„Wir müssen den Dreck nicht mehr selbst schlucken, unseren Dreck, das können wir uns leisten, schlucken jetzt andere. Unsere Lebenserwartung ist deshalb höher, und wenn man wohlhabend ist, ist sie abermals um einiges höher.“ (Ingo Schulze, Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte…)
 Das Credo der Konsumgesellschaft: alles, immer und überall.Â
Schon der Philosoph John Locke meinte, dass Konsumgüter „gute Dinge“ wären und unzweifelhaft „nutzbringend“ für den Menschen sind. Außerdem sind sie „gemeinhin von so geringer Dauerhaftigkeit, daß sie ganz von selbst verderben und umkommen, wenn sie nicht durch Verbrauch verzehrt werden“ (John Locke, op. Cit., Section 46). Konsumgüter besitzen den geringsten Grad der Beständigkeit und sind schon wenige Augenblicke ihrer Fertigstellung verschwunden. „Nach kurzem Aufenthalt in der Welt kehren sie in den Schoß der Natur zurück, die sie hervorgebracht hat, (…)“(Hannah Arendt).[1]
John Locke und Hannah Arendt konnten damals noch nicht wissen, dass wir „die natürlichsten aller Dinge“ (Hannah Arendt) in Plastik verpacken und das die meisten Konsumgüter mittlerweile aus Plastik bestehen. Wie wir mit den Dingen der Welt umgehen, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Dinge durch Arbeit erstellt oder durch einen industriellen Prozess hergestellt wurden. Hannah Arendt differenziert sehr genau zwischen Arbeiten und Herstellen. Diese Unterscheidung wird in der herrschenden Ökonomie nicht mehr wahrgenommen, weil die Massenproduktion die erzeugten Güter automatisch zu kurzlebigen Konsumgütern macht. Hierbei spielt die ökonomische Abgrenzung zwischen Gebrauchs- und Verbrauchsgüter nur noch eine untergeordnete Rolle, weil die Gebrauchsgüter ebenfalls schnell auf dem Müll landen. Die meisten Güter werden ohnehin industriell hergestellt. „Die Endlosigkeit des maschinell betriebenen Arbeitsprozesses kann durch nichts anderes garantiert werden als durch das immer wiederkehrende Konsumbedürfnis, und das heißt, daß die von ihm erzeugten Produkte ihren Gebrauchscharakter verlieren und zu Konsumgütern werden müssen.“[2] Diese Konsumgüter werden somit nicht respektiert und der schnelle Verbrauch oder Verzehr deutet die Nutzlosigkeit der „veralteten“ Güter an. Nach Aussagen von Greenpeace[3] werden über 40 Prozent der hergestellten Kleidungsstücke nie oder fast nie getragen. Damit ist die Fast Fashion Modebranche der Klimakiller schlechthin. Dies trifft auch auf viele andere Konsumgüter zu; besonders tragisch ist der respektlose Umgang mit Lebensmitteln, die im Überfluss produziert werden, um die Stückkosten (Gesetz der Massenproduktion) zu senken.
Herstellen
 In Lateinamerika und anderswo werden die Rohstoffe, die für eine „grüne“ Energiewende nötig sind, mit der gleichen Zerstörkraft abgebaut wie zuvor die fossilen Rohstoffe. Die natürlichen Lebensgrundlagen werden vernichtet und es spielt keine Rolle, ob es sich um „grüne“ Rohstoffe, um Ressourcen für die Schwerindustrie oder um „sauberen“ Konsum handelt. Die Umweltzerstörung ist immens, weil der globale Norden die Konsumspirale anheizen muss. Ein Großteil der hergestellten Güter wird kaum oder unzureichend genutzt und nach kurzer Zeit weggeschmissen.
 Entsorgung
Die beiden US-amerikanischen Soziologen, Andrew Jorgenson und James Rice, haben empirisch herausgefunden, dass die Länder des globalen Nordens einen großen ökologischen Fußabdruck aufweisen, weil der Flächenverbrauch und der Konsum hoch sind. Erstaunlicherweise ist aber die Umweltbelastung niedrig. In den Ländern des globalen Südens stellt es sich genau umgekehrt dar. Hier ist das Konsumniveau niedrig und die Umweltverschmutzung hoch. Dieses „Fußabdruck/Umweltzerstörungs-Paradoxon erklären Jorgenson und Rice damit, „dass die reichen Industriegesellschaften in der Lage sind, die Voraussetzungen und Folgen ihres überbordenden Konsums systematisch in andere Weltregionen, nämlich an die Gesellschaften der ärmeren, Rohstoff exportierenden Länder, auszulagern.“[4] Die Externalitätsgesellschaft lässt grüßen. Die Länder des globalen Nordens können somit schöne Umwelt- und Sozialbilanzen vorlegen und den Ländern des globalen Südens vorwerfen, dass sie nichts vom Abfallmanagement verstehen. Umgekehrt wird ein Schuh ´draus, denn die nördlichen Länder müssen endlich ihren Müll selbst entsorgen, sonst wird kein Umdenken und keine Drosslung des Konsumniveaus stattfinden.
