Unknappe Märkte

11. März 2020

„Es lohnt sich auch, einmal darüber nachzudenken, wie wenige der Vermögenden ihren Reichtum mit gerechten Mitteln erworben haben. Alles, was durch Betrug, Habgier, Unterdrückung und dergleichen erworben worden ist, kann nur mit den gleichen Methoden erhalten und vermehrt werden.“

Jonathan Swift (1667-1745)

Es ist ein Allgemeinplatz – seit Anbeginn der Menschheit sind alle Güter knapp. Diese Knappheit resultiert zum einen aus der Natur, die uns die Güter nicht in hinreichender Qualität zur Verfügung stellt, und zum anderen entsteht die Knappheit durch die Existenz anderer Menschen. Somit gibt es kein Gut, dass nicht knapp wäre. Aus dem Phänomen der Knappheit entstehen Wettbewerb und Diskriminierung[1], die durch institutionelle Regelungen beherrschbar werden. Der Ausdruck „freie Wirtschaft“ ist irreführend, weil jede Wirtschaftsgesellschaft zwangsläufig strukturiert und organisiert werden muss, deshalb sind institutionelle Regelungen unerlässlich und natürlich wird auch in einer sogenannten freien Marktwirtschaft Zwang ausgeübt, weil das Ausschlussprinzip elementarer Bestandteil einer Marktwirtschaft ist. Deshalb ist das o.g. Zitat von Jonathan Swift ein wenig blauäugig, weil gerade die Marktwirtschaft, als System von Eigentumsrechten und Verfügungsbeschränkungen, sehr gut geeignet ist, um derartiges Vermögen zu vermehren. Dies konnte Jonathan Swift zur damaligen Zeit natürlich nicht wissen.

Da die Menschheit scheinbar mehr haben möchte, als jemals Aussicht besteht zu erhalten, werden wir auch in den reichsten Gesellschaften im Zustand der Knappheit leben müssen. Selbst wenn vorübergehend zu viele Güter hergestellt werden, sind sie knapp, weil ihre Produktion andere Güter kosten, die knapp sind.

Bekämpft die Digitalisierung die Knappheit?

Die Unternehmen der Digitalisierung wollen uns nun weismachen, dass das Problem der Knappheit aufgehoben werden kann. Durch die Digitalisierung und die damit zusammenhängenden Wirtschaftsmethoden werden wir in eine Welt der „Unknappheit“ gleiten. Unsere neuen Rohstoffe werden Daten sein und unsere Märkte werden sich auf Internetplattformen darstellen. So einfach ist denn doch nicht, denn Daten können uns weder ernähren noch einkleiden.

Natürlich können materielle Güter nicht durch die Digitalisierung bereitgestellt werden, deshalb ist an dieser Stelle der Gutsbegriff sehr weit zu fassen. Die digitalen Güter sind im Wesentlichen durch Software abgebildet, die neben der Realisierung von Arbeitsprozessen auch Freizeitvergnügung und Selbstverwirklichung umfassen. Damit sind einerseits proprietäre  Software (Closed Source) und andererseits Dateiformate und Protokolle gemeint, wobei proprietäre Software weder frei noch quelloffen ist.

Digitale Güter sind mit Plattformen verankert. Beispielsweise stellt die Plattform Google das digitale Gut Google Maps, als Ersatz für die herkömmliche Straßenkarte, zur Verfügung. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Grenzkosten digitaler Güter gegen Null streben. Die Entwicklungskosten sind außerordentlich hoch, aber das Gesetz der Massenproduktion sorgt dafür, dass die Stückkosten sinken und gen Null tendieren. Deshalb können digitale Produkte zu einem außerordentlich niedrigen Preis angeboten werden. Je mehr diese Produkte konsumiert  werden, desto günstiger der Preis. Um die Kundenbindung zu verbessern, sind viele Unternehmen dazu übergegangen, den Verkaufspreis auf null zu setzen. Viele Kunden meinen nun fälschlicherweise, dass diese Unternehmen etwas verschenken. Die Verbraucher fühlen sich hingegen aber auch nicht geschädigt und die digitale Unternehmung hat seine Angebote „aus den Werbeeinnahmen quersubventioniert“ (Philipp Staab). Auch diese scheinbar kostenlosen Produkte haben ihren Preis und sind keineswegs „unknapp“. Volkswirtschaftlich betrachtet kosten sie die Produktion anderer Güter und die betriebswirtschaftliche Sichtweise offenbart, dass der Konsument den Preis in Form einer „Werbeflut“ und einer Freigabe persönlicher Daten zahlen muss. Die wunderbare Welt des freien „Sharing“ hat sich als große Illusion entpuppt.

