Das Gegenteil von Politik ist Schicksal

27. März 2020

„Die Bundesliga hat in einer Traumwelt gelebt.“

(Martin Kind, Hannover 96)

Welch eine Erkenntnis. Ich gehe einen Schritt weiter und behaupte, die auf Wachstum gebürstete Wirtschaft hat in einer Traumwelt gelebt. Das maßlose Wachstum durchdringt die gesamte Gesellschaft und nicht nur der maßlose Fußball stöhnt über die gegenwärtige Lage, sondern auch die Ferien-, Feier- und Spaßindustrie. Wir haben es uns in der Vergangenheit erlaubt, die Tugenden Bescheidenheit, Demut und Naturverbundenheit mit Füßen zu treten,  jetzt erleben wir eine Lehrstunde der Natur.

Vor 10 Tagen habe ich den Versuch unternommen, das Virus mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Viele Menschen haben an dieser Stelle keinen Zusammenhang  gesehen, also wurden meine Ansichten belächelt.  Da ich mich, mit Unterbrechungen, seit 1973 mit dem Wachstum in der Ökonomie und Ökologie beschäftige, habe ich mittlerweile das Gefühl ein „Zeitzeuge“ zu sein. Na ja, ist ein wenig zu dick aufgetragen. Trotzdem habe ich versucht, den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Artensterben und Gesundheit (z.B. Ausbreitung der Viren) herzustellen. Vor circa 30 Jahren wurde man darauf aufmerksam, dass sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre sehr stark beschleunigt. Damals warnten die Wissenschaftler vor dieser hohen Konzentration und sie sahen einen Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung, Artensterben und Gesundheit (z.B. Ausbreitung der Viren: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00011326/04-Beckmann.pdf

Diese Zusammenhänge wurden damals noch diskutiert. Dann verschwand auf den zukünftigen Klimakonferenzen das Thema Gesundheit, Virenausbreitung und Artensterben und es blieb nur noch der Klimawandel übrig. Dieser wurde zur Normalität, dass nennt man shifting baslines.  Glücklicherweise wurde mittlerweile das Artensterben wieder auf die Agenda gesetzt.

Auch der heutige Blog ist aus alten Veröffentlichung „zusammengeklickt“ und beschäftigt sich mit Aspekten der Veränderung.

 

„Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.“

Giuseeppe Tomasi di Lampendusa aus dem „Gattopardo“

In Gedenken an Elmar Altvater, der im Mai 2018 gestorben ist.

 

Das Virus kam in die Welt

 Ende Dezember 2019 ist diese Erkrankung erstmals in der Millionenstadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei entdeckt worden. Ab Januar 2020 breitete sich das Virus in China aus und die Epidemie erfasste daraufhin die Welt. Der Auslöser war vermutlich ein Wildtier, dass in China verspeist wurde. (Al Gore vermutete schon vor 20 Jahren, dass die globale Erwärmung Fledermaus- und Rattenpopulationen verändern wird. Dieser Sachverhalt entzieht sich aber meiner Beurteilung.) Bedingt durch die wachsende Globalisierung konnte sich das Virus schnell in der westlichen Welt verbreiten. Nun steht die Menschheit vor nie dagewesenen Herausforderungen.

Warum Naturwissenschaften wichtig sind

 Ich habe in der Vergangenheit immer wieder die Wichtigkeit der Naturwissenschaften betont. Wir spüren, dass nur die verwertungsfreie und ergebnisoffene Grundlagenforschung die gegenwärtigen Probleme lösen kann. Virologen erfahren glücklicherweise momentan viel Zuspruch und Anerkennung. Recht so. Wir haben die Grundlagenforschung in der Vergangenheit vernachlässigt. Technik und angewandte Forschung standen im Mittelpunkt der Betrachtung, weil der ökonomische Verwertungsimperativ befriedigt werden musste. Die Naturwissenschaften wurden zunehmend ökonomisch instrumentalisiert, die Freiheit von Forschung und Lehre wurde teilweise eingeschränkt und Forscher waren von Drittmitteln  abhängig. Dies muss zukünftig kritisch hinterfragt und geändert werden. Inwieweit das in einer Ökonomie, die ständig neue „Geschäftsideen“ benötigt, möglich ist, wird die Zukunft zeigen.

Der große Fehler: Washingtoner Consensus

Der Washingtoner Consensus  bescherte uns die neoliberale Wende und die Märkte wurden vergöttert.[1] Die Naturwissenschaften hatten sich diesen Märkten anzupassen und in der Ökonomie gab es neue Wohlstandsschöpfer bzw. Wohlstandsabschöpfer. Der Begriff „Rent-Seeker“ wurde populär. Die Ökonomen gaben sukzessive ihre kritische Haltung auf und „Rent-Seeking“ wurde zur Normalität. „Eine landläufige Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus ist die, dass er „Rent-Seeker“ reichlicher belohnt als echte „Wohlstandsschöpfer“. „Rent-Seeking“ bezieht sich hier auf das  Bemühen, Einkommen nicht durch die Produktion von etwas Neuem zu generieren, sondern dadurch, dass man mehr als den „wettbewerbsfähigen Preis“ (Konkurrenzpreis) verlangt und die Konkurrenz dadurch aussticht, dass man sich bestimmte Vorteile (wie etwa Billigarbeit) zunutze macht – oder, wie etwa im Fall einer Branche mit großen Unternehmen, dass man andere Unternehmen am Eintritt in die Branche zu hindern vermag und sich so den Vorteil eines Monopols erhält. Rent-Seeking wird aber gern auch anders beschrieben: Die „Nehmer“ stechen die „Macher“ aus und der „Raubtierkapitalismus“ obsiegt über den „produktiven Kapitalismus“.[2]