In den 1950-iger Jahren wurden weltweit 1,5 Millionen Tonnen Kunststoff jährlich produziert, heute sind es fast 400 Millionen Tonnen jährlich. Ein sehr großer Teil davon landet im Meer. Nach Aussagen des UNEP (Umweltprogramm der vereinten Nationen) treiben auf jedem Quadratkilometer bis zu 18.000 Plastikteile unterschiedlicher Größe auf den Weltmeeren. Mehr als 90 Prozent davon sinken auf den Meeresboden und sind für uns nicht mehr sichtbar. Plastik ist nahezu unvergänglich, die Bruchstücke werden aber immer kleiner und irgendwann wird es zu Mikroplastik, dass sich dann in unsere Nahrungskette schleicht und im menschlichen Blut zu finden ist. [5] Laut einer NABU-Studie zu Kosmetikprodukten und Putzmitteln werden jährlich durch die Nutzung ungefähr 1.000 Tonnen Mikroplastik in das Abwassersystem eingeleitet. Eine aktuelle Studie des WWF vom 08.02.2022 besagt, dass „(s)elbst wenn die Plastikverschmutzungen heute gestoppt würde, würde sich der der Mikroplastikgehalt der Meere bis 2050 mehr als verdoppeln“.
Ich erspare mir nun weitere Fakten, die führen an dieser Stelle nicht weiter, weil das Problem ausreichend klar sein dürfte. Vielleicht ist es gerade in den Köpfen des deutschen Michels bzw. der deutschen Michelle noch nicht angekommen – laut Aussage von nationalgeographic exportierte Deutschland 2021, trotz verschärfter EU-Regeln, hunderttausende Tonnen Kunststoffabfälle nach Malaysia.
So sehr die Bemühungen von greenpeace und anderen Organisationen zu schätzen sind, trotzdem helfen immer neue Horrormeldungen nur sehr bedingt, weil sich auch ein Gewöhnungseffekt einschleichen könnte. Unsere gesamte Lebensführung basiert auf Ölprodukte, diese werden aber selten in Frage gestellt. Lifestyle Produkte, wie Sneaker und Smartphone, bestehen aus Öl, es ist die Basis für die Kunststoffproduktion. Die Entsorgung von Kunststoffprodukten ist außerordentlich problematisch und das Recycling funktioniert in den meisten Fällen nicht, weil Plastik aus vielen unterschiedlichen Verbundstoffen besteht.
Plastic fantastic
Plastik ist fantastisch, kann es etwas Besseres geben?
Die Geburtsstunde der petrochemischen Industrie begann in den 1950-iger Jahren des letzten Jahrhunderts, als man technisch imstande war, große Molekülketten zu halbieren und kleine Moleküle zusammenzukleben. Indem Erdölderivate vermischt werden, entstehen sehr unterschiedliche Kunststoffe, die unser Leben komplett verändert haben.
Ein Leben ohne Telefone, Smartphones, Fernseher, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Computer usw. scheint den meisten Menschen, zumindest in den Industrieländern, unvorstellbar. Ohne Öl gäbe es keine Eimer, Matratzen, PET-Flaschen, CDs, USB-Sticks, Teppichböden und Kleidung. Selbst Dinge wie Autoreifen, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger wären ohne Öl sehr viel schwieriger herzustellen. Unsere Körperpflege würde sich ohne Parfüms, Lippenstifte, Seifen und Haarsprays anders darstellen. Die Herstellung von bestimmten Medikamenten wäre in bestimmten Bereichen nicht möglich. Eine handelsübliche Tablette, die zwischen 300 und 500 Milligramm (mg) wiegt, enthält 20 bis 50 mg Erdöl, zwar nicht als Wirkstoff, sondern als Hilfsstoff (Trägerstoff). Es gibt aber auch eine Vielzahl von Tabletten, die den Wirkstoff Erdöl enthalten, zum Beispiel das bekannte Schmerzmittel Ibuprofen oder die Nasentropfen Olynth. Gegenwärtig ist die pharmazeutische Industrie zu annähernd 100 Prozent abhängig vom Erdöl. Unsere billigen und leichten Verpackungen bestehen ebenfalls komplett aus Erdöl. Die Liste lässt sich noch fortführen. Im Grunde genommen hängt unsere gesamte Lebensführung vom Öl ab. Wir wurden und sind total abhängig vom Kunststoff. Um ein Kilo Kunststoff zu produzieren, werden zwei Kilo Erdöl benötigt.
Erdöl ist endlich, es geht zur Neige
Die wachsende Müllflut kann nur durch die Eindämmung der Plastikproduktion gemindert werden. Neben der Ächtung von Kunststoffprodukten und einer rigorosen Änderung unseres Konsum- und Wegwerfverhaltens muss eine rigorose Streichung der Steuervorteile im Bereich des Rohöls für die petrochemische bzw. chemische Industrie erfolgen.
[1] Hannah Arendt, Vita aktiva, München, 1967, S. 115
[2] Hannah Arendt, Vita aktiva, München, 1967, S. 149
[3] Unbedingt sehenswert ist der Film „Der Sneaker-Skandal“. In diesem Film schildert die Expertin für die Modebranche und Vertreterin von Greenpeace, Viola Wohlgemuth, dass 40 % der Kleidung in den deutschen Kleiderschränken nicht oder kaum getragen werden.
[4] Stephan Lessenich, Neben uns die Sintflut, München, 2020, S. 96
[5] In verschiedenen Tageszeitungen konnte man im März 2018 lesen, dass sich Mikroplastik in allen west- und süddeutschen Flüssen befindet. Die Umweltämter aus fünf verschiedenen Bundesländern zogen 52 Proben aus 25 Flüssen. In allen Proben war Mikroplastik nachweisbar. Demnach befinden sich die kleinen Fragmente aus Kunststoff nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch direkt vor unserer Haustür und schleichen sich in unsere Nahrungskette ein; auch wurde schon Mikroplastik im Menschenblut nachgewiesen. Kein Wunder -Mikroplastik ist schon Teil unserer Nahrungskette.