Die Weltmeere und die gefühlte Verantwortungslosigkeit
Wir bleiben im Bild, denn ohne die Weltmeere ist die Fischerei fast undenkbar. Leider sind diese Meere zugemüllt mit Plastik, dass aus Öl hergestellt wird. Öl ist Fluch und Segen zugleich. Unser Segen sind die Erdölderivate, die in fast allen Produkten enthalten sind. Der Fluch der Erdölderivate besteht darin, dass wir mit dem Plastik unter anderem die Ozeane vermüllen. Die Herstellung von Plastikprodukten ist im Vergleich zu den 1980er Jahren um 900 Prozent gestiegen. Diese Produkte werden weltweit selten vernünftig entsorgt, sondern gelangen durch Flüsse, Überschwemmungen und sogenannte Ozeanriesen, ins offene Meer. »Insgesamt wird der jährlich in die Weltmeere gelangende Müll auf zehn Millionen Tonnen geschätzt – das entspricht durchschnittlich einer LKW-Ladung pro Minute.«[1] Plastik ist sehr langlebig und es braucht über 400 Jahre, um zu verrotten. Die Auswirkungen dieses Mülls sind für das Ökosystem der offenen Meere immens. Problematischer als der offensichtliche Plastikmüll ist das Mikroplastik, das sich nicht nur allmählich in unsere Nahrungskette einschleicht, sondern auch in Wimperntusche, Sonnencremes und Duschgel enthalten ist. Wenn Mikroplastik über Abwasser und auch Regenwasser im Meer angekommen ist, kann es nicht mehr entfernt werden. In verschiedenen Tageszeitungen konnte man im März 2018 lesen, dass sich Mikroplastik in allen west- und süddeutschen Flüssen befindet. Die Umweltämter aus fünf verschiedenen Bundesländern zogen 52 Proben aus 25 Flüssen. In allen Proben war Mikroplastik nachweisbar. Demnach befinden sich die kleinen Fragmente aus Kunststoff nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch direkt vor unserer Haustür und schleichen sich beispielsweise über den Verzehr von Fischen in unsere Nahrungskette ein. Mikroplastik wird inzwischen auch im Menschenblut nachgewiesen. Leider werden diese Mikropartikel kaum wahrgenommen und somit scheint das Problem nicht mehr zu existieren.
Mikroplastik und CO2 werden ähnlich wahrgenommen
Eine weggeworfene Plastiktüte am Strand ist kein schöner Anblick. Ein mit Plastiktüten übersätes Meer ist besorgniserregend. Mikroplastik im menschlichen Körper wird aber von unseren Sinnen nicht wahrgenommen und für die wissenschaftlichen Berichte interessieren sich viele Menschen nicht. Hier verhält es sich ähnlich wie die CO2-Konzentration in der Atmosphäre.
Diese »Wahrnehmungsstörungen« sind auch beim Klimawandel zu beobachten. Große Teilen der Bevölkerung nehmen ihn nicht ernst, weil der CO2-Austoss eine saubere Emission ist. Schmutzige Emissionen, wie Wasserverschmutzungen oder stinkendes Schwefeldioxid in der Luft, werden sofort wahrgenommen und als unangenehm charakterisiert. Die entscheidende Verbindung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt sind die menschlichen Sinne. Um zu erfahren, wie die Welt beziehungsweise die Umwelt um uns herum beschaffen ist, benötigen wir unsere menschlichen Sinne (Riechen, Sehen, Hören, Schmecken und Tasten). Um die CO2–Problematik erfassen zu können, reichen unsere Sinne aber nicht aus. Wir glauben häufig nur das, was wir auch sinnlich wahrnehmen können. Deshalb wird der Klimawandel von einigen Politikvertretern (vornehmlich in den USA) abgestritten. Ein weiterer Grund für die Leugnung ist die Nähe vieler Politiker zur fossilen Industrie. CO2 kann man weder riechen, sehen, hören, schmecken noch tasten. Der CO2–Ausstoß (circa 105 Millionen Tonnen pro Tag, weltweit)[2] ist eine sogenannte „saubere Emission“, wird kaum registriert und spielt im Leben der Menschen eigentlich keine Rolle, da die Natur als träges System wahrgenommen wird.
Natura non facit saltus
Bereits Charles Darwin wies darauf hin, dass die Natur, im Gegensatz zum Menschen, nicht sprunghaft ist. Dies mag grundsätzlich richtig sein. An dieser Stelle muss aber erwähnt werden, dass das eherne Gesetz der Naturwissenschaft, Natura non facit saltus – die Natur macht keine Sprünge, teilweise widerlegt wurde. Max Planck hat schon vor über 120 Jahren für die Physik «Quantensprünge« nachweisen können. Auch die Genforschung hat dieses eherne Gesetz widerlegt. Bezüglich des Klimawandels sind die vielen Kipppunkte zu erwähnen, die ebenfalls gewaltige irreversible Sprünge darstellen und Teile der Erde in kürzester Zeit in eine unvorstellbare Landschaft verwandeln können, die menschliches Leben nicht mehr ermöglicht.
Aber in sehr vielen Fällen entwickelt sich die Natur in inkrementellen Schritten und baut stets auf vorangegangenen Änderungen auf. Außerdem sind die Natur und das Klima träge Systeme, die spät reagieren. Deshalb werden die fundamentalen Auswirkungen des Klimawandels (und hier meine ich nicht die Wetterveränderungen) wahrscheinlich erst in der Zukunft sichtbar, dann ist eine Umkehr aber nicht mehr möglich. Die Wissenschaft hat neun planetarische Grenzen identifiziert. Davon sind schon mindestens fünf Grenzen bereits überschritten: die Versauerung der Ozeane, der Phosphor- und Stickstoffkreislauf, der Süßwasserverbrauch, die Belastung durch Chemikalien und die Erderwärmung.
Bei der Erderwärmung handelt es sich um einen »nachlaufenden« Effekt, der bewirkt, dass die globale Temperatur um mindestens ein weiteres halbes Grad erhöht wird, selbst wenn sich die Menschheit heute entschlösse, kein CO2 mehr zu emittieren. Deshalb ist das zwei Grad Ziel schon heute Makulatur. Im Gegensatz zu anderen Katastrophen ist es nicht irgendwann vorbei und das Leben formiert sich neu. Die Kehrseite des trägen Klimawandels ist, dass das veränderte Klima mit allen Konsequenzen bleiben wird. Im Klimawandel sind Ursache und Wirkung nicht identisch, das hat zur Folge, dass keine Identität zwischen dem Verursacher und dem Träger der Konsequenzen besteht. Das führt zu dem Paradoxon, dass die Verursacher vermutlich den geringsten Schaden zu schultern haben, während die Opfer, die es nicht verursacht haben, mit den großen Schäden leben müssen. Beispielsweise sitzt der Verursacher an einem anderen Ort der Erde als der Träger der Konsequenzen. Daraus erklärt sich ebenfalls die gefühlte Verantwortungslosigkeit vieler Menschen.
[1] Nadja Ziebarth, Ein Meer aus Plastik: Die Vermüllung unserer Ozeane, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2017, S. 72
[2] Vor einigen Jahren habe ich meinen Schülerinnen und Schüler beigebracht, dass der CO2-Ausstoss pro Tag weltweit circa 65 Millionen Tonnen beträgt. Bei der Recherche muss ich leider feststellen, dass er mittlerweile 105 Millionen Tonnen pro Tag beträgt.