„Krieg, Handel und Piraterie, /Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.“ (W.v.Goethe, Faust)
Ich habe viele Jahre geglaubt, dass sich komplexe Systeme nach bestimmten mathematischen Regeln verhalten und somit, unter normalen Bedingungen, immer wieder in ein Gleichgewicht kommen. Sehr häufig habe ich meinen Schülerinnen und Schülern im Fach Volkswirtschaftslehre erklärt, dass die Inflation in der heutigen Zeit problemlos ist, weil die Bekämpfung durch eine Zinserhöhung und einer entsprechenden Geldverknappung der Europäischen Zentralbank zu bewerkstelligen sei. Dies galt vielleicht früher. Heute muss ich sagen: Welch ein Trugschluss, denn wir stecken in einer Verschuldungskrise und eine, geldpolitische sinnvolle, Zinserhöhung könnte die Konjunktur abwürgen und so manchen Wirtschaftsteilnehmer in die Insolvenz treiben. Außerdem wird auch eine aktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) diese Preisentwicklung kaum stoppen können.
Ein kurzer Blick zurück
Auch wenn die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg wahrscheinlich noch länger andauern werden, lohnt es sich, einen Blick auf die Finanzkrise aus dem Jahre 2008 zu werfen, denn die ist ebenfalls noch nicht überwunden. Obwohl die EZB eigentlich nur der Geldpolitik verpflichtet ist, hielt sie Europa seit 2008 wirtschaftspolitisch durch die Niedrigzinspolitik im Rennen, während der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) keine zielführenden Reformen auf den Weg gebracht hat. Um die Deflationsgefahr zu mindern, wurden Staatsanleihen durch die EZB gekauft. Das Volumen dieser Ankäufe betrug in den letzten Jahren fast zwei Billionen Euro. Gleichzeitig wuchs die Staatsverschuldung der Euro-Staaten von 62 Prozent des BIP´s (2008) auf 82 Prozent (2020). Inzwischen ist sie bei 89 Prozent angekommen. Da die Leitzinsen bei annähernd null Prozent lagen, waren Zinssenkungen nicht möglich bzw. nicht kompatibel mit einer seriösen Geldpolitik. Der Gestaltungsspielraum der EZB war erschöpft, ein „zubuttern“ war nicht mehr möglich. Inzwischen ist aus der Deflationsgefahr eine handfeste Inflation geworden.
Gewinner und Verlierer
Die Inflationsrate betrug im April 2022 in Deutschland 7,4 Prozent. Dieser hohe Wert wurde in der Bundesrepublik Deutschland nur während der Ölkrisen Im Jahr 1973 und 1981 überschritten. Die überwiegende Mehrzahl der Volkswirte führen die aktuelle Geldentwertung auf die steigenden Energiekosten zurück. Viele Ökonomen stellen auch einen Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine her. Wieder andere sind der Auffassung, dass mit Beendigung dieses Krieges die „alten“ Zustände wieder hergestellt werden können. Ich bin der Auffassung, dass die Energiekrise schon vor dem Ukraine-Krieg bestand, weil Kohlenstoff (Öl, Gas, Kohle) nicht unbegrenzt zur Verfügung steht und wir diesen Stoff da lassen sollten, wo er ist – nämlich in der Erde. Mit zunehmender Kohlenstoffausbeute wird die Klimakatastrophe immer wahrscheinlicher. Deshalb werden die Energiepreise unweigerlich steigen müssen. Aus ökologischer Sicht ist dies kein Drama, weil sich so die Natur erholen kann. Viele Menschen haben es aber verlernt, mit Energie sparsam umzugehen. Der Energieverbrauch der Digitalisierung wird wenig thematisiert. Steigende Preise haben aber an dieser Stelle einen gewissen Lerneffekt.
Aus ökonomischer Sicht bedeutet eine Inflation weniger Lohn, weil sich die Bürgerinnen und Bürger immer weniger leisten können. Um den Kaufkraftverlust auszugleichen, werden Gehaltserhöhung gefordert. Ökonomen entwerfen das Schreckgespenst der Lohn-Preis-Spirale. Diese Bezeichnung ist sehr ideologisch geprägt. Sie besagt, dass die gestiegenen Löhne die Preissteigerung verursacht haben, und dies ist falsch. Die Gewerkschaften sind nicht für die Inflation verantwortlich. Korrekterweise müsste man von einer möglichen Preis-Lohn-Spirale sprechen, die dann in Gang käme, wenn aufgrund der gestiegenen (Energie-) Preise die Gewerkschaften entsprechende Lohnerhöhungen fordern würden. Dies wird sicherlich in den nächsten Tarifrunden verhandelt. Auch an dieser Stelle wird ein Schreckgespenst entworfen, obwohl in der Vergangenheit eine Vielzahl von Ökonomen vor den schädlichen Auswirkungen von niedrigen Löhnen für die Gesamtwirtschaft gewarnt haben. Niedrige Löhne führen logischerweise auch zu einer geringen Nachfrage.
Die Unternehmer warnen vor einer Lohn-Preis-Spirale und unterschlagen mit dieser Argumentation ihren Teil für die gesamtwirtschaftliche Verantwortung. Sie könnten das weitere Anheizen der Inflation auch unterbinden, indem sie die gestiegenen Preise nicht im vollen Umfang auf die Verbraucher überwälzen, sondern stattdessen auf einen Teil ihres Gewinns verzichten. Komischerweise wird dieser Teil der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung selten thematisiert. Außerdem sind die Benzin- und Dieselpreise wesentlich stärker gestiegen als die Rohölpreise. Somit haben sich bestimmte Konzerne aus der Mineralölbranche an der Inflation bereichert. Es wird Zeit, dass diese Profite aus Krieg und Inflation umverteilt werden. Hier könnte Deutschland von Italien lernen. Der italienische Präsident Mario Draghi hat ein Gesetz auf dem Weg gebracht, um diese Umverteilung zu organisieren. Die Unternehmen der Energiewirtschaft, die aus dem Krieg Gewinne abschöpfen, sollen neben der üblichen Steuer zusätzlich 15 Prozent mehr abgeben. Dieses Modell könnte man auch in Deutschland anwenden und die, gutverdienende, Rüstungsindustrie sollte auch mit einbezogen werden. Kurzum – wer in diesen Zeiten fette Gewinne abschöpft, sollte auch höhere Steuern zahlen müssen.