Der tendenzielle Fall der Wachstumsrate

26. März 2020

Auch dieser Blog ist aus alten Veröffentlichungen „zusammengeklickt“.

Die Berichterstattung über das Corona-Virus hat vielen Menschen gezeigt, was ein exponentielles Wachstum ist. Strittig ist, ob es diese Art von Wachstum auch in der Wirtschaft gibt. Unstrittig ist hingegen in der Mainstream-Ökonomie, dass kapitalistische Systeme, und dazu gehört auch das System in China, scheinbar zwingend ein Wirtschaftswachstum benötigen. Die damaligen Politiker, die die Soziale Marktwirtschaft[1] geprägt haben, glaubten nicht an ein unendliches Wachstum. Die Soziale Marktwirtschaft wurde aber ab den 1990 er Jahren sukzessive aufgelöst und durch die neoliberale Ökonomie ersetzt, die die Globalisierung befeuerte. Dass war der Startschuss für ein überproportionales Ansteigen des Wirtschaftswachstums in vielen Ländern.

Das Wachstum

In der Natur kommt das Wachstum in vielfältiger Form vor. Pflanzen, Kinder, Wirtschaft aber auch Krebszellen und Virenpopulationen wachsen. Wir machen uns Sorgen, wenn Pflanzen, Kinder, Krebszellen und Viren ungebremst wachsen würden. Dies trifft für die Wirtschaft aber nicht zu, weil uns die Mainstream-Ökonomie folgenden, an vielen Stellen fehlerhaften, Sachverhalt klar machen möchte: Gebetsmühlenartig wird das Wirtschaftswachstum von Politik, Gesellschaft und auch von Teilen der Wissenschaft als Garant für Glück, Wohlstand und Beschäftigung angesehen. Das Vertrauen in die Wirtschaft wird bei den Konsumenten und Produzenten schwinden, wenn sich aus irgendeinem Grund die Wachstumsrate reduziert. Die Wirtschaft gerät dann in eine Rezessionsspirale. Die pessimistische Stimmung wird durch fallende Auftragseingänge und eine geringere Produktion gekennzeichnet. Die Arbeitslosenquote wird zunehmen und demzufolge fallen die Zuwachsraten bei den Löhnen wesentlich geringer aus. Durch die fallende Investitionsneigung der Unternehmen gerät die Wirtschaft immer stärker in den Rezessionsstrudel hinein. Für die öffentlichen Haushalte wirkt sich eine Rezession steuermindernd aus. Durch die geringen Steuereinnahmen ist der Staat gezwungen, erhebliche Einschnitte im Sozialbereich vorzunehmen. Die Natur hingegen darf aufatmen. Es werden weniger Ressourcen verbraucht und demzufolge werden auch weniger Schadstoffe ausgestoßen.

Die Physiokraten

 Die Väter der Ökonomie, nämlich der Franzose Francois Quesny (1694- 1774) und der Schotte Adam Smith (1723-1790), gingen davon aus, dass der Mensch keine ökonomischen Werte produzieren kann, denn alle Güter kommen aus der Natur. Im Gegensatz zu den Merkantilisten erkannte Quesny nur den Primärsektor (Land-, Weiden- und Forstwirtschaft, Fischerei und Bergbau), also die Natur, als Produktivkraft an. Selbst der industrielle Bereich (Sekundärsektor) war für ihn, genauso wie der Tertiärsektor (Dienstleistungen), unproduktiv. Adam Smith erweiterte hingegen den Kreis, indem er den Sekundärsektor (Industrie) als produktiv ansah. Adam Smith war auch Philosoph und Francois Quesny war Arzt, insofern hatten diese damaligen Ökonomen  auch eine tiefe Natur- und Menschenverbundenheit. Sie konnten damals schon begründen, dass eine wachsende Naturausbeute zu einem wirtschaftlichen Wachstum führt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Heute wissen wir aber auch, dass eine zunehmende Ausbeutung der Natur auch ökologische Konsequenzen hat. Durch den Wachstumsimperativ der gegenwärtigen Ökonomie kommt es mittlerweile zu großen ökologischen Verwerfungen.

Das Wirtschaftswachstum

Ich habe intensiv, nicht nur auf dieser Homepage, über das Wirtschaftswachstum berichtet und sehr viele Lösungsmöglichkeiten, um das Wirtschaftswachstum naturfreundlich zu gestalten, vorgestellt. Es wäre müßig, wieder in alten Unterlagen zu kramen, um Lösungsmöglichkeiten zu skizzieren. Deshalb soll ein kurzes und einfaches Beispiel an dieser Stelle genügen.

