Die Vermögensteuer

12. Februar 2022

„Reichtum liebt es, anonym zu bleiben.“

(Michael Hartmann, Darmstädter Elitenforscher)

 Schon wieder habe ich einen Artikel zur Wiedereinführung der Vermögensteuer gelesen. Schon wieder wurde die Vermögensteuer als Vermögenssteuer bezeichnet. Fachsprachlich ist das falsch, es muss heißen Vermögensteuer. Kann aus solch einem kleinen Lapsus geschlossen werden, dass der Autor oder die Autorin über unzureichende steuerliche Kenntnisse verfügt?

Der französische Ökonomieprofessor Thomas Piketty hat es auf den Punkt gebracht. Seine Grundthese lautet in etwa: Solange Einkommen aus Vermögen schneller wächst als Einkommen aus Arbeit, muss die Ungleichheit zwangsläufig zunehmen. Diese Situation ist seit langer Zeit charakteristisch für die westeuropäischen Länder. Sollte deshalb die Vermögensteuer wieder eingeführt werden?

Um es vorwegzunehmen – ich bin mittlerweile gegen die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, obwohl ich der Auffassung bin, dass Reichtum in Deutschland wesentlich höher besteuert werden muss. Ist das nun eine widersprüchliche Aussage?

Das Bundesverfassungsgericht

Im Bereich der gesamten Substanzbesteuerung hat es in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gewaltige Veränderungen gegeben. Im Jahre 1995 sind zwei grundlegende Beschlüsse[1] des Bundesverfassungsgerichts hervorzuheben. Das Bundesverfassungsgericht erklärte damals die bisherige Bewertung von Grundstücken mit den sog. „Einheitswerten“ für verfassungswidrig. Diese Werte beziehen sich auf die Wertverhältnisse vom 01.01.1964. Das Bundesverfassungsgericht begründete ihr Urteil damit, dass die exorbitanten Preissteigerungen im Immobilienbereich durch die Einheitswerte nicht mehr korrekt wiedergegeben werden. Damals machten die Einheitswerte noch nicht einmal 10 Prozent der Verkehrswerte aus. [2] Wirtschaftsgüter, wie beispielsweise Wertpapiere, wurden mit ihren Verkehrswerten angesetzt. Diese führte zu extremen Verzerrungen zwischen den Wertansätzen.

Ein Beispiel: Ein Steuerpflichtiger besitzt eine Immobilie. Als Wertansatz für die Besteuerung wurde der Einheitswert, der die Wertverhältnisse von 1964 reflektiert, herangezogen. Ein anderer Steuerpflichtiger beteiligt sich an einem Immobilienfonds und ist somit ebenfalls (indirekt) Grundbesitzeigentümer. Dieser Steuerpflichtige muss, nach damaliger Rechtsprechung, diese Wertpapiere zum Verkehrswert besteuern. Es ist sofort einsichtig, dass hier keine Gleichbehandlung stattfindet. Da der Gesetzgeber diese Ungleichheit nicht beseitigt hat, darf das bestehende Vermögensteuergesetz nicht mehr zur Anwendung kommen.

Das Vermögen

Neben den Immobilienwerten ist es steuertechnisch sehr problematisch den Wert des Vermögens zu taxieren. Im Steuerrecht gibt es sehr viele Wertansätze (Einheitswert, gemeiner Wert, Anschaffungs- und Herstellungswert, Verkehrswert usw. usf.) die nun den einzelnen Vermögensgegenständen (Schmuck, Immobilien, Gemälde, Wertpapiere, Oldtimer usw. usf.) zuzuordnen sind. Dies erfordert verwaltungstechnisch einen hohen Erfassungsaufwand. Außerdem ist dann noch zu unterscheiden, ob es sich um Betriebs- oder Privatvermögen handelt. Um den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 und den gesamten Bewertungsproblemen des Vermögens zu genügen, ist es aus heutiger Sicht äußerst problematisch, ein sinnvolles Vermögensteuergesetz zu beschließen. Außerdem wird der politische Widerstand sehr groß sein. Selbst in der SPD gab es in den neunziger Jahren eine kontroverse Diskussion zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine über die Vermögensteuer, die als Landessteuer konzipiert ist. Gerhard Schröder riet damals Oskar Lafontaine augenzwinkernd, er könne ja die Vermögensteuer für das Saarland einführen und schauen, wie sich dieser „Wettbewerbsnachteil“ auf sein Bundesland auswirken würde.

