Solidarität statt Profitorientierung

24. Januar 2020

„Wollen wir eine Politik, die vorhandenes Bewusstsein spiegelt, oder wollen wir durch politisches Handeln Bewusstseinsveränderungen vorantreiben?“

Erhard Eppler  (Ende oder Wende, München, 1976, S.76)

Nicht nur die Automobilindustrie und die dazugehörigen Zulieferbetriebe (z.B. Continental), sondern auch andere Branchen (z.B. Thyssen-Krupp) planen einen massiven Stellenabbau. Schätzungen gehen von über 50.000 betroffenen Stellen aus. Es ist paradox: Auf der anderen Seite stöhnen deutsche Industriebetriebe über den Fachkräftemangel, der, nach Meinung des BDI, durch Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte geheilt werden soll. Ist Deutschland überhaupt für Fachkräfte attraktiv?

Für Akademiker eher nicht, denn eine Studie der OECD und der Bertelsmann – Stiftung vom 16.12.2019 belegt, dass Deutschland für zugewanderte Akademiker nur mäßig attraktiv ist. Deutschland steht im OECD-weiten Vergleich auf Platz zwölf. Die Spitzenpositionen bei den Akademikern werden durch die Länder Australien, Schweden und der Schweiz repräsentiert.

Für Firmengründungen ist Deutschland ebenfalls kein attraktives Land. Erfolgreiche Start-up-Unternehmen werden relativ schnell von kapitalkräftigen Investoren übernommen[1] und Firmengründer, die nicht-profitorientiert denken und handeln haben es schwer. Die Gründung alternativer Unternehmen, beispielsweise in der Rechtsform der Genossenschaft, ist in Deutschland problematisch.

Das Ende der Firma Deliveroo

„Im August 2019 verkündete der Essenslieferant Deliveroo sein Ende in Deutschland. Das Unternehmen hatte wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in der Kritik gestanden. Fahrer*innen hatten sich innerhalb des Unternehmens europaweit zur gewerkschaftlichen #Deliverunion-Kampagne zusammengeschlossen. Sie kritisieren, dass sie das Risiko ihrer Arbeit alleine tragen, während Deliveroo die Gewinne behält. Nach dem Ende verkündeten Berliner Fahrer*innen, dass sie weitermachen wollen, aber nicht als privatwirtschaftliches Plattform-Unternehmen, bei dem die Fahrer*innen angestellt oder zumindest beschäftigt sind, sondern als Kooperative, bei der alle Fahrer*innen gleichberechtigte Anteilseigner*innen sind. Sie gründeten Kolyma2,“[2] und damit wurde ein lokales Kollektiv gegründet.

Die Gründung einer Genossenschaft

Für derartige lokale Kollektive gibt es in Deutschland eine Rechtsform – die Genossenschaft. Sie muss in das Genossenschaftsregister eingetragen werden, somit fungiert sie als juristische Person und ist vom Wesen her eine Kapitalgesellschaft, die den Zusatz „eG“ im Namen führt. Nach §17 GenG ist sie Formkaufmann. Das bedeutet, dass die eG aufgrund der gewählten Gesellschaftsform automatisch Kaufmann im Sinne des Handelsrechts ist. Es sind mindestens drei Gründer erforderlich und es müssen die Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Vertreterversammlung bestimmt werden. Das Startkapital wird im Gesellschaftsvertrag der eingetragenen Genossenschaft vereinbart. Ein Mindestkapital ist nicht vorgesehen, trotzdem prüft der Genossenschaftsverband, ob die Eigenkapitalausstattung angemessen ist. Und genau an dieser Stelle beginnt die erste Schwierigkeit für junge, nicht-profitorientierte Gründerinnen und Gründer. Außerdem müssen Geschäftsanteile gezeichnet werden. Jedes Mitglied zeichnet einen oder mehrere Geschäftsanteile, deren Höhe in der Satzung festgelegt wird. Im Gegensatz zur Gründung einer Einzelunternehmung muss also schon Kapital vorhanden sein.