Der tendenzielle Fall der Wachstumsrate

Zur Vereinfachung soll unser gedachter Betrieb, der natürlich aus der Energie-Branche kommt, die gesamte Volkswirtschaft repräsentieren. Dieser Betrieb ist in einer größeren Stadt ansässig, stellt Solarpanels her und verkauft in einem Jahr 5.000 Panels. Dieser Verkauf findet jedes Jahr statt. Immer mehr Häuser werden mit den Solarpanels ausgestattet. Die Volkswirte dieser Stadt stellen fest, dass kein Wachstum stattfindet. Da jedes Jahr 5.000 Solarpanels verkauft werden, erscheint das Horrorgespenst einer jeden Wirtschaft: Nullwachstum. Da die Effizienz der Solarpanels sich energietechnisch verbessert hat, benötigt die Bevölkerung nur noch 4.000 Panels, um den Energiebedarf unverändert zu decken. Jetzt kommt es für die Wirtschaft knüppeldick, das schädliche, negative Wirtschaftswachstum kommt ins Spiel, obwohl die Energieversorgung für die Bevölkerung nicht schlechter geworden ist. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein Wirtschaftswachstum von den Volkswirten dann positiv bewertet wird, wenn die Bevölkerung im ersten Jahr 5.000 Panels, im zweiten 5.500, im dritten 6.000 im vierten 6.500 usw. kauft. Mit diesen Zahlen kann jetzt ein Wirtschaftswachstum berechnet werden.

Die Wachstumsrate beträgt vom ersten zum zweiten Jahr 10%, vom zweiten zum dritten Jahr 9,0909%, vom dritten zum vierten Jahr 8,3333% vom vierten zum fünften Jahr 7,6923% usw. Obwohl die absolute Steigerungsrate jedes Jahr 500 Panels beträgt und sich nicht verändert, nimmt die Wachstumsrate kontinuierlich ab. Dies lässt sich durch eine einfache Dreisatzrechnung beweisen. Wenn wir im Dreisatz den Antwortsatz bilden, stellen wir fest, dass der Nenner im Bruch immer größer wird. Das hat zur Folge, dass die Zahl, die sich aus dem Verhältnis Zähler : Nenner ergibt, immer kleiner wird. Somit nehmen die Wachstumsraten ab, obwohl wir jedes Jahr 500 Solarpanels mehr produzieren. Je größer die Grundlage (sprich der Nenner), desto kleiner die Wachstumsrate. Daraus folgt, dass die Wachstumsrate von den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft überschätzt wird. Prinzipiell benötigen wir diese Wachstumsraten nicht, um ein gutes Leben zu führen und Arbeitsplätze zu erhalten.

Und genau dieses gute Leben wünsche ich, gerade in der heutigen Zeit, allen Menschen und dem Wachstumswahn sage ich mal – Tschüss.

 

[1] »Der Deutsche ist offenbar so geartet, dass er es nicht ertragen kann, wenn es einem anderen – dem Nachbarn, dem Freund – noch besser geht. Dann ist er, so gut seine eigene Lage auch sein mag, neidisch und unzufrieden. Diese besondere Art von Maßlosigkeit stellt für unser Land eine besondere Gefahr dar, die es zu erkennen und von jedem Einsichtigen zu bekämpfen gilt. Mir wird des Öfteren die Frage gestellt, zu welchem letzten Ziel denn die von mir verfolgte Wirtschaftspolitik führen soll. Die so fragen, lassen im Unterton immer die Befürchtung anklingen, dass ein endloser Fortgang der eingeschlagenen Entwicklung vielleicht zur Selbstauflösung führen könnte. Sicherlich ist diese Fragestellung berechtigt, und ich möchte ihr darum auch nicht ausweichen. Meine Antwort ist klar und eindeutig: Ich glaube nicht, dass es sich bei der wirtschaftspolitischen Zielsetzung der Gegenwart gleichsam um ewige Gesetze handelt. Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen »Fortschritt« mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen. Hier ist dann aber nicht mehr nur der Wirtschaftsminister, sondern in gleicher Weise der Theologe, der Soziologe und der Politiker angesprochen.« (Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle, Düsseldorf, 1964, S. 232/233)

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