Die Reichen 

Sowohl Reichtum als auch Armut haben in Deutschland stark zugenommen, mit der Konsequenz, dass die soziale Spaltung in Deutschland sich stärker ausprägt. Der Länderbericht der EU-Kommission macht diesen Sachverhalt deutlich: »Im Zeitraum 2008–2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die bedarfsabhängigen Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind.«[3]

Reiche wollen in-der-Deckung-bleiben und nicht als Reiche, sondern eher als Vermögende, bezeichnet werden. Die Autoren Daniel Baumann und Stephan Hebel definieren: „Ver Ι mö Ι gen Ι de, der/die: verharmlosender Begriff, um Reiche in Watte zu packen. Schließlich mögen es viele von ihnen nicht, reich genannt zu werden.“[4] Wo beginnt nun Reichtum? Im Gegensatz zur Armut, gibt es beim Reichtum keine offizielle Definition. Arme Menschen werden häufig als sozial schwach bezeichnet. Dies stimmt natürlich nicht. Arme Menschen sind vielleicht ökonomisch schwach. Gerade reiche Menschen sind viel häufiger sozial schwach, weil sie oftmals ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf andere Menschen betreiben. Weil es viele Datenquellen gibt, ist es der Forschung möglich, Armut zu quantifizieren. Über die Reichen im Lande weiß man hingegen wenig. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist Beleg dafür. Verlässliche Statistiken über den tatsächlichen Reichtum in der Bundesrepublik Deutschland sind kaum zu bekommen, deshalb muss man sich auf Schätzungen verlassen. Die Reichen haben logischerweise ein Interesse daran, solche Statistiken zu verhindern, um Verteilungs- und Gerechtigkeitsdiskussionen nicht führen zu müssen. Die bundesweite Einführung der Vermögensteuer könnte diesen Mangel heilen. Selbst wenn man sich auf den geringsten Steuersatz von null Prozent einigen, bzw. den Steuersatz so bemessen würde, dass die Verwaltungskosten gedeckt werden, hätte man einen Vorteil, nämlich eine halbwegs verlässliche Statistik über den Reichtum in Deutschland.

Resümee

Eine Einführung der Vermögensteuer aus statistischen Gründen macht aber keinen Sinn, da gibt es andere Instrumente. Beispielsweise könnte man ein internationales Finanzregister einrichten, um den Reichtum transparent zu machen. Dies könnte bei der Sanktionierung von Oligarchen und Diktatoren hilfreich sein. Ebenfalls macht das Mantra „keine Steuererhöhung“ keinen Sinn, weil damit alle Fragen nach einer gerechten Lastenverteilung außer Acht gelassen werden. Steuern müssen so beschaffen sein, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht verletzt wird. Der Gesetzgeber geht von einem typisierten Verlauf der Nutzenfunktion aus, die unterstellt, dass mit steigendem Einkommen der Grenznutzen sinkt. Die Konsequenz ist ein progressiver Steuertarif. Und genau an dieser Stelle ist anzusetzen. Der Reichensteuertarif gemäß § 32a Abs. 1 Nr. 5 EStG muss wesentlich stärker angehoben werden. Denkbar ist eine Erhöhung von derzeit 45 Prozent auf beispielsweise 55 Prozent.

Fraglich ist, ob die Kapitalertragsteuer gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verstößt, weil diese Steuer auf leistungsloses Einkommen erhoben wird. Umso unverständlicher ist es, dass der Steuersatz gem. § 43 a EStG nur 25 Prozent beträgt. Wenn der Finanzminister diesen Steuersatz nicht erhöht bzw. nicht erhöhen will, muss zwingend eine Finanztransaktionsteuer  eingeführt werden. Da dieses Steuer international verhandelt wird, sollte sich Christian Lindner für einen möglichst hohen Steuersatz einsetzen. Na ja, man wird doch auch einmal träumen dürfen. Hoffentlich ist unserem Finanzminister bewusst, dass unter dem Einfluss der reichsten Länder,  das gegenwärtige Regime des freien Kapitalverkehrs in den 1980 er Jahren entstanden ist. Dieses System fördert die Steuerhinterziehung durch Millionäre und multinationale Konzerne und hindert ärmere Länder daran, ein gerechtes Steuersystem und einen entsprechenden Sozialstaat aufzubauen. Deshalb ist eine internationale Finanztransaktionssteuer zwingend erforderlich.

Schlussendlich ist neben der Einkommensteuer und der Kapitalertragsteuer auch die Erbschaftsteuer zu erhöhen um eine (nicht eingeführte) Vermögensteuer zu kompensieren. Auch könnte die Grunderwerbsteuer für institutionelle Investoren angehoben werden, bei gleichzeitiger Privilegierung des Kaufs der ersten Immobilie, die für den Eigenbedarf genutzt wird.

[1] BVerfG-Beschluss vom 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BStBl 1995 II, S. 655 und BVerfG-Beschluss vom 22.06.1995, 2 BvR 552/91, BStBl 1995 II. S. 671

[2] Aus heutiger Sicht hat sich die Situation weiter dramatisiert.

[3] Europäische Kommission, Länderbericht Deutschland 2017 mit eingehender Überprüfung der Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, Brüssel, 22.2.2017 – Staff Working Document (2017) 71 final, S. 7, in: Christoph Butterwegge, Große Koalition: Sozialpolitik in Trippelschritten, Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 8/2017, S. 21

[4] Daniel Baumann / Stephan Hebel, Gute-Macht-Geschichten, Frankfurt am Main, 2016, 2. Auflage, S. 195

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