Die Rente ist sicher!sicher?

21. August 2020

Der politische Nachwuchs von FDP (Junge Liberale) und der CDU (Junge Union) brachten es einst auf die abstruse Formel: „Jede Generation sorgt für sich selbst.“ Diese groteske Selbstversorgungsidee ist ein fundamentaler Angriff auf die Generationensolidarität und, wenn es nicht so ernst wäre, auch eine Lachnummer. Ich habe noch nie ein Kleinkind gesehen, dass für sich selbst sorgen kann. Es kann sich weder stillen noch wickeln. Auch viele Schülerinnen und Schüler sind von ihren Eltern abhängig und können sich nicht selbst versorgen. Einige von ihnen können noch nicht einmal allein ihre Hausaufgaben machen. Auch das hat Corona zu Tage gefördert. Viele Studentinnen und Studenten können noch nicht einmal kochen und selbst im Beruf brauchen viele Kinder noch den Beistand der Eltern. Auch Sterbenskranke können sich selten selbst heilen. Ohne Mitsorge gäbe es uns Menschen nicht, wir wären schon im Neandertal verhungert und erfroren. Wir leben allesamt mit- und füreinander, und zwar von der Wiege bis zur Bahre.

Aber nicht nur die Jungen Liberalen und die Junge Union haben derartige Rentenvorstellungen. Es gibt sogar gestandene Politikerinnen und Politiker die ähnlich denken, beispielsweise Friedrich Merz  von der CDU. Als ehemaliger Aufsichtsratvorsitzender von Blackrock Deutschland steht Friedrich Merz, wie kein anderer, für die Umgestaltung des Generationenvertrages. Dieser Vertrag hat sich aber in den letzten einhundert Jahren bewährt. 

Der Legende nach soll der Oberbefehlshaber der alliierten Armee nach dem Zweiten Weltkrieg, Dwight D. Eisenhower gesagt haben: „Jetzt verstehe ich preußische Disziplin erst wirklich. Alles zerstört. Aber die Rente wird gezahlt.“ Hätte er diese Aussage auch bei einer privat finanzierten Rentenversicherung gemacht? Wohl kaum.

Arbeit versus Kapital

Gerade in der Corona-Krise schmelzen die Gewinne der Unternehmen wie das Eis in der Arktis. Die Gewinnentwicklung ist in einigen Branchen dramatisch und viele Arbeitsplätze sind gefährdet. Der Massentourismus steht nicht nur aus ökologischen Gründen im öffentlichen Diskurs, auch die Aktienkurse von Lufthansa, TUI und Co.  sind im freien Fall. Wer möchte seine Rente an diese Kursentwicklung knüpfen? Gerade in der heutigen Zeit stellen sich deshalb wichtige gesellschaftspolitische Fragen. Wollen wir die Rentenversicherung an den Produktionsfaktor Arbeit (Lohn und Gehalt) binden oder ist unsere Rente bei Privatversicherungen, die die Rente an das Kapital und somit an zukünftige Gewinnentwicklungen knüpft, besser aufgehoben?

Das Beispiel Wirecard

Wir erinnern uns – vor 2 Jahren wollte der Megakonzern Blackrock das Altersvorsorgepaket „PEPP“ europaweit einführen. Die Abkürzung steht für „Pan-European Personal Pension“.  Dieser Entwurf wurde vom Vizepräsidenten der EU-Kommission Valdis Dombrovskis, der für die Regulierung der Finanzmärkte zuständig ist, eingebracht. Dieses private Altersvorsorgeprodukt ist ein Riesengeschäft für alle Finanzkonzerne und der, mit der Bierdeckel-Steuerreform aus der Aufsichtsräterepublik Deutschland, Herr Merz schwärmte in höchsten Tönen von solchen kapitalgedeckten Renten.

Und heute – der leuchtende Stern am DAX-Himmel, nämlich die Firma Wirecard – pleite. Der Blue Chip aus der ersten Börsenliga ist abgestürzt, der Börsenwert tendiert gegen null und die Anleger haben sehr viel Geld verloren, obwohl Wirecard von der deutschen Finanzaufsicht geprüft wurde. Scheinbar ist die Bafin damit überfordert, solche Unternehmen wie Wirecard zu kontrollieren und  notfalls zu regulieren. Hinzu kommt, dass die global tätige und renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) seit über 11 Jahren die Bilanzen von Wirecard geprüft hat und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, fehlen 1,9 Mrd. Euro in der Bilanz. Vermutlich war Wirecard schon seit vielen Jahren eine Luftnummer. „Und internationale Investoren dürften sich wohl allmählich fragen, ob man in Deutschland überhaupt noch etwas zur Regulierung von Finanzgeschäften unternimmt nach all den Skandalen allein der vergangenen Jahre – sei es um die Hypo Real Estate, die es mit ihrer Tochter Depfa in Irland zu bunt trieb, oder die Deutsche Bank, die bei praktische jedem Finanzverbrechen der vergangenen zwanzig Jahre dabei war, oder VW, das nach dem Skandal um seine illegale Abgastechnik zehntausende Kunden entschädigen muss. Diese Unternehmen sind keine obskuren Briefkastenfirmen, sondern bilden eigentlich die Creme de la Creme des deutschen Kapitalmarkts.“[1]  Bei Wirecard wird es wohl nicht nur bei den Luftgeschäften bleiben. Namenhafte Experten vermuten inzwischen, dass Wirecard auch mit der Geldwäsche in Verbindung gebracht wird. Ob Wirecard, VW oder Deutsche Bank – sie alle haben dafür gesorgt, dass das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt zerstört wurde.

Fazit

 Wirecard ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie die, stets propagierte, private Altersvorsorge die Anlegerinnen und Anleger enteignet. Politikerinnen und Politiker, die die private Altersvorsorge fordern, sollten zunächst einmal dafür sorgen, dass der Finanzmarkt streng reguliert wird. Der Sarbanes-Oxley Act (SOX), der in den USA gegen Bilanzfälschung zur Anwendung kommt, könnte hier eine Vorbildfunktion haben. Wer Bilanzen oder Abgase manipuliert wird in den USA sehr streng bestraft.[2] Solange es in Deutschland keinen streng regulierten Kapitalmarkt gibt, ist der Generationenvertrag unantastbar. Das hat nicht nur mit solider Finanzierung zu tun, sondern auch mit gesellschaftlicher Solidarität. Wenn die Kinder sich nicht selbst versorgen können, sorgen die Alten für die Jungen. Im Laufe des Lebens wendet sich das Blatt und die Jungen sorgen für die Alten. So einfach ist das. Keine Generation sorgt nur für sich selbst.

[1] Wieslaw Jurczenko, Der Wirecard-GAU, Das Totalversagen der deutschen Finanzaufsicht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/20, Berlin August 2020, S. 71/72.

[2] „Während in den USA verschiedene VW-Manager längst hinter Gitter sitzen, wird in Deutschland noch aufwändig und langwierig ermittelt.“ (Wieslaw Jurczenko)

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