdam – Institut für Klimaforschung gehen von solch einem System aus.

Wir haben uns daran gewöhnt, den Klimawandel technologisch beherrschen zu wollen. Es werden aber ganz andere Konzepte benötigt. Man wäre ja schon froh, wenn sich der Verkehrsminister Scheuer hinter die neuen, letzte  Woche publizierten, CO2 – Grenzwerte der EU stellen würde, auch wenn die Autoindustrie diese Abmachungen scharf kritisiert. Deutschland betätigt sich mal wieder als Bremser. Noch besser wäre es, wenn Deutschland und der Verkehrsminister Scheuer sich tendenziell vom Individualverkehr verabschiedet und brauchbare Alternativkonzepte entwickeln würde. Wie lange wollen wir uns eigentlich noch das Märchen von der technologischen Beherrschbarkeit der Erde erzählen?

[1] HGÜ bedeutet Hochspannungs-Gleichstromübertragung.

[2] http: / / www.umweltbundesamt.de / publikationen / kipp-punkte-imklimasystem,

abgerufen am 16.07.2018

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