Die Stoffwechselkrankheit der Wirtschaft

29. November 2020

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

Albert Einstein

Auch wenn die traditionelle Volkswirtschaftslehre es anders interpretiert – Wirtschaften ist grundsätzlich ein Prozess und kein Kreislauf. Dieser Prozess basiert auf einem Stoffwechsel mit der Natur. Durch den Wirtschaftsprozess wird die Natur transformiert und die Entropie des Systems steigt irreversibel an. Die thermodynamischen Gesetze der Physik lassen sich also auf die Wirtschaft übertragen, denn im Wirtschafts- und Produktionsprozess werden geordnete Materie und Energie unwiderruflich verbraucht und in ungeordnete Materie und Energie umgewandelt. Einmal genutzte Energie kann kein zweites Mal in Arbeit umgewandelt werden. Dies gilt auch für den produzierten Stoff, der sich ebenfalls nicht mehr rückverwandeln lässt. Natürlich gibt es Ausnahmen. Bestimmte, wenige Stoffe lassen sich mit einem hohen Energieaufwand recyceln.

Die thermodynamischen Gesetze

Diese Sachverhalte scheinen an allen Orten der Welt und zu allen Zeiten gültig zu sein. Rudolf Julius Emanuel Clausius (1822–1888) gilt als Entdecker der Entropie und des Hauptsatzes der Thermodynamik. Der Energieerhaltungssatz, das erste thermodynamische Gesetz, besagt, dass Energie nur umgewandelt werden kann. Insofern kann Energie weder geschaffen oder verbraucht noch vernichtet werden. Jeder Produktionsprozess wandelt die Energie um. Die Energie bleibt weltweit konstant, lediglich werden die geordnete Materie und die Energie durch den Produktionsprozess umgewandelt in ungeordnete Materie und Energie. Dies führt uns zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die Energie wird von einer Form in eine andere Form umgewandelt. Ein Großteil der Energie dissipiert, sie wird in Wärme umgewandelt. Alle vom Menschen freigesetzte und genutzte Energie wird im Laufe der Zeit in Wärme transformiert. Diese Wärme wird gleichmäßig verteilt, der Mensch kann sie nicht mehr nutzen. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird auch Entropiesatz genannt. Die Entropie nimmt innerhalb eines geschlossenen Systems immer mehr zu, die Entropie strebt einem Maximum zu.

Dem ökonomischen System muss also immer wieder Energie von außen zugeführt werden und Entropie wird in externen Senken (Müllhalden, Atmosphäre) abgeführt. Die kapitalistische Produktionsweise ist deshalb auf „externe Welten“ der Natur angewiesen (Elmar Altvater). Die traditionelle Volkswirtschaftslehre unterstellt, dass die Externalisierung eine Fehlfunktion des Marktes sei. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die kapitalistische Produktionsweise kann ohne die „externen Welten“ nicht funktionieren, weil sie eine notwendige Bedingung für einen „intakten Markt“ darstellt. Damit „kauft“ man sich bestenfalls Zeit beziehungsweise verschiebt die Zeit, denn alles was heute externalisiert wird, kommt irgendwann in der Zukunft zurück. Der Markt ist eben nicht per Definition effizient und rational. In der Kostenrechnung der Unternehmen werden Externalitäten nicht berücksichtigt, denn die Internalisierung externer Effekte erfolgt in der Kostenrechnung der Privaten.

Da die Erde eine endliche Oberfläche hat, sind die Vorräte und auch die externen Welten logischerweise auch endlich. „Was nützt es, die Kosten der Erderwärmung zu kalkulieren oder auszurechnen, welche monetären Auswirkungen der Verlust der Artenvielfalt hat, wenn dadurch die Erderwärmung oder der Artentod nicht aufgehalten werden? Externe Effekte haben wie die ordinäre Ware auch einen doppelten Charakter. Auch wenn sie außermarktmäßige Effekte sind und daher keinen Marktpreis haben, üben sie auf das Informationssystem des Marktes und zugleich auch auf Stoff-, Energie- und Informationsflüsse Wirkungen aus, die irreversibel sind.“[1] Insofern werden auch die vielgepriesenen CO2-Zertifikate [2] die Klimakatastrophe nicht aufhalten können.

Fazit

Aus ökologischen Erwägungen heraus ist die durchgängige Betrachtung von Quellen und Senken in der gesamten Ökonomie anzuwenden. Insbesondere ist der Kohlenstoffkreislauf zu beachten. Wir benötigen eine Ökonomie, die das ökologische Gleichgewicht und den stofflichen Kreislauf konsequent in den Mittelpunkt stellt, denn nach den Gesetzen der Thermodynamik wird alle vom Menschen freigesetzte und genutzte Energie in Wärme verwandelt. Eine ständig wachsende Wirtschaft wandelt unaufhörlich immer mehr Energie und Materie um, deshalb können wir den verschwenderischen Umgang  mit den Ressourcen nicht mehr ausblenden. Diese Verschwendung liegt aber nicht in der Natur des Menschen, sie wird auch nicht vom Menschen vorangetrieben, sondern sie ist mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem fest verankert.

Diese Erkenntnisse verdanken wir dem Wissenschaftler Nicholas Georgescu-Roegen (1909–1994), der den Versuch unternahm, die Thermodynamischen Gesetze der Physik auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu übertragen. Er forschte bis zu seinem Tod an der Vanderbilt-Universität in Nashville (USA). Georgescu-Roegen schrieb bereits 1971: «Jeder heute neu gebaute Cadillac verkürzt die Lebenschancen künftiger Generationen.«

 

[1] Elmar Altvater, Engels neu entdecken, Hamburg, 2015, S. 134/135

[2] Wie ich in einigen Blogs bereits dargestellt habe, bieten die Umverteilungsmöglichkeiten des Steuerrechts zielführende Lösungen.

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