Aber „den digitalen Kapitalismus darf man nicht vom Problem der Knappheit denken, sondern aus einer Logik der „Unknappheit“. Seine Leitunternehmen sind keine rationalen Produzentenmonopole, sondern proprietäre Märkte.“[2] Diese Märkte sind keine neutralen und der Gesellschaft dienenden Allgemeinplätze, wie sie in der traditionellen Volkswirtschaftslehre gelehrt werden, sondern sie bilden, aufgrund der technologischen Basis, selber Märkte. Diese Märkte befinden sich im Privatbesitz der Eigentümer Google, facebook und Co. Somit haben diese Unternehmen die volle Zugangs- und Preiskontrolle. Diese Kontrollen sind nicht kompatibel mit einem marktwirtschaftlichen System, und ich habe diese Art von Überwachung aktuell im Blog – Tom Sadowski, App Store Confidential –  beschrieben. Es gibt zwar in einer Marktwirtschaft auch Marktzutrittsbeschränkungen[3], diese werden aber grosso modo nicht von Privatunternehmen gesetzt, sondern von der Zivilgesellschaft bestimmt, um die Wohlfahrt, und nicht den Gewinn, zu steigern. Auch die Gewinne der GAFA-Unternehmen[4] entstehen nicht aus einer wertschaffenden Produktion, sondern als „Renten aus Marktbesitz“.[5] Tendenziell werden diese Renten, in der ökonomischen Wahrnehmung, zu leistungslosen Einkommen. Diese Märkte sind Überflussmärkte, die monopolistisch verwaltet werden und uns suggerieren, dass alles im Überfluss vorhanden ist. Natürlich sind Daten und Software „unknapp“, die Knappheit materieller Güter kann die Digitalisierung aber nicht ändern. Die Digitalisierung ist nicht wertschaffend, sondern „wertextrahierend“ (Mariana Mazzucato)[6] und das Profitmodell dieser „Marktbesitzer“[7] basiert auf Macht und Kontrolle.

Resümee´

Die Behauptung, dass sich die Digitalisierung nicht aufhalten lasse, ist keineswegs eine analytische Aussage, sondern lediglich ein Werturteil. Wir können selbstverständlich die Digitalisierung so kanalisieren, dass sie sinnvoll und vernünftig eingesetzt wird, trotzdem wird die Digitalisierung die Knappheit nicht überwinden können. „Es wird nie ganz reichen für alle, ganz gleich, wieviel Überfluss vorhanden ist.“ (Heiner Müller) Das kapitalistische System ist nicht auf die Befriedigung von Bedürfnissen ausgelegt, sondern auf die Erzielung von Mehrwert, der durch die Ausbeutung der Natur geschaffen wird; daran wird der digitale Kapitalismus auch nichts ändern. Aber der digitale Kapitalismus wird die Akkumulationslogik des gesellschaftlichen und sozialen Reichtums tiefgreifend und konsequent, zugunsten der ungebändigten Kapitalakkumulationslogik, verändern. Eine wichtige Ausprägung der Sozialen Marktwirtschaft ist die Nichtduldung von Monopolen. Wenn die Zerschlagung von Produzentenmonopolen in der Vergangenheit schon schlecht funktionierte, wird es sehr schwer die proprietären Märkte des Internets zu zerschlagen. Trotzdem ist die Politik aufgefordert, diese Märkte wieder unter die demokratische Kontrolle zu bringen. Eine zielführende Lösung könnte die Europäische Union anbieten, wenn sie sich entschlösse, öffentliche und von der Zivilgesellschaft kontrollierte, Plattformen zu schaffen um die eigene normative Kraft zu entfalten. Außerdem ließe sich das Kartellrecht auch noch schärfen.

[1] Der Begriff Diskriminierung ist an dieser Stelle wertfrei zu verstehen – es geht in diesem Zusammenhang nur um die Güterzuteilung, die mit dem „Diskriminierungsinstrument“ Preis erfolgt.

[2] Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Berlin, 2019.

[3] Beispielsweise wird der Zutritt zu Alkohol-, Zigaretten- und Pornografiemärkten erst ab 18 Jahren gestattet.

[4] Die sogenannten GAFA-Unternehmen sind Google, Amazon, Facebook und Apple. Wobei Apple eine Sonderstellung einnimmt, weil dieser Konzern tatsächlich materielle Güter produziert.

[5] Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Berlin, 2019, S. 47.

[6] Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Berlin, 2019, S. 48.

[7] Die „Marktbesitzer“ sind die sogenannten GAFA-Unternehmen.

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