Die Haftung stellt ein weiteres Problem dar. Sie kann zwar im Gesellschaftsvertrag auf das Vermögen der Gesellschaft begrenzt werden, aber es besteht eine unbegrenzte Nachschusspflicht.

Die dritte Schwierigkeit ergibt sich aus dem Genossenschaftsverband, denn der regionale Genossenschaftsverband prüft die Erfolgsaussichten der eG. Bei der Eintragung der eG in das Genossenschaftsregister des Amtsgerichts muss die eG Mitglied im Prüfungsverband der Genossenschaften sein. Deshalb müssen die Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung bestellt werden. Die eingetragene Genossenschaft hat grundsätzlich die gleichen Pflichten wie eine Kapitalgesellschaft. Dazu gehört beispielsweise die Aufstellung eines Jahresabschlusses, der von einem Genossenschaftsverband überprüft wird. Außerdem muss die eG den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Bericht des Aufsichtsrats beim Genossenschaftsregister vorlegen und veröffentlichen.

Es ist in Deutschland relativ einfach, ein Einzelunternehmen oder eine GbR zu gründen. Es ist weder ein Mindestkapital vorgesehen, noch kann ein Verband die Gründung blockieren.[3] Genossenschaften lassen sich aber nicht so einfach gründen. Neben der Eigenkapitalausstattung wird zusätzlich die Gründung durch den Genossenschaftsverband erschwert. Das deutsche Genossenschaftssystem verhindert mit ihrer Lobbyarbeit, dass junge Menschen, relativ zwanglos, eine Genossenschaft gründen können. Bleibt zu hoffen, dass sich Ideen wie beispielsweise die Platform-Coop-Bewegung auch in Deutschland durchsetzen, um die Gründung von Genossenschaften zu vereinfachen.

Die Plattform-Genossenschaft

In immer mehr Städten wird, vor allem von jungen Menschen, der Versuch unternommen, solidarisch zu wirtschaften. Die profitorientierte Logik wird aufgegeben zugunsten von gleichberechtigten Genossenschaften. Plattformgenossenschaften sind Unternehmen, die eine Website, eine mobile App oder ein Protokoll verwenden, um Waren oder Dienstleistungen zu verkaufen. Sie stützen sich auf demokratische Entscheidungen und das gemeinsame Eigentum von Arbeitnehmern und Nutzern an der Plattform. Diese globale Bewegung wird immer populärer.

Wie bereits dargestellt, verhindert das deutsche Genossenschaftsrecht derartige Gründungen. In anderen Ländern entstehen zunehmend Platform-Coop-Bewegungen, in Deutschland steht diese Bewegung noch ganz am Anfang. Es steht zu befürchten, dass diese Art kollektiven Wirtschaftens scheitern wird. Einerseits steht das rigide deutsche Genossenschaftsrecht dagegen und andererseits hat die Sharing-Economy schon erfahren müssen, dass solche Bewegungen sehr schnell von mächtigen Investoren vereinnahmt werden. Diese Macht- und Geldkonzentration verhindert, dass alternative Wirtschaftsformen sich durchsetzen und neue gesellschaftliche Infrastrukturen entstehen können. Dabei ist es gerade in der heutigen Zeit des immensen Naturverbrauchs und des Klimawandels so wichtig, alternative Wirtschaftsformen zu entwickeln und dem Standardvokabular des Neoliberalismus, nämlich das Wort – alternativlos-, etwas entgegenzusetzen.

[1] Fast die gesamte Sharing-Economy ist von übermächtigen Plattformen, die mittlerweile einen Monopolstatus haben, gekapert worden.

[2] Nina Scholz, Ein anderes Arbeiten ist möglich, in: Der Freitag, Nr. 50, 12.12.2019, S. 6.

[3] Ausgenommen sind die berufsständischen Kammern.

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