Die Soziale Marktwirtschaft hat sich tendenziell aufgelöst und die GAFA-Unternehmen (Google, Amazon Facebook und Apple) dominieren nicht die Märkte, sie sind die Märkte. Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft würden sich im Grab umdrehen. Aber die Ökonomie legte noch einen drauf und kehrten das Denken um. „So kamen einige Ökonomen zu der Überzeugung, der Wert von Dingen werde durch den Preis auf dem „Markt“ bestimmt, mit anderen Worten, was der Verbraucher dafür zu zahlen bereit sei. Damit war der Wert plötzlich Ansichtssache.“[3] Die einst „stolze“ Werttheorie der Volkswirtschaftslehre führt ein Schattendasein und die neoliberale Ökonomie reduzierte die Werte auf Angebot und Nachfrage. Durch die allgegenwärtige Fokussierung auf den Markt, haben diese Ökonomen es verstanden, die gesamte Gesellschaft zu infizieren und Werte wurden mit Preisen gleichgesetzt. Dies ist aber nicht nur ein Problem der ökonomischen Disziplinen, auch die Theologie, Philosophie, Soziologie und viele andere Fachrichtungen können ein Lied davon singen.

Die Vergötterung der Märkte

(Die nachfolgenden Ausführungen stammen aus meinem gleichnamigen Buch.)

Die neoliberale Ökonomie ist der Auffassung, dass der Markt die Leistungen und Fähigkeiten von Individuen korrekt und gerecht beurteilen kann. Das daraus resultierende Markteinkommen wird als moralisch gerecht angesehen, nach dem Motto: Wer viel verdient, hat auch viel geleistet und wer wenig verdient, hat auch wenig geleistet und demzufolge auch nicht mehr verdient. Die Realität stellt sich aber häufig gegenteilig dar. Pflegeberufe leisten viel für die Allgemeinheit und verdienen wenig, während Profifußballer wenig für die Allgemeinheit leisten aber sehr viel verdienen. Stimmt das gesellschaftliche Werteverständnis noch, wenn die wöchentliche »Arbeit « eines Profifußballers genauso viel wert ist wie die Arbeit eines Altenpflegers in fünf Jahren?

Häufig wird behauptet: Wenn sich alle anstrengen, sich bilden und etwas leisten, wird es keine Armut, kein Elend und auch keine Arbeitslosigkeit geben. Dies ist aber nicht möglich, da Konkurrenzsituationen auf dem freien Arbeitsmarkt immer dazu führen, dass es Gewinner und Verlierer gibt und zwangsläufig Armut reproduziert wird. Alle können es eben nicht schaffen. Die jahrelang umworbene neoliberale Leistungsgesellschaft entlarvt sich an dieser Stelle selbst.

[…] Die wettbewerbsorientierte neoliberale Ökonomie vergrößerte die Einkommensunterschiede und Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser mussten sich dem Wettbewerb stellen. Im Gegenzug wurden dadurch Institutionen und Organisationen wie beispielsweise die Kirchen und die Gewerkschaften geschwächt. Die Presse, die öffentlich, rechtlichen Rundfunkanstalten, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Schulen, die Universitäten, die Krankenhäuser und viele andere Institutionen sollen die Gesellschaft gestalten und nicht im Wettbewerb stehen. Es ist einer der größten Irrtümer der neoliberalen Ökonomie, zu glauben, dass der Markt eine aktive Gestaltung der Gesellschaft ersetzen kann.

Der zunehmende gesellschaftliche Wettbewerb verdrängt die Werte der Kooperation und der Solidarität. Das politische Gemeinwesen wird substanziell ausgehöhlt und gesellschaftliche Strukturen, die beispielsweise auch durch eine freie Presse oder durch die öffentlich, rechtlichen Rundfunkanstalten repräsentiert werden, stehen zunehmend zur Disposition.

Das Gegenteil von Politik ist Schicksal

[….] Wir sind aber keine Schicksalsgemeinschaft. Was wäre denn so schlimm daran, wenn wir den Wettbewerb zwischen den Unternehmen belassen und für die Gesellschaft, insbesondere für Institutionen wie beispielsweise Schulen und Krankenhäuser wieder die gesellschaftsbildenden Werte, nämlich Gleichheit, Solidarität und Empathie einfordern, gleichzeitig den Wettbewerb in der Gesellschaft reduzieren, die Finanzmärkte regulieren und eine tiefgreifende ökologische Steuerreform einfordern. (Endes des Zitats aus meinem Buch)

Fraglich ist, ob hier ein Umdenken stattfindet, oder ob wir weiter in einer Traumwelt leben wollen. 

[1] Diesen Sachverhalt habe ich in meinem Buch dargestellt.

[2] Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt?, Frankfurt/New York, 2018, S. 23.

[3] Mariana Mazzucato, Wie kommt der Wert in die Welt?, Frankfurt/New York, 2018, S. 27.

 

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